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Jahrmarkt der Welt

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WELTAUSSTELLUNGEN GEBEN ein — mitunter verzerrtes — Bild ihrer Zeit. Wer erinnert sich noch an die letzte Ausstellung vor dem Krieg in Paris 1937? Hitlers und Stalins Burgen standen einander trotzig gegenüber, trachteten einander zu übertrumpfen wie heute die Bankburgen Amerikas und Rotchinas in Hongkong. Wer ahnte, daß diese Todfeinde bald Verbündete und dann wieder Feinde sein würden, rascher, als Schuljungen ihre Freundschaften wechseln! Holland zeigte stolz seine asiatischen Kolonien: ferne Märchenländer, in denen fröhliche, wohlgenährte Völker sich und dem Mutterland Reichtümer schufen. Wer vorausgesagt hätte, daß in einem Viertel Jahrhundert dort Hunger einziehen, Reis einen Märchenpreis erklimmen, ein asiatischer Mussolini mit erhobener Faust seine Nachbarn bedrohen werde, wäre als verrückter Phantast verhöhnt worden.

Die Weltausstellung in New York bietet ein wunderschönes und doch verzerrtes Bild ihrer Zeit. Das Leitmotiv der Ausstellung, „Friede durch Verständigung“, ist ein wunderschönes Schlagwort, aber nie haben die Völker einander weniger verstanden. Selbst zwischen dem Gastland und den anderen Ländern klafft ein Spalt der Verständnis-losigkeit. Von den meisten Ländern haben die Vereinigten Staaten eine zu gute Meinung, und diese eine zu schlechte von den Vereinigten Staaten.

WIRD DIE WELTMESSE da' helfen? Die ausstellenden Länder stellen sich von ihrer besten Seite dar, meist einer besseren als in ihrer Heimat, nur Jordanien konnte sich eine kleine politische Hetze mit falsch gemischten Karten nicht verkneifen. Kontrolle der* Verhältnisse in den Heimatländern ist nur wenigen Besuchern möglich und daher nicht zu befürchten. Von der Leistungsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft bekommen die fremden Aussteller aus einem gleich zu erwähnenden Grund ein ganz falsches Bild. Aber das äußere Bild der Messe, die sich auf riesigem Grund, von einem Meeresarm bis zu einem See, erstreckt, ist faszinierend, am Abend noch mehr als bei Tag. Das Innere der Gebäude bietet eine so unglaubliche Fülle der Belehrung, daß man Wochen brauchen würde, um sie ganz aufzunehmen. Um nur ein kleines Beispiel hervorzuheben: Die National Cash Register Co. zeigt in ihrem Pavillon ein Blatt in der Größe von fünf zu fünf Zentimeter, auf welchem die 773.746 Worte des englischen Textes des Alten und des Neuen Testaments in vier Stunden reproduziert wurden. Mit diesem Verfahren könnten eine Million Bücher in einem Paket in der Größe 7,5 zu 12,5 zu 10 Zentimeter der Nachwelt aufgehoben werden.

Die meisten der fremden Pavillons sind recht gut gelungen, spiegeln den nationalen Charakter der Heimat gut wieder, sogar der Pavillon „Afrika“, der aber von Amerikanern, größtenteils weißen Texanern, errichtet wurde. Auch der Fortschritt in allen Winkeln Afrikas, der im Innern in schönen Bildern gezeigt wird, ist ausschließlich Weißen zu verdanken. Das Bild der Ausstellung wird von einigen großen Gebäuden, wie der Säule der Bill-Graham-Bewegung, und einer Nachbildung des Mormonen-Tabernakels von Salt Lake City, beherrscht. Sein Inneres verhält sich ' zu dem des Vatikan-Pavillons wie ein Öldruck zu einem kostbaren Gemälde. Das bezieht sich nicht nur auf die Pietä, die in phantastisch schönem Rahmen zur Geltung gelangt

DER ÖSTERREICHISCHE PAVILLON war vor der Eröffnung der Messe wohl der vollendetste. Das soll keine Schmeichelei sein, die er gar nicht braucht, denn er ist wirklich gut gelungen. Aber er ist seiner Vollendung näher als irgend ein anderer. Eine Woche vor der Eröffnung konnte man sich nur schwer vorstellen, daß diese Ansammlung teilweise sehr schöner Gebäude bis dahin fertiggestellt sein könnte, von der Innenausstattung gar nicht zu reden. Das ist ein Armutszeugnis, wenn man bedenkt, wie lange schon in und viele Kilometer um die Ausstellung gebaut wird, um die Zufahrt für Millionen zu erleichtern.

Das Armutszeugnis trifft aber nur einen Sektor der amerikanischen Wirtschaft, die Organisation der Arbeiter. Sie hat die Herstellungskosten künstlich um Hunderte von Millionen Schilling hinaufgetrieben, indem so gearbeitet wurde, daß das Schwergewicht auf Überstunden entfiel. Die fangen früh an, wenn zum Beispiel die Arbeitswoche der unentbehrlichen Elektriker auf 25 Stunden reduziert wird. Wenn ein Tischler für seine 35 Wochenstunden zu 135 Schilling „nur“ 4700 Schilling bekommt und sie sich durch Überstunden um 13.300 Schilling aufbessern muß, um auf seinen „Durchschnitt“ von 18.200 Schilling wöchentlich kommen, oder wenn man zur Entladung eines Lastautos mit Strauchwerk Mitglieder von fünf Gewerkschaften heranziehen muß,so werden die Gestehungskosten so verteuert, daß viele Aussteller abgeschreckt werden — und weniger Arbeiter beschäftigt werden. Das ist eine Illustration dafür, wie wirtschaftsfeindlich die Arbeitsregelung der USA wirkt, die künstlich Arbeitslosigkeit erzeugt.

