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Ist das moderne Heim gemütlich?

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Die Vorstellungen vom idealen Wohnen sind je nach Landschaft, Menschen und Zeitumständen völlig andere. Regional sind die Unterschiede durch Klima und Lage und die Notwendigkeit des Schutzes vor Witterungseinflüssen gegeben. Historisch gesehen, ist die Einstellung zum Wohnen ein Produkt der geistigen Haltung und der geschichtlichen Ereignisse in Verbindung mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten. Der Wunsch nach Repräsentation, das Herausstellen von Besitz und Macht oder die Betonung des Wehrhaften lösen einander im Lauf der Jahrhunderte ab. Dazu kommen noch die Tradition und Eigenart des jeweiligen Volkes, Verschiebungen durch Wanderungen — wobei an einer überkommenen Wohnform oft lange festgehalten wird — und nicht zuletzt die staatliche Einflußnahme.

Dieses außerordentlich komplexe Fragengebiet ist heute für den Einzelfall bedeutungslos, be stimmt aber die grundsätzliche Haltung in dieser wichtigen Frage. Wesentlich ist, in unserem Land jedenfalls, der Wunsch nach einem eigenen Heim, das man sich so einzurichten wünscht, daß man sich darin lange und immer wieder wohlfühlt.

Das „Wohlfühlen“ zu Hause ist für das Zusammenleben einer Familie von entscheidender Bedeutung; dies um so mehr in einer Zeit, in der das Nomadische mit Touristik, Auto und Camping immer mehr überhand nimmt und die meist allzu kleinen Grundrisse und die allzu hohen Kosten einer Eigenwohnung dazu verführen, das erstrebte Ziel des „Standards" außerhalb der vier Wände zu suchen.

Zum Wohlfühlen gehört für den Oesterreicher der Begriff der „Gemütlichkeit" oder der Behaglichkeit. Das Leben nach außen, auf die Straße, ja selbst in die Landschaft hinaus (trotz der vielgepriesenen Wohnlandschaften) ist, abgesehen vom Klima, niemals nach dem Herzen unserer Leute gewesen. /

Uns liegt mehr die Urform der „Höhle"; der Oesterreicher will sich in seinem Heim abschließen können, geborgen fühlen, das „draußen" ablegen und ungestört sich und seiner Familie leben. Daher vielleicht auch das Mißtrauen noch so schönen Glaswänden gegenüber und die Abneigung gegen dünne Mauern. Es muß nicht ein Einfamilienhaus sein, aber man will seine Ruhe haben und seine Individualität auch innerhalb eines Wohnkollektivs erhalten.

Dieses Streben nach Gemütlichkeit zeigt sich erst recht im Ausgestalten einer Wohnung. Der Wunsch nach „Repräsentation" ist mit dem „Salon“ des vorigen Jahrhunderts ad acta gelegt worden; höchstens daß Schonbezüge noch hier und dort die Fiktion der „guten Stube“ aufrechterhalten. Im Grunde genommen hat man sich absolut mit dem Wohnschlafzimmer und der Wohnküche abgefunden. Trotzdem scheint es mit der Gemütlichkeit nicht mehr recht zu stimmen. Das heißt, man’möchte sie wohl haben, aber man findet sie nicht und kann sie schwer mit den technischen Errungenschaften des mo dernen Lebens und seinen Erfordernissen vereinbaren. Bedeutet das nun, daß wir ganz darauf verzichten müssen, oder sollte man nicht vielleicht nur versuchen, den Begriff „Gemütlichkeit“ auf andere Weise aufzufassen als vor 50 Jahren?

Damit, daß eine nicht immer verantwortungsbewußte Industrie seit Jahren diesen Begriff als Vorwand für die Massenerzeugung von Kitsch verwendet, ist noch nicht gesagt, daß das fruchtbare und von Phantasie zeugende Schmuckbedürfnis eines seiner Natur nach sinnenfreudigen Menschentyps unterdrückt werden müßte. Es kann also auch nicht das Ziel einer neuen „Formgebung" industrieller Produkte sein, die Gemütlichkeit im Heim - die nichts anderes ist als die Sehnsucht nach einer harmonischen Umwelt — auszurotten. Eine viel schwerere Aufgabe ist es, zeitgemäße Formen der Massenproduktion ohne Sentiment in diesem Sinne zu gestalten.

