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Je mehr der Glaube sinkt...

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Maria Bründl ist ein kleines, einfaches Holzkirchlein im Weiler Viehausen, fast verloren im Gestrüpp am Abhang zum Inn gelegen, daneben die Quelle, der Heilkraft zugesprochen wird. Maria Schneebauer zeigt diesen Ort, an den Menschen in Not und solche, die um Fürsprache hoffen, kommen. Gnadenorte wie diesen gibt es viele. Nicht nur die bekannten.

Einige Kilometer weiter, in Suben, ist Maria Schneebauer zu Hause: Die Bäuerin hat kein leichtes Leben; ihre Biographie weist Schicksalsschläge auf: als Dreijährigen hat sie ihren dritten Sohn durch einen Unfall verloren. Davon erzählt sie immer wieder. Aber viel mehr weiß sie von Gott und seinem Wirken zu sagen: Wunder - ja, Wunder sind wirklich. Resolut antwortet sie: Wunder sind die beste Waffe gegen den Satan.

Der sei in dieser Zeit überall am Werk. Denn die „Modernisten” zerstören den Glauben. Und darum geschehen Wunder? Je mehr der Glaube sinkt, desto mehr zeigt sich der Himmel, gibt sich Maria Schneebauer überzeugt. Sie zählt auf, was sie darunter versteht: Lichtzeichen wie in Fatima, Manifestationen wie die Verwandlung einer Hostie in Fleisch und Blut, Heilungen wie in Lourdes: all das ist wirklich.

Mit Heilungen hat auch Karl Ecker zu tun: Der Pfarrer von Gallspach hält seit Jahren Gottesdienste mit Heilungsfeiern ab. Hunderte kommen monatlich: In der Feier - er nennt sie „Krankengottesdienst” - folgt auf die Predigt ein Gebet um seelische Gesundung, am Schluß der Messe gibt es einen Ritus mit der Bitte um körperliche Heilung. Bewirkt das etwas? Ja. Vier bis fünf, so behauptet er, verlassen den Gottesdienst körperlich geheilt. Verschwundene Kopfschmerzen, die Rückbildung von Herzleiden, die Heilung offener Füße - das seien nur Beispiele. Wie viele ihre Seelenkrankheiten hinter sich lassen, wisse er gar nicht. Oft höre er erst viel später (oder gar nicht) von „Erfolgen”.

Begonnen hat sein „Heir'-Wirken 1979, erzählt Pfarrer Ecker, als ein spastisches Kind nach einer Gebetsstunde plötzlich stehen konnte. Seit damals weiß er sich dazu berufen, durch Gottesdienste Heilkraft für die Menschen zu erbitten.

Warum er das macht? Jesus habe den Auftrag an seine Jünger, „das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen”, nie zurückgenommen. Darum ist für den Pfarrer das Gebet nur die Fortführung dieses Auftrags. Er selbst bewirke ja nichts, denn Heilung komme durch Christus, der zum Glauben führen wolle. Und Heilung geschehe in vielen Fällen auch nicht so, wie man es

Wunder und Heilung als Teil der Frömmigkeit: Ein Besuch in Oberösterreich auf den Spuren eines Glaubens, der ebenso fremd wie vertraut lebendig ist.

sich wünsche: Warum jemand geheilt werde, liege nicht im menschlichen Ermessen.

Natürlich ist Karl Ecker schon in Lourdes gewesen, auch des öfteren in Medjugorje: Körperliche Heilung ist ihm da wenig begegnet. Aber darum geht es ihm auch nicht, meint er: Er will, daß aus Leid ein erlöstes Leid wird; dazu sollen die Gottesdienste und Gebete beitragen. Wenn Erlösung in der seelischen Kraft bestehe, auch schweres Leben zu meistern, dann sei dies auch eine Art Heilung.

Maria Schneebauer ist gleichfalls sicher, daß es zuerst um den Glauben geht: Wunder ohne Gottes Wirken gebe es nicht. „Die Sterne hat Gott zur Bewunderung erschaffen”, meint sie und argumentiert damit gegen die Astrologie: Wenn es da „Wunder” gebe, handle es sich um „Placebos”.

Gott will in der Welt wirken - so ihre Überzeugung. Und weil es so viel Unglauben gibt, muß Gott sich auch auf die Weise der Wunder zeigen: „Wenn ich jemandem von Gott bloß erzähle, glaubt er mir nicht so leicht, als wenn dieser durch ein Wunder von Gott erfährt”. Aber - ob mit Wunder oder nicht: Gott will die Umkehr. Deswegen können auch die Heilungen in Lourdes und anderswo nicht ohne Beziehung zu Gott verstanden werden.

