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Italiens christliche Demokratie

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Rom, im August.

Die Rhetorik der modernen Politik ist so leicht geneigt, von „historischen Augenblicken“ zu reden, daß die wirklichen Wendepunkte des Weltgeschehens in dem Vielgerede übersehen werden. Jetzt erst, ein Vierteljahr nach dem Massenaufmarsch der christlichdemokratischen Abgeordneten im italienische Parlament, bricht sich auch in der breiteren Öffentlichkeit die Erkenntnis Bahn, in welche entscheidende Richtung der Wahlsieg der Democrazia Cristiana die italienische und wohl auch europäische Politik gelenkt hat.

Im Sitzungssaal des italienischen Parlaments im 'Montecitorio-Palast füllt heute die DC, die Partei der Christlichen Demokraten, die Reihen bis weit nach rechts und links, so daß die herkömmliche Sitzordnung und Unterscheidung zwischen den Fraktionen viel von ihrem alten Sinn, verloren hat. Dieses Ausdehnen, dieses Übergreifen besonders nach der linken Seite, ist wie ein äußeres Zeichen dafür, daß das italienische Volk mit sich selbst den religiösen Frieden geschlossen hat. In einem fernen November 1866 hat Bettino Ricasoli den während des Krieges ihrer Haltung wegen aus den Diözesen entfernten und nun dorthin zurückkehrenden Bischöfen zugerufen: „Das Volk wünscht katholisch zu bleiben, ohne auf die Rechte und Ansprüche der Nation verzichten zu wollen; es wird jene Freiheit segnen, welche diese schützt und auf der allein sich die Aussöhnung von Interessen gründen kann, die bislang unversöhnbar schienen.“ Zweiundachtzig Jahre später hat die Democrazia Cristiana diese Wahrheit anerkannt und verwirklicht. Sie bekennt sich — Schmelztiegel der konvergierenden Interessen aller Kreise, Schichten und Klassen, mit allen ihren diesseitigen und jenseitigen Hoffnungen — zu einem christlichen Grundsatzfundament, zugleich zur nationalen Unabhängigkeit, zur politischen und Gewissensfreiheit und damit zur spirituellen Einheit des italienischen Volkes.

So manches von dem, was da in dem Tiegel quirlt und schäumt, muß erst im Feuer und im Gemenge mit anderen Be-

standteilen brauchbar und zu ganzem Vert sich gestalten. Da ist viel jungsaftiges Vesen dabei, manch stürmisches Vollen. Aber in allem Sturm und Drang werden vorbrechende bedeutsame sozialreformerische Kräfte sichtbar, die in dem neuen Italien dem wildgewordenen Kommunismus die Zähne ausreißen werden, weil sie eine ernstere Sozialreform betreiben werden als er. In dem Widerspiel der Richtungen, die sich heute innerhalb der christlichen Demokratie abzeichnen, erinnert manches an die Erscheinungen in dem politischen Lager der französischen Katholiken, deren moderne Ideenwelt und Organisation namentlich über die Grenze herübergewirkt hat.