Es fängt buchstäblich bei den vier Wänden an — bei den Tapeten und ihren Mustern, der leidigen Frage der Teppiche und Vorhänge. Dann kommen die Möbel, die man oft ein Leben lang benützen soll und die mit Materialwahl und Gruppierung dazu beitragen, den Raum richtig „warm“ zu machen, und die Beleuchtung, die das Wohlfühlen in allen Schattierungen ermöglicht, aber auch zerstören kann. Und nicht zuletzt das Hausgerät im weitesten Sinne, also die Dinge, die man täglich hundertmal in die Hand nimmt, und vor allem jene, mit denen die Hausfrau umgehen muß. Es kommt nicht so sehr darauf an, daß die moderne Küche mit allen „gadgets“ ausgerüstet ist, sondern daß man diese leicht und sicher handhaben kann.

Es ist nur natürlich, daß der Käufer dieser Gebrauchsgegenstände sich zunächst von der Oberfläche, der äußerlichen Wirkung beeindrucken läßt. Weit wichtiger als die chromglänzende Haut ist aber die Funktion in der täglichen Nutzung. Es ist. sicherlich ungemütlich, einen pseudomodernen Sessel zu haben, auf dem einem beim Sitzen die Beine einschlafen, Gläser, aus denen man nicht trinken kann, ohne den Inhalt zu verschütten, und Messer, die nicht wirklich schneiden. Hier heißt es scharf trennen zwischen dekorativer Wirkung und gutem Gebrauchswert. Die vielen technischen Spielereien, die scheinbar nur dazu dienen, das Leben angenehmer zu machen, entpuppen sich mit ihren Tücken häufig als dauernde Quelle von Aerger und Reparaturkosten. Und die grelle Buntheit übertriebener Stoffmuster irritiert nach kurzer Zeit den ruhesuchenden Bewohner.

Es ist keineswegs richtig, daß gute, einwandfrei gestaltete Dinge nicht im Handel erhältlich sind. Man kann allerdings nicht dem Käufer die Zeit, den Geschmack und den Instinkt, sie zu finden, absolut zumuten. Anderseits ist ein zufriedener Kunde zweifellos ein besserer Kunde.

Es würde gewiß nicht soviel über den „modernen Krimskrams“ und die „Massenproduktion“ als solche geschimpft werden, wenn hier wirklich alle Anstrengungen gemacht würden, die Käuferwünsche zu erfüllen. Es ist aber sicher nicht der richtige Weg, die Gemütlichkeit als tot zu erklären und eine kalte und unfrohe Modernität an ihre Stelle zu setzen. Die Gemütlichkeit von heute hat alle Hilfsmittel der modernen Technik zur Verfügung. Merkwürdigerweise werden aber häufig eher unnötige „verschönernde" Dekorationen aufgeklebt, anstatt die Technik bis zur Unauffälligkeit zu vereinfachen.

Selbst der beste Wille der Produktion nützt nichts, wenn die Waren nicht verkauft werden. Und hier ist es unverständlich, warum der Handel freiwillig auf das Argument der Gemütlichkeit im guten Sinn verzichtet. Anstatt krampfhaft das „Altmodische" zu verdammen und doch nichts dafür zu bieten als das ebenso kuriose „Neumoderne“, sollte man sich doch lieber auf diesen Wunsch nach Behaglichkeit — der bestimmt nicht der schlechteste Teil unseres Charakters ist — besinnen. Der Oesterreicher ist nicht spartanisch, und er kann sehr realistisch denken: Warum erklärt man einfache, richtige Formen, gutes Material in sauberer Verarbeitung nicht als „gemütlicher“ als modernistische Spielereien? Für die Produktion ist das belanglos, solange gekauft wird — der Kunde aber fühlt sich wohler. Es ist nur zu hoffen, daß sich der Handel eines Tages die psychologische Taktik zunutze macht, die dem Käufer hierzulande leicht ins Ohr oder, warum nicht, ans Herz geht; Ihr könnt, auch heute noch, gemütlich und behaglich leben und dabei doch allen modernen Komfort haben - durch die gute und zweckentsprechende Form, durch organisches Dekor, durch saubere und schöne Waren.

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