Man muß Gott vertrauen - nicht den Menschen. Maria Schneebauer nennt den Fall der Olivia Pilhar, dem Mädchen mit dem Willms-Tumor, das der „Wunderheiler” Hamer nicht heilen konnte: Die FJtern von Olivia hätten da nur auf einen Menschen vertraut. Anders wäre gewesen, wenn sie Olivia der Muttergottes anempfohlen hätten: Urvertrauen in Maria - das prägt Maria Schneebauer stark.

Es gibt es für sie dennoch keinen Gegensatz zwischen der Inanspruchnahme von Ärzten und ihrem Glauben an Heilung und Wunder. Pfarrer Fxker denkt ähnlich: Er sieht seine Tätigkeit nicht als Konkurrenz zu den Ärzten, auch im seelischen Bereich: Er selbst schicke psychisch Kranke zum Psychotherapeuten.

Das wissenschaftliche Weltbild steht nicht im Widerspruch zu den Wundern? Die Wissenschaft, so Pfarrer Fxker, stelle nur einen Teil der Wirklichkeit dar. Auch sie - und die Medizin stehen im Dienste Gottes. Außerdem hält er Wunder für wenig sensationell: Im Alltag geschehe viel „Wunderbares”. Gott gebe sich durch alltägliche Zeichen zu erkennen, nur bisweilen durch größere. Vielleicht, da kommt Pfarrer Fxker dem Weltbild der Bäuerin Schneebauer nahe, sind heute Wunder notwendig, um der Entchristlichung entgegenzuwirken.

Aber braucht er Wunder, um zu glauben? Nein, sein Glaube stützt sich nicht darauf. Er habe seine Entwicklung noch vor 25 Jahren gar nicht für möglich gehalten, gar nicht damit gerechnet, daß ihn Gott zu diesem Dienst berufen werde.

Und wenn man Wunder nicht akzeptiert? Maria Schneebauer wird da emotionell: Das tun nur die, die vom Glauben abfallen. Es sei der Stolz, der entgegensteht. Und Stolz sei gegen Gott gerichtet. Zum Glauben gehöre jedoch Demut. „Die Stolzen stürzt er vom Thron”, zitiert sie aus dem Magnifikat. Gott könne - im Fall des Falles -auch Naturgesetze aufheben. Die Menschen jedoch seien nur imstande, die Welt zu zerstören: Nicht den Weisen hat Gott die Weisheit gegeben, sondern den Herzensgläubigen: diese werden seine Wunder erfahren.

Die Weltsicht der Maria Schneebauer aus Suben birgt Dramatik, auch Dämonisches lebt darin. Teufel und böse Geister sind eben* so manifest wie das heilsame Wunder: Es gehe um die Umkehr. Um die zu erreichen, gibt es die Warnungen Gottes. Ja, auch schreckliche Zeichen sende Gott, um Menschen zur Ufnkehr zu bewegen.

Der Glaube zeigt den Ausweg und läßt alle Zweifel versiegen: Maria Schneebauer beeindruckt in ihrer Sicherheit. Auch in Gall-spach geht es dem Pfarrer um die Umkehr. Von bösen Mächten redet er nicht. Aber davon, daß seine Krankengottesdienste auch Menschen in die Kirche zurückgeführt haben.

Schon allein das hält er für ein Zeichen, daß es sich nicht nur um ein paar Zere-nonien handelt.

Instanz im Menschen nicht der Körper oder die Seele, sondern der Geist ist: Geist als Ausdruck einer ganzen oder gesamten Person -' Heilung ist Manifestation der Ganzheit.

UHvFuRCHE: Hat Religion mit diesen Prozessen zu tun3

Sei ionreck: Ich bin von der Bedeutung einer spirituellen Dimension überzeugt. Darunter verstehe ich das Bewußtsein, in ein höheres Ganzes eingebettet zu sein.

OIeFlirciiE: Was bedeutet das für das Heilwerden?

schönheck: Heil werden heißt ganz werden. Das ist also ein vertrautes Eingebettetsein in den eigenen körperlichen Organismus, aber auch in die Welt. Das hat auch Konsequenzen - buchstäblich für Leben und Tod: Heilung bedeutet nicht unbedingt, in jedem Fall körperlich zu überleben. Anders gesagt: man kann gewisser -massen „geheilt” sterben. Man muß sich wegbewegen vom üblichen Schema von gesund und krank.