Am 29. April erschien im „Quotidiano“, dem Organ der Katholischen Aktion, ein Leitartikel, der selbst in einigen Kreisen der Democrazia Cristiana — „an der Peripherie“, pflegt De Gasperi zu sagen — Aufregung hervorrief. Der Direktor des Blattes, Alessandrini, stellte kühl fest, die DC denke nicht daran, allein zu regieren, und daß sie keine klerikale Diktatur aufrichten wolle, sondern entschieden nach links marschiere. Die vielen Millionen Wahlstimmen, die sich für die Democrazia Cristiana ausgesprochen hatten, verdanke sie nicht ausschließlich den Kapitalisten, den Industriellen des Nordens und den Großgrundbesitzern des Südens, wie die besiegte Opposition behauptete, der Hauptteil stamme von den armen Leuten, welche die Freiheit wollen, zugleich aber auch eine höhere soziale Gerechtigkeit. Das Ziel sei also klar: „Die Italiener von der Suggestion befreien, welche die östliche Welt immer noch auf einen Teil des Volkes ausübt, den Bedürftigsten .und Armseligsten zeigen, daß die Kirche auf ihrer Seite ist und keine Furcht vor Reformen hat, sondern diese wünscht, die ,christlichen Wahlstimmen in ,katholische verwandeln, ein Mittelpunkt sozialer Anziehungskraft werden. Die Propaganda aktivieren und dort eindringen, wo das Rot am rötesten ist, aber nicht mit Versprechungen, sondern mit Taten. Der Regierung ein Ansporn sein und s'e ach links ziehen, selbst wenn es gegen ihren Willen wäre.“ Das war nicht die einzige, eine große Wandlung verkündende Stimme: in Italien sprechen heute auch. Kardinale zuweilen fast wie Revolutionäre. Der Kardinal von Florenz, Dalia Costa, zum Beispiel, schrieb gerade in den Tagen, da De Gasperi sein Re- gierungsprognamm vorbereitete: „Man muß den Kommunismus von allem ausleeren, was in ihm an Gutem, Richtigem, ich möchte sagen Evangelischem ist. Es werden daher durchgreifende Reformen notwendig werden, um die Latifundien abzuschaffen und das Los der Landarbeiter weniger hart zu gestalten, wie auch eine gerechte Beteiligung am Nutzen aller Betriebe zugunsten der Arbeitnehmer." .

In der „Straße der dunkleh Geschäfte“, dem Zentralsitz der Kommunistischen Partei Italiens, wurde diese Wende mit Besorg nis registriert. Togliatti informierte die Parteidirektion und sprach die Befürchtung aus, daß dem PCI (Partito communistico Italiano) die Initiative entschlüpfen könnte. Dem Parteirat schlug er als Gegenaktion vor; einen Propagandafeldzug zugunsten der Reformen gerade in dem Augenblick zu starten, da die Regierung im Begriffe sei, diese zu verwirklichen. Die Massen müßten glauben, De Gasperi handle unter dem Druck der Opposition, welche die Regierung trotz ihres Widerstandes gezwungen hätte, zu kapitulieren und zu „reformieren“.

Diese Täuschung wird nicht gelingen. Die jugendliche Avantgarde der Christlichdemokratischen Partei, zu der Del Bo, Ceschi, Fanfani, Luzzalli und Gui zu rechnen sind, ist fest entschlossen, eine Sozialreform in einer scharf umrissenen Form Wirklichkeit werden zu lassen, desgleichen die Jugend in der FUCI, der katholischen akademischen Bewegung. Die Kommunisten nahmen anfangs diese Kräfte nicht ernst und machten sich über die jungen christlich-demokratischen Kollegen lustig. Als in der Konstituante der Artikel 44 über die Agrarreform zur Abstimmung kam, sagte ein kommunistischer Abgeordneter: „Jetzt werden wir sehen, wie bei geheimer Abstimmung das Ergebnis ausfallen wird.“ Der Artikel wurde einstimmig angenommen. Und als der Großgrundbesitzer Graf Jacini einmal im Parlament ausrief, er sei bereit, die Hälfte seiner Güter abzutreten, jedoch nur aufj Grund fiskalischer Maßnahmen, da antworteten die Jungen, man dürfe auch vor Härten nicht zurückschrecken, denn andernfalls würden die Reformen niemals verwirklicht werden. Mit Tränen in den Augen ob so viel Respektlosigkeit verließ der alte Graf den Saal. Auch die dem rechten Flügel angehörenden Christlichen Demokraten Andreotti, Bertoia und Scalfaro sprachen sich für das Prinzip der Einschränkung des Grundbesitzes aus und bezeichneten es als wesentlich für die Democrazia Cristiana. Unterrieh tsminister Gonella, ebenfalls ein Exponent der Rechten, sagte: „Keine Sammler von Grund und Boden mehr! Der Grundbesitz darf ein bestimmtes gerechtes Maß nicht überschreiten!" Innenminister Scelba, geistiger Urheber der Betriebsräte, deren Befugnisse über die der österreichischen hinausgehen sollen, steht auf dem Standpunkt, daß der.Boden eines kinderlos verstorbenen Grundbesitzers unter dessen Landarbeitern und Pächtern aufgeteilt werden soll. Scelba ist allerdings ein Mann des linken Flügels der DC.

