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Ionesco und Beckett in Salzburg

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Natürlich sind „Die Nashörner“ von Eugene Ionesco gemeint Sieben Jahre haben sie gebraucht, um nach Salzburg zu kommen. Nim hatten Sie Im Salzburger Landestheater Premlere. Über das Erfolgsstück Eugene Ionescos ist genug geschrieben worden. Ich darf mich also damit begnügen, die Äußerung eines Salzbur-ger Tierfreundes und prominenten Tierschützers wiederzugeben; er warf nach der Vorstellung die Frage auf, was man hier eigentlich gegen die Nashörner habe und wie diese großartigen Tiere dazukämen, sich mit den Menschen vergleichen zu lassen. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Man kann darauf nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Nashörner diese Kränkung verwinden werden.

Zur Aufführung selbst: Es gibt gewiß vielerlei Arten, dieses Gleichnis auf der Bühne darzustellen. Man kann das Stück als Travestierung des „ewig Menschlichen“ oder als prophetische Karikatur des Künftigen auffassen, man kann es als wirbelnde Clownerie über die Bühne jagen oder als gespenstische Farce inszenieren. Ekkehard Dittrich hat sich in seinem Regiekonzept für keine dieser Möglichkelten entschieden; er bediente sich verschiedener Stilformen, wie sie ihm gerade für die einzelnen Szenen angemessen schienen. So bewegten sich die Akteure zu Beginn wie die Figuren eines mechanischen Glaskastentheaters, das durch Einwurf einer Münze än Gang gesetzt wurde; der das Vakuum der Umgangssprache entlarvende Doppeldialog an den Kaifeehaustischen wurde im Wede-kind-Sttil der zwanziger Jahre geführt, die Büroszene näherte sich, soweit das bei Ionesco möglich ist, dem naturalistischen Theater an. Was bei solchem Verfahren im Detail gewonnen wird, geht friedlich im ganzen verloren. — Ausdruck für die sichtbare Einheit des geistigen Raumes, in dem die Handlung abrollt, strebt der Bühnenbildner Heinz Bruno Gallee an. Unter der auf dem Prospekt erscheinenden Vision eines festgefügten alten Stadtbildes zeigte sich die Szenerle der Welt von heute verdächtig zerbrechlich und wackelig. Sie wird dem rasenden Gestampf der entfesselten Rhinozerosse nicht standhalten.

Bei der Besetzung des personenreichen Stückes ergaben sich die für das Salzburger Landestheater charakteristischen Schwierigkelten. Demnach bemühten sich auch die falsch eingesetzten Mitglieder des Ensembles nach Kräften. Willy Pokorny gewann als Behringer das Publikum durch den Charme seiner Unbeholfenheit, durch seine naive Aufrichtigkeit und Herzenswärme. Was soll das Schicksal mit diesem gestaltlosen Komplex schwächlicher Empfindungen anfangen! Es läßt ihn durchschlüpfen. Er überlebt. Als einziger. In der Rolle der Daiisy bot Inga Bünsch, eigentlich einem schweren Fach zugehörig, alles auf was von ihr verlangt wurde: mädchenhafte Frische und Pestiigkeil. weibliche Lebenskraft und schließlich auch die Bereitschaft auszubrechen, dem Reiz des Neuen, des Ungewissen zu unterliegen Unbewäl-tigt in Teilen blieb die Figur des Hans, der aus erster zum Nashorn wird und das gewissermaßen schon in sich trägt. Gerhard Balluch entsprach durchaus nicht diesem Typ. Im ersten Teil seiner Rolle war er gezwungen, sich auf die Zehen zu stellen und gewaltig zu outrieren. Um so lobender muß anerkannt werden, daß ihm die langsame Verwandlung, die das Gleichnis sinnfällig macht, hervorragend gelang. Alle anderen trugen dazu bei, daß sich das Publikum unterhielt — das ungeübte besser als das geübte. Einige Besucher, die keinen Spaß verstanden, verließen während der Vorstellung das Haus und gaben so ihrem Unmut schweigend Ausdruck. ★

Zum Theater der Avantgarde gehören zweifellos die beiden Stücke von Samuel Beckett, die in den Kammerspielen des Salzburger Landestheaters Premiere hatten. „Das letzte Band“ und „Spiel“ werden in der westlichen Welt heute schon zum klassischen Bestand des Antitheaters der Avantgarde gezählt. Aber immer noch spielt man mit diesen Stücken gegen das Publikum, gegen die Masse jener treuen Besucher, die unterhalten sein wollen und von denen das Theater lebt. Daneben gibt es indes noch einen anderen Kreis, viel kleiner zwar, aber nicht weniger wichtig für eine Kulturstadt, einen Kreis von Menschen, die Einblick suchen in die geistigen Strömungen der Zeit und gewillt sind, sich damit auseinanderzusetzen. Diesen Leuten zuliebe lohnt es sich gewiß, einmal gegen den Strom zu schwimmen.

In dem monologischen Stück „Das letzte Band“ stöbert ein alter Mann in seiner Vergangenheit. Mit Hilfe eines Magnetophons, auf dem er die im Tagebuchstil von ihm einst besprochenen Tonbänder abspielt, holt er sich Fragmente seines abgelebten Daseins aus der Tiefe der Zeit. Erinnerungsfetzen, verblaßte Bilder: die Mutter, ein Mädchen beim Himbeer-pflücken, eine Bootsfahrt im Schilf — verlorene Glücke. Ein Gedicht von tiefer Melancholie. Aber auch In diese Elegie schießen, wie überall bei Beckett, parodistische Elemente ein.

In dem zweiten Einakter, „Spiel“, sind die Personen auf ihre Ursubstanz reduziert. Die Dreieckssituation einer zerfallenden Ehe spiegelt sich dreifach In den Berichten der einzelnen Beteiligten. Die Schauspieler agieren nicht. Nur die Köpfe ragen aus den antiken Aschenurnen, In die sie eingeschlossen sind, unentrinnbar. Abwechselnd schildern sie den Hergang der Katastrophe. Am Ende der tragischen Berichte findet Beckett eine überraschende parodistische Wendung, die jede Tragik aufhebt. Die Szene wird Wort für Wort wiederholt.

Man muß der Salzbuirger Aufführung einräumen, daß ihre Bemühung um das geheimnisvolle absurde Wesen der beiden Spiele nicht ganz vergeblich war. Der in der Art einer surrealistischen GrisaiHemalerel gestaltete Prospekt von Ady Fuchs ist ein eindrucksvoller Hintergrund für das unwirkliche Geschehen, Klaus Kesslers Regie holt aus dem „schizophrenen Wortsalat“ des irischen Dichters den lyrischen und den dramatischen Grundstoff. Gerhard Mörtl, als der uralte Krapp, mach* durch seine Darstellungskunst gut, was der Maskenbildner an ihm versäumt hat. In dem zweiten Stück, „Spiel“, sprechen die Damen Huber und Schramme! mit großer Ausdruckskraft Ihre Partien im Protokollstil Kafkas. Zwischen diesen beiden starkprofllierten Frauen hat der verschwommene Schwerenöter einen unsicheren Stand. Friedrich Gynrod trifft indes den Typ seiner Rolle durchaus. Das Publikum wußte zum überwiegenden Teil die ihm aufgegebenen Rätsel nicht zu lösen. Es applaudierte den Schauspielern.

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