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„Jedermann“ geht alle an
Auch 1995, zum 75- Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele, steht der „Jedermann" auf dem Programm. Was macht die Faszination des Spiels aus?
Auch 1995, zum 75- Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele, steht der „Jedermann" auf dem Programm. Was macht die Faszination des Spiels aus?
Am 22. August 1920, genau um fünf Uhr nachmittags, war der Domplatz von Salzburg bis zum Bersten mit Österreichern und Bayern an- gefüllt”, schrieb ein Zeitgenosse. Auch heute noch strömen die Zuschauer in Scharen dorthin, alle Vorstellungen sind lange im vorhinein ausverkauft. Wie schon seit 1985 nach dem Tod von Ernst llaeusser- mann wird auch 1995 Gernot Friedel der Regisseur der Aufführung sein. Wirkt auch in unserer Zeit die religiöse 1 limcnsion dieses Stückes?
Friedel, gebürtiger Tiroler und katholisch, verweist auf die jahrhundertealte T radition des Stoffes nicht nur im deutschen Sprachraum. Das Thema sei immer wieder in Variationen in Spanien, "Portugal, Italien, England oder Irland präsent gewesen. Hugo von Hofmannsthal habe das mittelalterliche englische „The Summoning of Everyman“ (Die Vorladung Jedermanns) im Grunde nur bearbeitet.
„In den deutschen Sprachraum brachten es jüdische Künstler um die Jahrhundertwende in einer Art Vorahnung der Katastrophe. Viele dieser Künstler haben damals zum katholischen Glauben gefunden und sozusagen Einstandsgaben mitgebracht“, meint Friedel. Die geniale Bühnenlösung Max Reinhardts hätte das Stück am Leben erhalten.
„Jeder Mensch hat seine Auseinandersetzung mit dem Tod, auch heute, seine Auseinandersetzung mit der Liebe, mit dem, was man getan hat in seinem 1 .eben, mit Prioritäten zwischen Geld und was weiß ich. Das Stück führt weg vom katholischen Zeigefinger zum inneren Dialog. Solche Auseinandersetzungen bleiben niemandem erspart. Die Menschen schieben sie gerne von sich weg, und bekommen sie lieber auf der Bühne vorgespielt“, interpretiert Friedel.
Aber ist eine Glaubensauseinandersetzung in unserer Zeit mit all ihrer Komplexititat auf diese Weise möglich?
IDEAL-JEDERMANN GESUCHT
„Meist findet diese noch viel lächerlicher statt als auf dem Domplatz. Die Personifikationen von Glaube, Werken, Tod, Teufel erlauben einen Dialog, den die Kirche ja zunehmend verwehrt. Freilich wirft sie immer noch Bettungsanker aus, die von vielen Menschen genutzt werden. Je realistischer die Menschen zu denken beginnen, desto weiter entfernen sie sich davon. Aber der Zulauf bleibt. Als Mittelstandsintellektueller von einem Balkon auf der Seite aus auf dieses Bemühen herabzuschauen, ist einfach zu wenig!“ Und: „Jeder möchte doch gerne der tolle Mann sein mit Macht und Anspruch, dem die Frauen zufliegen. Dieses Traumbild des kleinen Mannes wird zertrümmert, nach kirchlichen Regeln“ hebt Friedel die Identifikationsmöglichkeit hervor.
Große Schauspieler hätten die unendliche Vielschichtigkeit der Figur des Jedermann auf dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen vermittelt. Alexander Moissi, der erste Jedermann, Attila Hörbiger, Will Quadflieg, Curd Jürgens, Klaus Maria Brandauer, Helmut Löhner und im nächsten Jahr Gert Voss seien verschiedene Jedermänner, jeder von ihnen hebe einen bestimmten Aspekt der Figur besonders hervor. Schon Max Reinhardt habe immer nach dem Ideal-Jedermann gesucht. Entweder sei er mehr der Lebemann des ersten Teiles oder mehr der reuige Sünder des zweiten. Viele große Schauspieler hätten diese Rolle als ihre schwierigste bezeichnet.
Daß Peter Stein den „Jedermann“ bereits unter „Brauchtum“ einreiht, zeigt laut Friedel auch bei ihm einen Lernprozeß.
Und wie steht Friedel zur Neudichtung des Stoffes? Peter Handke habe kundgetan, daß er nicht wüßte, was er an diesem Stück verändern könnte, lediglich das sprachliche Kleid zu verändern, sei zu wenig. Dramatiker, die im Katholischen aufgewachsen seien und eine gewisse literarische Qualität erreichten, seien immer rarer.
Und was hält Friedel von Felix Mitterers 1991 im Theater in der Jo- sefstadt aufgeführtem aktualisiertem „Ein Jedermann“? „Eine Katastrophe. Das Stück ist weit hinter der jahrhundertealten Jedermann-Geschichte zurückgeblieben. “
Wenn man die Aufführung erneuern wolle, müsse man den Platz verlassen, meint Friedel. Fast ein Jahrzehnt haben Reinhardt und Hofmannsthal über den Aufführungsort diskutiert. Ihr Konzept ist einfach und schlüssig und funktioniert speziell an diesem Ort. „Um da wirklich etwas zu erneuern, müßte man ein anderes Umfeld suchen. Die Zuschauer auf einer drehbaren Pawlatschen zu plazieren oder im Bühnenhintergrund große Spiegel anzubringen, sind keine neuen Lösungen. „Aber wer verwendet heute schon ein Jahrzehnt für die Planung eines Konzeptes?“ Natürlich könne man beispielsweise in der Naöht spielen - aber dann kann auch eine Kirchenfassade in Rom den Hintergrund bilden.
Für nächstes Jahr geht es darum, rund um Gert Voss eine entsprechende Besetzung zu finden. Erwünschte Namen will er derzeit aber noch keine nennen.
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