Der geistige Führer der vordrängenden reformerischen Kräfte innerhalb der Democrazia Cristiana ist zweifellos der Vizesekretär Paolo Emilio Taviani, fünfunddreißigjährig, dreifacher Doktor, Privatdozent, Inhaber einer Professur an der Universität von Genua, neben Piccioni der beste politische Kopf, über den die Parteileitung verfügt. Seine Ansichten über die Agrarreform begründet er mit Hinweisen auf das Alte Testament und die Kirchenväter, auf Ambrosius, Basilius, Augustinus, Gregor den Großen und Thomas von Aquin. In einer mehr als gewagten Interpretation theologischer Zitate zog er die Schlußfolgerung, daß der seines Besitzrechtes verlustig zu gehen habe, welcher seine über seinen Bedarf hinausgehenden Güter sozial schlecht verwaltet, eine These, die von P. Brucculeri in der „Civiltä Cattolica“ als dogmatischen Irrtum und Übertreibung hingestellt wurde. In der von Taviani vertretenen Reform wäre nicht nur das Ausmaß des Privatgrundbesitzes beschränkt, sondern auch die erbliche Übertragung bedingt. Aktienkapital müßte nominativ sein, anonymer Besitz sei ungesetzlich. Nach der Einschränkung des Privatbesitzes müßte man zu einer teilweisen Sozialisierung schreiten, nicht allein zugunsten des Staates, sondern auch von vermittelnden Gemeinschaften, wie etwa der Region, Berufsgemeinschaften und, warum auch nicht, der Pfarren. Die Gemeinschaften hätten das vorausgehende Besitzrecht.

Taviani selbst bezeichnet allerdings diese Ideen als „vorläufige Perspektiven“ und hält eine weitere Formung seines Gesetzesvorschlags durch die parlamentarische Beratung für notwendig. Eine Gefahr für die Reformen sieht er nicht von Seiten der konservativen Kräfte als vielmehr seitens der Kommunisten. Bevor man zu tiefergreifenden Reformen schreite, müsse es einen „18. April in den Gewerkschaften“ geben. Das Kräfteverhältnis müsse in den Gewerkschaften ebenso entscheidend verändert werden, wie im Parlament, der kommunistische Gewerkschaftsführer Di Vittorio müsse durch den christlichen Gewerkschafter Pastore geschlagen werden, wie Togliatti durch De Gasperi. Der Zusammenbruch des jüngsten Generalstreiks hat bewiesen, wie tief der Keil bereits sitzt, den die Democrazia Cristiana in die bis dahin fast ausschließlich kommunistisch kontrollierte Gewerkschaftsbewegung getrieben hat. Erst nach Ausschaltung der kommunistischen Gefahr soll an die Lösung des sozialen Problems im Geiste des alttestamentarischen Jubeljahres, der Schriften der Kirchenväter, der Papstenzykliken und der Ansprachen Pius’ XII. geschritten werden.

Die Katholische Aktion Italiens hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Democrazia Cristiana auf dem Wege zu den sozialen Reformen zu unterstützen, von der Theorie zur Praxis, von der Formulierung zur Durchführung der Programme überzugehen. Ihr Präsident, Vittorino Veronese, hat sich entschieden auf die linke Seite gestellt, während sein Vorgänger, .Professor Luigi Gedda, den konservativen Kräften innerhalb der Katholischen Aktion durch die Gründung der aktivistischen „Bürgerkomitees“ ein wirksames Instrument gegeben hat. Der Vatikan hat sich weder für die eine, noch für die andere Richtung erklärt. Vielleicht werden sich die Katholiken Italiens in drei verschiedenen Gruppen organisieren, von denen eine den rechten, eine das Zentrum und eine den linken Flügel vertritt. Die Entwicklung ist noch in vollem Flusse.

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