DIEFURCHE: Ist hier ein Widerspruch zu einem „schulmedizinischen” Begriff von Heilung?

schon beck: Nein. Ich gehe nur darüber hinaus. Jeder gute Arzt, ob bewußt oder unbewußt, wendet sich an den ganzen Menschen, der sich ihm anvertraut. Zweifellos hat die vorherrschende naturwissenschaftliche Sicht der Medizin viele Fortschritte gebracht. Sie hat meine volle Anerkennung und ist auch Basiswerkzeug meines ärztlichen Handelns. Sie ist aber armselig - bezogen auf die menschliche Person und ihr Potential. Ich sehe eine Gefahr, wenn sie in ihrer Beschränktheit und Kälte selbst zur Beligion wird.

OIeFurcHE: Versuchen Sie, in Ihren Patienten die religiöse Dimension zu wecken?

Schonbeck: Die ist sehr wach. Häufig liegt in diesem Bereich sowohl das Leid als auch die Heilung. Hier ist Demut notwendig - vor den Problemen, die es gibt, vor dem anderen Menschen, vor dem, was nicht erklärbar scheint ... Heilung kommt oft auch über eine demütige Haltung zustande.

DlKFlJRCIIE: Was aber, wenn alle Bemühungen um Heilung nicht zum Erfolg führen?

schön beck: Wenn der „Erfolg” nur darin besteht, den Menschen vor dem Sterben zu bewahren, dann versagt jede Medizin. Für mich erscheinen Phasen in Todesnähe besonders wichtig. Diese sind oft die reichsten und wertvollsten, die menschlichsten und mitunter auch die lebendigsten Phasen eines ganzen Lebens. Das „Wunder” ist für mich nicht so sehr das Spektakuläre, z.B. wenn ein Blinder sehend wird, sondern Wunder manifestiert sich für mich in jenem Heilungsprozeß, in dem der Mensch plötzlich seinen Weg erkennt und

Sinn in seinem Leben findet. Es wundert mich überhaupt nicht, wenn einer plötzlich keinen Krebs mehr hat; oder wenn einer meiner Patienten mit fortschreitender Verkrümmung des Bückgrates bei Bechterew'scher Erkrankung nach jahrelanger Behandlung alle Medikamente wegschmeißt und wieder gesund wird, wundert mich das wenig. Für mich ist das Alltag: die sogenannten Wunder, die man für die Öffentlichkeit aufbauschen könnte, finden tagtäglich statt.

DIEFURCHE: Nach einer Periode der Technikgläubigkeit ist jetzt die Sehnsucht nach W'indem wieder virulent schönbkck: Die Menschen erleben die Trostlosigkeit der naturwissenschaftlichen Medizin, die letztlich ein technokratisches, hoffnungsloses Menschenbild kreiert. Sie glauben nicht mehr daran, daß der Mensch eine Art Maschine ist, die - wenn man lang genug mit den herkömmlichen „naturwissenschaftlichen” oder auch „alternativen” Methoden herumdoktert - zu reparieren ist.

DIEFURCHE: Sind Menschen, die „wundergläubig”, also den Wundern verhaftet sind, nicht auch gefährdet? schön beck: Die Gefahr ist der Bea-litätsverlust. Man darf nicht unkritisch mit sich selbst umgehen. Auch _ ich habe im Fall von Krebs erlebt, daß sich Patienten ganz von der Schulmedizin abgewandt und nur auf sogenannte „Wunderheiler” verlassen haben - und dann besonders leidvoll gestorben sind. Die Angehörigen haben sich dann mit schweren Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen in meine Behandlung begeben. Sie wurden von Wunderheilern eindeutig verführt und mißbraucht. Möglichkeiten und Weltbild der Schulmedizin sind beschränkt - sie steht aber auf einem vergleichsweise sicheren Boden.

DIEFURCHE: Gibt es Wunder, die krank machen?

SCHÖNBECK: Das wäre die Frage nach dem „negativen” Wunder, etwa dem „bösen Zauber”: Ich glaube, daß „Wunder” und „böser Zauber” nahe beieinander liegen. In jenen Weltgegenden, in denen Heiler noch zum Alltag gehören und im Bewußtsein der Menschen stärk verankert sind, ist es selbstverständlich, daß es „gute” und „böse” Heiler gibt -: oder beide Komponenten sogar in einer Person. Auch das wundert mich nicht.

DIEFURCHE: Wenn also Heilung viel mit (fruchtbarer) Begegnung zu tun hat, wie steht es dann mit ihrem Gegenteil

Schönbeck : Vergleichen Sie diese Ebene mit der Wirkung von Medikamenten: Ein gutes Arzneimittel kann viel bewirken, aber gleichzeitig ist es giftig - also eine Gefahr. Heil und Un -heil liegen immer nahe beieinander.

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