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Italien am Vorabend der Entscheidung

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Rom, Mitte Marz

In den Zeitungen Italiens mehren sich die Anzeigen, die die vielversprechendsten und gewinnreichsten Offerte beinhalten, aber mit dem merkwürdigen Satz: „Unter Voraussetzung des günstigen Wahlausganges“ schließen. Denn Italien wird von einem kalten Wahlfieber geschüttelt. Während der kleinere Teil der Bevölkerung mit viel Energie die der Königskrone beraubte Trikolore mit Hammer und Sichel versehen möchte, wehrt sich der andere nach Kräften dagegen, daß der weiße Mittelbalken der alten Fahne eine neue Zutat erhalte. Die einzelnen Parteien spielen in der großen Auseinandersetzung zwischen Links und Rechts nur mehr eine untergeordnete Rolle. Gewählt werden wird am 18. April DeGasperioderTogli- atti. Die Bedeutung der Wahl schattet schon heute am Vorabend der Entscheidung weit über die Apenninenhalbinsel hinaus. Die Feuerzeichen, die den Waffenschmugglern an der adriatischen Küste den Weg weisen, mehren sich und gleichzeitig fahren immer neue Einheiten der amerikanischen Flotte zu Freundschaftsbesuchen in das Mittelmeer. Gespannt blickt der französische Nachbar auf die Ereignisse jenseits der savoyischen Grenze.

Der Wahlkampf bewegt sich im Augenblick noch in urbanen Formen. Zwar hatte im Verlauf des letzten Jahres die radikale Linke mehrere Male eine Art Generalprobe für machtpolitische Auseinandersetzungen abgehalten. Aber der mit großem Schwung proklamierte Generalstreik hatte nicht den Erwartungen entsprochen. Auch der „Marsch auf Rom“, der von der radikalen Linken zu Ehren des Partisanentages stattfand und Bewaffnete aus allen Teilen Italiens auf heimlich gesammelten Lastautos und Omnibussen in die Ewige Stadt brachte, war ohne größere Zusammenstöße verlaufen. Wohl defilierte die „Ligurische Brigade“ in ihren Pelzmützen, wohlformiert in Sechserreihen, unter den Rufen: „Es lebe Stalin! Tod dem De Gasperi!“ am Denkmal des Unbekannten Soldaten vorbei. Aber es blieb doch bei den Worten. Die Regierung war auf der Wacht gewesen und hatte dem Demonstrationszug, nicht ohne Humor, eine Musikkapelle und — ein Regiment Gardegrenadiere als ehrende Begleitung zur Verfügung gestellt. In den letzten Wochen haben auch die Führer der Linken in ihren Kundgebungen und Reden merklich eine Sordine angesetzt, mit der beflissenen Betonung, der Wahlkampf solle fair und unbeeinflußt geführt werden. Die Plakate, die sich sonst durch besondere Farbenfreudigkeit und grelle Wortpropaganda auszeichneten, jnd in schlichtem Schwarz-Weiß und respektablen Darstellungen gehalten; das der Kommunistischen Partei sonst so wichtige Rot ist kaum mehr zu sehen. Denn Togliatti hat den Kampf um die Seele des kleinen Mittelstandes mit der ganzen Geschicklichkeit des geschulten Parteipädagogen und alten Routiniers begonnen. Wenn er Erfolg haben will, muß ihm der Einbruch in die Sphäre des der Verproletarisierung nahen Kleinbürgers, Staatsbeamten und Intellektuellen gelingen. Darauf ist zur Stunde alle Taktik abgestellt. Zu seinem Unglück ist dem kommunistischen Führer der Gegenspieler gewachsen. Der Einfluß De Gaspėris auf die Massen ist unzweifelhaft im Ansteigen. Seit der letzten Regierungsumbildung hat dieser kluge Mann der Grundsätze und der Gesinnung um sich ein Triumvirat gebildet, das seiner würdig ist. E i n a u d i s Wirtschaftsexperimente sind noch nicht völlig zum Erfolg ausgereift, aber die Preise, besonders auf dem Textil- und Lebensmittelmarkt, konnten im Verhältnis zum Reallohn wesentlich verbessert werden. Wenn auch heute der Schweizer Franken auf dem Schwarzen Markt wieder mit

170 Lire gehandelt wird und die Aktien seit einigen Tagen eine fallende Tendenz zeigen, so ist das nicht der Ausdruck wirtschaftlicher Tatsachen, vielmehr der inneren Unruhe nd einer nervösen Sorge um die bevorstehenden politischen Entscheidungen. Außenminister Sforza, der Zweite in diesem Bunde, hat Italien mit viel Geschick wieder in das Vorfeld der europäischen Diplomatie geführt. Mit seinen Erfolgen müßte eigentlich auch der kleine Mann von der Straße zufrieden seie Denn die Rück gabe der Kolonien, von Ost und West gleichermaßen unterstützt, ist kaum mehr zweifelhaft. Zu guter Letzt haben die westlichen Alliierten der jungen Republik einen Sitz in der Verwaltung der freien Hafenstadt Tanger angeboten und damit das Stimmrecht Italiens an den Geschicken des mittelländischen Raumes unterstrichen. Der Mann aber, den die Gegner in dem Triumvirat an der Seite De Gasperis am meisten fürchten, der Mann der starken Hand, ist Innenminister S c e 1 b a. Ihm sind auch die meisten und aufgeregtesten Plakate der Linken gewidmet. „Scelba dorme, noi siamo svegli!“ “Scelba schläft, aber wir Kommunisten wachen.“ Scelba schläft aber nicht. Mit Hilfe der Amerikaner, die die Ausrüstung zur Verfügung gellten, hat er sich eine Spezialpolizei, die „Celeri“, „Die Schnellen“, geschaffen. Unbestechlich, rasch im Einsatz und ausgezeichnet bewaffnet, hat diese Exekutive wesentlich dazu beigetragen, daß der von der extremen Linken ernstlich geplante Bürgerkrieg nicht zu einer latenten Einrichtung Italiens wurde. Die Achtung, die den Celeri Freund und Feind der Ordnung zollen, ist außerordentlich.

