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Iren-Charme weicht Arger
Irischer Charme kann unwiderstehlich sein. „When Irish eyes are smiling sind IBA-Bom-ben rasch vergessen. Aber derzeit funkelt in vielen Iren-Augen heiliger Zorn. Ein Aufstand der Lämmer ist auch im bisher treuesten Weideland der römisch-katholischen Kirche angesagt.
Auslösendes Moment war vergangenes Jahr das Auffliegen gleich einer ganzen Serie von Fällen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger durch katholische Priester. Das Szenarium ist nicht unbekannt: Wo es nach außen hin besonders streng und unerbittlich zugeht, wird hinter verschlossenen Türen umso heftiger aufgestauter Dampf' abgelassen. Gemunkelt hatte man auch in der Vergangenheit bereits darüber. Jetzt wird offen geredet und Fraktur geredet. Und die Amtskirche hat darauf beachtlich klar reagiert. Nach einer ersten Schreckminute setzte die Bischofskonferenz einen aus Psychologen, Juristen, Kirchenrechtlern, Sozialarbeitern und anderen Fachleuten zusammengesetzten Beratungsausschuß ein, der klare Konsequenzen forderte: Einsetzung diözesaner Beschwerdeinstanzen, Pflich^ zur sofortigen Anzeige bekanntwerdender Mißbrauchsfälle bei der Polizei, Amtsenthebung bis zur Klärung und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Rückkehr des Missetäters in die Seelsorge.
Kardinal Cahal Daly von Dublin begrüßte wie andere Bischöfe diese Empfehlungen und ließ keinen Zweifel hinsichtlich ihrer Verwirklichung aufkommen, damit „mitgeholfen wird, diesen schrecklichen Fluch von der Gesellschaft zu nehmen". Das ist schon ein gutes Stück mehr, als die österreichische Bischofskonferenz letzten November zustandegebracht hat.
Für Irland ist der Wandel im Klima besonders spektakulär. Bis vor kurzem konnte nichts die Autorität der Bischöfe erschüttern, die als eine Art „irischer Hochadel" Gesellschaft, Kultur, Medien und Staat beherrschten und in ihrem Anspruch, das alles im Namen Gottes zu tun, unwidersprochen blieben. Jetzt ist man draufgekommen, daß keinem der Mund verfault oder die Hand abfällt, der die Kirche kritisiert.
Nichts illustriert den Wandel im öffentlichen Klima besser als die Tatsache, daß die noch vor neun Jahren mit Zweidrittelmehrheit verworfene staatliche Legalisierung der Scheidung nun mit hauchdünner Mehrheit vom Volk gutgeheißen worden ist. Die Offenheit, die selbstkritische Haltung und der hintergründige irische Humor, mit denen die Debatte über Klerus und Laien, Amt und Charisma, Gebot und Gewissen in der Kirche jetzt intensiv geführt wird, imponieren.
Wer ihnen über die Erfahrungen mit dem Kirchenvolks-Begehren in Österreich berichtet, ist bei vielen Iren derzeit besonders herzlich willkommen. Aber dieser Lernprozeß ist keine einseitige Angelegenheit. In der Wiege des abendländischen Christentums wird anscheinend auch dessen notwendige Erneuerung ernster als anderswo genommen.
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