Dadurch wird der Besuch der Ausstellung verteuert. Viele Pavillons müssen Sondergebühren ein-heben. Der Besuch aller Veranstaltungen innerhalb der Ausstellung, ohne Gaststätten, würde 3000 Schilling weit überschreiten.

ABER ZURÜCK ZUM österreichischen Pavillon, der vom Wiener Gustav Peichl entworfen wurde. Er ist einfach und eindrucksvoll. Die Wände des 1. Stockes sind mit großen Flächen österreichischer Landschaften und einer ausgezeichneten Photographie des Opernballs geschmückt. Sie zeigen das Touristenland. In einer Anzahl Schaukästen sind Gipfelleistungen österreichischer Industrie ausgestellt, die im Ausland nur durch solche wirken kann. Leider sind die Hersteller nicht angegeben, sondern müssen erst erfragt werden, was vielen Besuchern zu mühsam ist. Die Hauptzierde dieses Raumes wird das Kreuz von Bischofshofen sein, das noch nicht eingetroffen ist.

Das offene Erdgeschoß ist dem Kinderdorf gewidmet, diesem besten Erzeugnis und Exportprodukt österreichischer Erziehung und Gemütes. Wirtschaftsschau oben und Gmeiner unten bieten ein ausgezeichnetes Bild von Österreich. Das kann aller* dings nicht von den modernen Statuen gesagt werden, die recht unvermittelt den Eingang des Pavillons zieren. Sie könnten ebensogut vor irgend einem anderen Gebäude stehen und dort Begeisterung oder Kritik herausfordern.

WIE MAN DIE GESCHILDERTEN Arbeiterschwierigkeiten überwinden kann, hat die „Wiener-wald“-Kette gezeigt. Sie hat ihren Platz erst 40 Tage vor der Eröffnung gemietet. Sechs Tage vor der Eröffnung brachte ein Schiff das vorgearbeitete Baumaterial, die Einrichtung von der Küche bis zum Aschenbecher und — Bauarbeiter, die das Gebäude in sechs Tagen fertigstellten, das sofort dank der für die Messe relativ niedrigen Preise großen Zulauf fand. Der große Erfolg dieses von einem Österreicher gegründeten deutschen Unternehmens mit Sitz in München ist bekannt. Aber warum „Wienerwald“? Hilft die österreichische Marke halt doch einem deutschen Unternehmen beim Welterfolg?

Der wirksamste Exportartikel der meisten Länder sind hübsche Mädchen, wenn sie auch nur im Veredlungsverkehr nach den USA geschickt werden. Bei den meisten europäischen Ländern ist leicht festzustellen, wie die Feen Schönheit und Protektion miteinander rangen. Aus den asiatischen Ländern scheint Protektion auf diesem Gebiet verbannt.

Infolge der hohen Mieten und der enormen Baukosten muß auf der Messe alles sehr teuer sein. Die aufgeblähten Löhne während der paar Wochen Bauzeit müssen von den Besuchern durch zweimal sechs Monate in den Jahren 1964 und 1965 bezahlt werden. Vom Oktober 1964 bis April 1965 wird die Messe unterbrochen, was auch nicht ohne erhebliche Kosten ablaufen wird. Dennoch wird sie auch in finanzieller Hinsicht ein großer Erfolg sein. Schon jetzt ist sie selbst an regnerischen Tagen so voll wie eine andere bei strahlendem Sonnenschein. Das erste Wochenende hat schon 732.000 Besucher angezogen. Der Schweizer Skilift, der über die ganze Ausstellung reicht, und der „Monorail“ sind stets besetzt, vor den einzelr~ Gebäuden stauen sich Schlangen. Die Stadt New York hat auch alles getan, um den Zugang zur Messe zu erleichtern. Sie ist' vom Stadtzentrum mit der Bahn in 20 Minuten zu erreichen. Mit Helikopter oder Gleitboot geht es noch rascher.

HOFFEN WIR, DASS DER Erfolg der Messe durch keine politischen Ereignisse gestört wird wie die Weltausstellung in Rom von 1939/40. Er wird noch größer für New York sein, wenn die Besucher sich Zeit und Geld nehmen, die Kulturleistungen der Stadt, die ausgezeichneten Museen, Theater und Konzerte, zu besuchen; und für die USA, wenn der Gast nicht in New York steckenbleibt, sondern weiter ins Land reist, das in seinem westlichen Drittel — den Alpen und dem Himalaya vergleichbar — zu den schönsten der Erde gehört. Dort können sie den wirklichen Amerikaner kennen lernen, der sich von dem aus New York oder Chi-kago so unterscheidet wie der Pariser von dem Franzosen. Wer die Messe kennt, kennt noch nicht New York, und wer New York kennt, kennt noch lange nicht die Vereinigten Staaten.

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