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Jedermann -ein Jausenstuck?

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Befremdliche Nachrichten kommen aus dem Salzburger Fest-,spielbezirk: ein Schauspieler, der im heurigen Sommer vor dem Dom den Jedermann darstellen sollte, und ein Regisseur haben dem Direktorium der Festspiele mitgeteilt, daß ihrer Meinung nach Hofmannsthals „Jedermann“ nicht, wie bisher üblich, zur späten Nachmittagsstunde, sondern abends gespielt werden soll. „Der Jedermann ist kein Jausenstück“, so ließ sich der Schauspieler Oskar Werner im Einvernehmen mit dem Regisseur Werner Kraut vernehmen.

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Befremdliche Nachrichten kommen aus dem Salzburger Fest-,spielbezirk: ein Schauspieler, der im heurigen Sommer vor dem Dom den Jedermann darstellen sollte, und ein Regisseur haben dem Direktorium der Festspiele mitgeteilt, daß ihrer Meinung nach Hofmannsthals „Jedermann“ nicht, wie bisher üblich, zur späten Nachmittagsstunde, sondern abends gespielt werden soll. „Der Jedermann ist kein Jausenstück“, so ließ sich der Schauspieler Oskar Werner im Einvernehmen mit dem Regisseur Werner Kraut vernehmen.

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Wem widerspricht er da? Wen will er belehren? Wer hat jemals den Hofmannsthalschen „Jedermann“ als „Jausenstüek“ bezeichnet? Ein Wiener. Boulevardblatt, das schon vor mehr als zehn Jahren gegen den Salzburger „Jedermann“ polemisiert hat, meint dazu, dieser Vorschlag sei „keineswegs neu und im Interesse einer Belebung bereits erstarrter Traditionen sogar vernünftig und zu begrüßen“. Der Plan fände bei einem Teil des Direktoriums, vor allem bei Karajan (wir konnten diese Behauptung nicht nachprüfen) lebhafte Unterstützung. Anscheinend jedoch, glücklicherweise, nicht bei allen. Denn man hat kurzerhand entschieden, den „Jedermann“ 1969 Leopold Lindtberg anzuvertrauen und die Titelrolle von Ernst Schröder spielen zu lassen. (Die Buhlschaft wird Christiane Hör-biger darstellen, den Mammon Heinrich Schweiger und den Teufel Heinz Reincke; über die Besetzung der übrigen Partien wird noch verhandelt.)

Damals, vor Jahren, hieß es, der „Jedermann“ sei veraltet. Was ginge das Sterben eines einzelnen uns noch an, uns, die wir ganz-andere Tragödien und solche von Hunderttausenden miterlebt haben. Da diese Argumente nicht recht „zogen“, da das Publikum nach wie vor zum „Jedermann“ drängt und von dem alt-neuen Spiel ergriffen ist, scheint man nun, gewissermaßen auf Umwegen, ein Attentat auf den „Jedermann“ vorzubereiten. Dem Werk eines katholischen Geistlichen aus der Zeit Eduards IV. nachgedichtet, ist der deutsche „Every-man“ der erste Versuch, in unserer Sprache das mittelalterliche Mysterienspiel zu erneuern. Hofmannsthal schrieb sein Stück nämlich schon 1910 bis 1911, und unmi.ttelbair darnach wurde unter der Regie Max Reinhardts der neue „Jedermann“ in Berlin gespielt. Er reflektiert die geschichtliche und soziale Wirklichkeit einer saturierten Zeit — und übt an ihr Kritik. Über seinen „Stoff“ schrieb Hofmannsthal: „Sein eigentlicher Kern offenbarte sich immer mehr als. menschlich absolut, keiner bestimmten Zeit, nicht einmal dem christlichen Dogma unlöslich verbunden: nur daß dem Menschen ein unbedingtes Streben nach dem Höheren, Höchsten dann entscheidend-zu Hilfe kommen muß, wenn sich alle irdischen Treu- und Besitzverhältnisse als scheinhaft und löslich erweisen, ist hier in allegorisch-dramatische Form gebracht, und was gäbe es Näheres auch für uns?“ Und in seiner großen Berner Rede aus dem Jahr 1917 fragt Hofmannsthal seine Zuhörer, ob nicht das Geld die Kraft habe, sich an die Stelle Gottes zu setzen? Und ein seltsamer Gedanke kommt ihm, abschreckend durch die Blasphemie und verlockend durch die Folgerichtigkeit: daß die Universalität, die Allmächtigkeit, die Aufhebung aller Gegensätze beiden: Geld und Gott, gemeinsam sei.

So hat jedes der „Jedermann“-Gleichnisse seinen höheren und tieferen Sinn, man muß sich nur die Zeit nehmen, ein wenig darüber nachzudenken. Das wäre fruchtbarer, als den „Jedermann“ mit einer Geste abzutun.

Doch derzeit geht es — und hoffentlich nur! — um Fragen der szenischen Realisierung. Und da scheint uns das Zukunftsprojekt nur Nachteile — und keine Vorteile zu bringen. Abgesehen davon, daß von Reinhardt die schwindende Sonne und die von den umliegenden Bauten auf die Bühne fallenden Schatten gewissermaßen „eingeplant“ worden sind: jede Abendvorstellung würde das große Festspielhaus blockieren beziehungsweise die Zufahrt zum Kleinen Haus, die umgeleitet werden müßte, erschweren. Auch haben wir es erlebt, daß der „Jedermann“, der auch auf eine vorwiegend fremdsprachige Zuhörerschaft eine Zugkraft und Wirkung ausübt, wie kaum ein anderes Stück innerhalb der letzten 50 Jahre diese Wirkung stärker im Freien als im geschlossenen Raum spüren läßt: vor den Domen von Basel und Freiburg, vor der Ruine der Hersfelder Stiftskirche und andernorts. Der Eindruck einer Freilichtaufführung ist bei Tageslicht aber viel besser als bei künstlicher Beleuchtung. Wir wissen nicht, was die Herren Werner und Kraut vorhatten. Jedenfalls ist der „Jedermann“ die denkbar unpassendste Gelegenheit, sich in Szene zu setzen. Und die Mehrauslagen, welche durch den Aufbau einer neuen Beleuchtungsanlage für Bühne und Domplatz erwachsen würden, seien nur am Rande erwähnt. Wenn man sich aber entschließen sollte, ihn ins große Haus zu transferieren, dann greife man doch auf die Inszenierung Gottfried Reinhardts von 1961/62, mit den Bühnenbildern und Kostümen von Tony Duquette, der Musik Ernst Kreneks und der Choreographie Heinz Rosens, zurück.

Und noch etwas sei einmal mit aller Offenheit ausgesprochen: Der Salzburger „Jedermann“ ist kein Stück für die Kritiker, die ihn schon ein Dutzendmal und öfter gesehen haben. Er ist vielmehr ein sehr wesentlicher und bewährter Bestandteil des Salzburger Festspiel-programmes — und als solcher für die vielen Gäste aus dem In- und Ausland bestimmt, von denen viele ihn zum erstenmal sehen und die um das Erlebnis eines in seinem Kern immer noch „aktuellen“ Mysterienspieles bereichert werden. Sollte man jedoch an seine Absetzung denken, so möge man dies offen sagen und rechtzeitig bekanntgeben, was man an seiner Stelle auf dem Domplatz aufzuführen gedenkt.

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