Als die linksextremistische Zeitung „II Tempo“ berichtete, daß die „Garibaldini“, eine Partisanenformation, auf einer Parade in Rom am 18. Februar in neuen Khakiuniformen mit rotem Halstuch und Schildkappe aufmarschieren würden, war die Öffentlichkeit auf die Antwort des Innenministers neugierig. Oft genug hat Scelba im Ministerrat betont, daß er ein Gesetz wünsche, das alle Privatarmeen außerhalb des Rechts stellen sollte. Durch einen glücklichen Umstand kam ihm der Enkel Garibaldis zu Hilfe. Dieser Nachkomme dieses Freiheitskämpfers, dessen Name noch immer im Volke einen mystischen Nimbus hat, beklagte sich, daß es kein Gesetz gebe, um Namen und Bild seines Großvaters zu schützen, beide würden im Augenblick durch Parteien mißbraucht, deren Programm die Verneinung alles dessen darstellt, für das Garibaldi gekämpft habe. Damit hatte Scelba gegenüber der öffentlichen Meinung gewonnen. Ein Gesetz kam zustande, das alle militärischen Formationen verbot, Uniformerlaubnis nur für die Exekutive zugestand und strenge Strafverfügungen gegen jeden unerlaubten Waffenbesitz dekretierte. Und die Linke fügte sich.

Man weiß, daß die kommenden Wahlen das Schicksal Italiens einschneidend bestimmen werden, aber unmöglich ist es, vorauszusagen, auf welcher Seite der Erfolg sein wird. Italien durchschreitet im Augenblick eine starke politische Umschichtung. Das macht eine Abschätzung der Stimmenverteilung äußerst schwierig. Heute erscheint der früher besonders kommunistische Norden der Industriezentren von Mailand und Turin den Demochristiani De Gasperis nicht mehr die gefährlichste Gegend. Gerade in diesen Landstrichen wurde die Arbeiterschaft immer wieder als Stoßtrupps der Streiks und der Demagogie auf die Straße getrieben. Sie ist ermüdet, will nichts mehr von den radikalen Methoden wissen und ist mit ihren, nur auf politische Vorteile bedachten Gewerkschaftsführern unzufrieden. Die Hochburg des Linksradikalismus ist zur Zeit das Gebiet zwischen Bologna und Rom. Das beweisen auch die Ge- meinderatswahleri in Pescara, die einen Sieg der „Volksfront“ brachten. Der etruskische Apennin, Toskana und Umbrien sind durch im Kriege durchgestandene Lriden und durch die große Armut, namentlich der Gebirgsgegenden, demagogischen Einflüssen besonders ausgesetzt. Das ganz große Fragezeichen bei dieser Wahl aber sind die Massen der süditalienischen Kleinbauern und Landarbeiter. Früher monarchistisch gesinnt, warf sie die Aufhebung des Königtums aus ihrer politischen Stabilität, Mit dem Tod des Königs, des „piccolo re“, den sie fast wie als einen der Ihren betrachtet hatten und den sie, weil sie nicht ganz mit seiner Sparsamkeit zufrieden waren, halb scherzend „Scabbioso“, den „Sparmeister“, nannten, verloren sie die Autorität, an di; sie geglaubt hatten. Wie diese Kleinbauern, Kolonen und Landarbeiter stimmen werden, ist ungewiß.

So ist der kommende Frühling von Schleiern umfangen. Es ist keine Übertreibung, wenn man davon spricht, daß die Tragweite der erwarteten Entscheidungen unübersehbar ist. Der unerbittliche Emst, mit dem der Vatikan, ohne sich in die Part ei politik zu mischen, das Grundsätzliche in der bevorstehenden Wahl herausstellt und jener gefährlichen Masse, die bisher durch Wahlenthaltung sich von der Mitwirkung am Staatsleben ausschloß, die moralische Wahlpflicht einzusdiärfen sucht, zeigt deutlich die Sorge des großen erfahrenen Wächters auf dem Turm.

Das äußere Stadtbild Roms verrät wenig von den jetzt in den geistigen Schächten Italiens kämpfenden Kräften. Am Palatin stürzen die Glyzinien, wie immer in dieser Jahreszeit, ihre violetten Trauben über die Mauern, Mipiosen duften aus den Gärten der alten Palazzi, und in feierlichen silbernen Kaskaden rauschen auf der Piazza Navona aus den Brunnen Berninis die

Wasser in die funkelnde Märzsonne empor, aus den Brunnen der Ströme, die, die Sinnbilder von Donau, Nil, Ganges und La Plata vereinigend, einst die friedliche Unteilbarkeit der Welt verkünden wollten.

Seliger Traum der italienischen Frühbarocke! Ist er an das Heute verschwendet? Unter dem blauen Himmel der römischen Primavera 1948 bereiten sidi Geschehnisse vor, die über die weiträumigen Meere reichen.

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