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Island - der Natur zum Trotz

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HART AM POLARKREIS liegt einsam zwischen Europa und Amerika die sagenumwobene Insel Island. Beschwerlich gestaltet dieses Nordland aus Feuer und Eis das Leben seiner Bewohner. Ausdauer und Heimatliebe verlangt es von ihnen.

Als im Jahre 874 n. Chr. der Norweger Ingolfur Arnarson Island betrat, fand er ein Land voll von den ungewöhnlichsten Natourprägungen dicht nebeneinander. Steinwüsten, wasserreiche Flüsse, gewaltige Geysire und furchtbare Vulkane. So ist dieses Land bis heute geblieben. Hiezu kam nur noch die Verkarstung weiter Gebiete, hervorgerufen durch den Raubbau an vorhandenen Wäldern. Ein Achtel der Insel liegt unter wuchtigen Gletschermassen verborgen, was aber sichtbar bleibt, zeugt von einer regen vulkanischen Tätigkeit und von einem Klima, das allem Leben feindlich ist. Durchschnittlich gab es bisher alle fünf Jahre einen Vulkanausbruch und diese haben ihre Spuren deutlich hinterlassen.

Wie Narben liegen die Kraterlöcher da. Ringsum weite Aschenfelder, die die größten Wüsten Europas bilden, sprechen eine beredte Sprache. Doch im freundlichen Gegensatz gibt es Wasserfälle und Seen von unermeßlicher Schönheit, die zum reichlichen Fischfang laden. Solche Reize locken die Isländer und in den letzten Jahren immer mehr und mehr auch die Touristen in das Innere des Landes.

Bis auf vereinzelte kleine Siedlungen ist jedoch alles Leben an die Küsten gedrängt. Dort bietet der Golfstrom, der die Südwest-, Süd-und Ostküste umspült, Lebensmöglichkeit. Er ruft aber auch den Widerstreit zwischen den durch ihn entstandenen warmen Luftmassen und den kalten nördlichen Elementen hervor, der zu einem sprunghaft wechselnden Wetter führt, das die Schiffahrt oft zu einem Problem werden läßt.

DIE HEISSEN QUELLEN, die vulkanischen Ursprungs sind und deren es genügend in manchen Gegenden gibt, wie z. B. um die Hauptstadt Reykjavik, bieten einen großen Vorteil. Da kennt man keine Heizungsund Heißwasserprobleme. Die Quellen erreichen Temperaturen bis zu 100o C. Das heiße Wasser wird mittels Speziairohren 16 Kilometer nach Reykjavik geleitet, und in den Häusern angelangt, besitzt es noch immer eine Wärme von 86' C.

So ersetzt man auch durch diese Geysire die fehlende Sonnenkraft und heizt riesige Glashäuser, in denen man neben allen Gemüsearten sogar Bananen zieht. Heute befinden sich schon 20 Morgen Land unter geothermisch geheizten Glashäusern. In Hveragerdi — ein kleines Dorf an der Südküste —, dem Zentrum dieser Glashauskultur, gibt es sogar ein Kraftwerk, welches von den Dämpfen der beiden heißen Quellen betrieben wird.

DIESES VOLK, DAS DURCH ein Jahrtausend hindurch mit dem Kontinent nur durch eine waghalsige Schiffahrt verbunden war, hat in den letzten 50 Jahren durch die modernen Verkehrsmittel und mit viel Mut und Energie den Anschluß an die zivilisierte Welt gefunden. Vor nicht allzu langer Zeit klagten noch sozialkritische isländische Schriftsteller über die Not und die harten Lebensbedingungen. Wie hat sich dieses Bild gewandelt! Mit einem erstaunenswerten Fleiß haben sich die Isländer eine eigene und nach ihren Maßen gerechte Welt erarbeitet. Ihre Aufgeschlossenheit und vor allem das Augenmerk, das sie der Erziehung und Weiterbildung ihrer Jugend schenken, zeigt, daß man in diesem Land in die Zukunft blickt.

Ihre nur auf dieser Insel gesprochene Sprache zwingt sie, Englisch, Dänisch, Norwegisch und auch Deutsch zu lernen. Man ist überrascht, wie viele Menschen diese Sprachen gut beherrschen.

Auf die Volksbildung ist auch die Entstehung der berühmten Edda-Lieder und Sagas zurückzuführen, die hier in Island ihre reichste Vielfalt erfuhren. Dem Isländer ist es heute noch möglich, ohne besondere Mühe diese alte Schriften zu lesen, da das Isländische seit dem 13. Jahrhundert nur in der Aussprache einige Änderungen erfuhr. Voll Stolz sprechen diese Menschen von Halldor Kilijan Laxness, der Nobelpreisträger von 1955. Den Isländer zeichnet eine große Leselust aus. Die vielen Bücher und Schriften sprechen ein fast nicht zu sättigendes Publikum an.

Um sich zu bilden und um seinem großen Unternehmungsgeist nachzukommen, reist der Isländer gerne und viel. Schon zur Sagazeit schien man diese Lust zu verspüren, denn ein Sprichwort von damals lehrt derb und urwüchsig: „Heimskt er heimaalid barn“, das heißt „Dumm ist das Kind, das zu Hause aufwächst“. Da es ihnen jedoch in der sogenannten „dunklen Zeit“ vom 14. bis 19. Jahrhundert wegen der armseligen und unterdrückten Verhältnisse nicht möglich war zu reisen, versuchen sie es, jetzt nachzuholen. Zu Tausenden fahren sie jährlich übers Meer.

ISLAND IST EIN MODERNES und aufgeschlossenes Land. Das Straßenbild der Hauptstadt Reykjavik entspricht dem einer eifrigen Kultur- und Handelsstätte. Ein reger Autoverkehr belebt die Straßen, moderne Wohnviertel werden an der Peripherie der Stadt gebaut, geschäftiges Treiben herrscht im Hafen, und Plakate und Leuchtreklamen bestätigen den florierenden Handel.

Betrachtet man die Geschichte Islands, muß man zugeben, daß es eine sehr traurige und unerbittliche war. Im 16. und 18. Jahrhundert war es durch Hungersnöte, die durch die verheerenden Vulkanausbrüche hervorgerufen wurden, und durch Krankheitsepidemien dem Aussterben nahe. Noch 1901 betrug die Einwohnerzahl nur 78.000, während sie inzwischen auf 185.000 angestiegen ist.

Abgehärtet und mit viel Ausdauer hat der Isländer einen selbständigen sozialen Staat aufgebaut und hält mit nordischen Staaten — wie Norwegen und Finnland — Schritt.

Obwohl in ganz Island nicht mehr Einwohner leben wie in der Landeshauptstadt Linz, verfügt es über eine Staatsverwaltung, bestehend aus einem Präsidenten, Parlament, sieben Ministerien und mit Botschaften in zehn Ländern und etlichen Konsulaten. Außerdem besitzt Island eine eigene Notenbank.

Reykjavik hat eine Universität neben einem Nationaltheater und einem Rundfunksender. Die Errichtung einer eigenen Fernsehstation steht in naher Zukunft. Zwei Luftfahrtsgesellschaften ersetzen die fehlenden Eisenbahnen.

Die öffentlichen Auslagen sind beträchtlich. Eine überaus schwere Last ruht auf den Schultern der wenigen Steuerzahler, und man fragt sich, wie sie damit fertig werden, da sie außerdem einen Großteil ihres Güterverbrauches durch Einfuhr dek-ken müssen. Island verfügt über fast keine Rohstoffe, wie Kohle, Erze, Erdöl oder Nutzholz.

BIS ZUR JAHRHUNDERTWENDE befand sich das Erwerbsleben Islands auf einer sehr einfachen Stufe, da die meisten Einwohner von der Landwirtschaft lebten mit dem Ziel, sich soweit wie möglich selbst zu versorgen. Erst nach und nach widmeteten sie sich dem Fischfang und zogen an die Küsten. Nun ist die Fischerei der Haupterwerbszweig der Insel. Es gibt kein zweites Land, daß von einer so einseitigen Industrie abhängig ist wie Island. Obwohl weniger als 10 Prozent der Bevölkerung direkt beim Fischfang oder bei der Fischverarbeitung tätig sind, zieht das ganze Land großen Nutzen daraus, da fast 90 Prozent des Gesamtexportes aus Fisch und Fischerzeugnissen besteht und somit genügend Devisen einbringt, um die Bezahlung der zahlreichen unbedingt notwendigen Einfuhrprodukte zu bestreiten.

Die isländische Fischereiflotte gehört zu den modernst ausgestatteten Europas. Ihre gesamte Brutto-registertonnage beträgt beinahe 80.000. Im Durchschnitt kann man mit einem Fang von zirka 700.00“ bis 800.000 Tonnen pro Jahr rechnen, davon sind 80 Prozent Dorsch und Hering. Die modernen Suchapparate ermöglichen es, Heringszüge bis zu 1500 Meter vom Schiff aus zu beobachten und somit den Fischfang von Jahr zu Jahr zu steigern.

Die alten Konservierungsarten, wie das Lufttrocknen oder Einsalzen des Fisches, werden in Island noch angewendet. Da diese Stock- und Salzfische gut haltbar und billig sind, werden sie vor allem in die südlichen Länder ausgeführt. Doch immer mehr an Bedeutung gewinnt das Tiefkühlen. Der Großteil des Dorschfanges wird filiert und in den 90 Gefrierhäusern des Landes mit einer Totalkapazität von 1500 Tonnen-Filets täglich tiefgekühlt. Island ist mit 70.000 Tonnen der größte Filetslieferant der Welt.

DIE FISCHEREI IST SAISONBEDINGT. In den Monaten Jänner bis Mai fängt man Dorsch, Schellfisch, Rotbarsch, Katfisch und Flachfisch an der Süd- und Westküste die sich zu dieser Zeit dort befinden, um zu laichen. In den Sommermonaten widmet man sich dem Heringsfang an der Nord- und Ostküste des Landes, da die Fische in diesem Gebiet Nahrung suchen.

Die jährliche Produktion Islands von Salz- und Gewürzhering liegt zwischen 400.000 und 500.000 Fässern je 100 Kilogramm.

Wichtige Nebenprodukte der Fischerei sind Fischmehl, welches aus dem Abfall der Fischfabriken und Heringsstationen erzeugt wird, und der aus Dorschleber gewonnene Lebertran.

Für die Bauindustrie muß sich Island hauptsächlich mit Steinmaterialien begnügen, da Nutzholz in Island nicht vorhanden ist.

Die neueste Errungenschalt der Wirtschaft des Landes ist die Herstellung von Zement aus Sand von Meeresmu3cheln, die man vom Meeresboden hcraufpumpt.

Da es in Island genau wie in Norwegen möglieh ist, Elektrizität in großen Mengen zu erzeugen, ist man bestrebt, diese Energiequellen immer mehr und mehr auszunützen.

ES MUTET WIE EIN KLEINES WUNDER an, wenn man bedenkt, was.die wenigen Einwohner auf der 103.000 Quadratkilometer großen Insel alles leisten .und wie sie es verstehen, die wenigen Vorteile ihres Landes geschickt auszunützen und dadurch sogar eine steigende Bedeutung für den europäischen Markt gewinnen.

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