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Jenseits, von Links und Rechts

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Der Titel gemahnt an Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“; irgendwie wird Erinnerung an Romain Rolland wach, der im vorigen Weltkrieg bestrebt war, .au dessus de la mS16e“ zu bleiben. Haben wir ein paar Seiten auf dieser Fahrt durch Geschichte und Gegenwart hinter uns, dann sind uns auch die Geister von Stefan George — .Untergänge“, „Stürze“, „Brüche“, „Zwänge“ —, von Bergson, Husserl, Spengler erschienen und ab und zu blickt uns ein vertrautes Antlitz Lebender an: Kaßner, Nadler, Heidegger, Jaspers, Klages, Croce. Wer zählt die Völker, nennt die Namen? Denn Cysarz hat erschreckend viel gelesen und er hat zu allem und jedem etwas zu sagen. Bequemte er sich nur, das in einer weniger geschwollenen Sprache zu tun! Es ist, als sollten seine Wort-Neubildungen — mitunter ganz gefährliche, wie „Unleblichkeit“, „Geschehentlich-keit“, „eine Schmeiße“ (kein Druckfehler, bitte) — sich zu einer großen Warnungstafel vereinen, die den nicht berufmäßig an der philosophischen Baustelle Beschäftigten den Eintritt verbietet. Und das ist schade. Denn er hat die Gabe zu glänzendem Formulieren seiner Ansichten und Einsichten.

Es ziemt der vordringlich dichterischen Artung Cysarz', eines Forschers aus echt romantischem und in echt romantischem Geist, daß wir bei seinen Werken von ihrer Gestalt ausgehen und erst danach ihren Gehalt betrachten. „Jenseits von Links und Rechts“ verteilt seine Aussagen auf vier wissenschaftliche Abhandlungen und auf fünf Gespräche Todgeweihter. Neunmalweise tritt uns das Leitmotiv des Buches entgegen: nach den Schrecken eines der ungeheueren, ungeheuerlichen Umbrüche, in denen die Geschichte, das unaufhörliche Werden, den Menschen schmerzlich ihr Sein bestätigt, am Grabe eines Aeons und an der Schwelle einer neuen Epoche, tut uns not, nicht etwa die unmögliche Rückkehr zur Vergangenheit, sondern „Umwertung der individuellen Energien in universelle, mehr Vergesellschaftung der klassischen und Versachlichung der romantischen Ideale, mehr religiöse Durchdringung der Wirklichkeit und der Menschlichkeit und .die Sammlung aller Energien in die Baukraft, Ordnungskraft des Vierten Weltalters“. (Seite 85, 89).

Auf diese praktisch anwendbare Erkenntnis steuert die prüfende Analyse der Befunde im Titelaufsatz, Zur Geisteslage der Gegenwart, zielbewußt hin. Cysarz darf auf den Beifall aller Unverblendeten rechnen, wenn er über die „cäsarischen Kleinbürger“ höhnt, die die Weltgeschichte zum Kitschfilm verzerrt, .Schicksale der Millionen an subjektive Ekstasen verraten haben“ (Seite 12), wenn er feststellt, es gebe „in jedem Volk ... Sieger und Besiegte ... Rechte der Mehrheit und Rechtlosigkeit der Minderheiten (Seite 14), die „Volksgemeinschaft sei „zum Konzentrationslager, zuerst für die Gegner, dann immer mehr auch für die Anhänger“ geworden (Seite 37). „Macht ist stärker als Geld, ... als Bildung, ... als Können“ (Seite 38) und darum erweise sich das 20. Jahrhundert, nach dem der Sachwissenschaft und der Technik, als das der Kol-lektivisierung und ihrer Macht (Seite 41). Daran sei nichts zu ändern, wohl aber müsse man die Macht durch den Zweck heiligen, dem sie dienen soll; den ein gläubiges Gewissen in Werken der friedlichen Technik erblickt (Seite 79). Stellt Cysarz unserem schwer leidenden Zeitalter nun eine richtige Diagnose und seiner Therapie ein gültiges Endziel, so sind wir nicht mit allen seinen Heilmethoden einverstanden, noch billigen wir ganz die Anamnese, die er seinem ungeduldigen Patienten bietet. Der geistmächtige und geistbesessene Gelehrte übersieht, daß — wie es so schön in einer Fabel Kra-sickis heißt — „der Kluge im Disput obsiegt, doch vom Dummen die Prügel kriegt“. Kernproblem in einer heraufsteigenden Massenepoche wird sein, den Herrschenden, die triebhaft den Geist verabscheuen, den sie nicht besitzen, einen Glauben zu bieten, der sie völlig unterwirft. Wehe, wenn es ein falscher Glaube ist; Heil und Segen, wenn es der wahre Glaube sein wird; der sich indessen nicht in eine vage Gefühlsreligion auflösen darf, die den „Gott der Beter und der Mütter“ samt dem Dogma den Armen im Geiste überläßt. Wichtig sind ferner, eine Wirtschaftsordnung, die den Massen als gerecht erscheint, eine Staatsordnung, die Autorität mit Freiheit paart. Vor allem aber brauchen wir wiederum Sicherheit, Stabilität (worüber Cysarz Seite 55 zu schnell hinweggleitet). Es ist die Hauptschwäche seiner romantischen Weltanschauung vom ewig rastlosen Werden, daß er die Bedeutung der Ruhe, des so schönen Augenblicks, der verweilt, nicht zu begreifen vermag. Und das wurzelt in einem methaphysischen Gegensatz zum Christentum. Während bei diesem die Unruhe zu Gott, der in sich vollendeten Ruhe, führt-, während den Gläubigen das Werden, der Wechsel Plagen unserer irdischen Existenz dünken, empfindet Cysarz, durchaus romantisch, den Stillstand als düsteres Verhängnis, als Geistestod. Hält er nicht dem Fortschrittsideal entgegen, daß es eschatologisch einem Endziel zustrebe, das, erreicht, Unbewegtheit beschere?

Mit dieser Position des Verfassers haben wir zu zählen, wenn wir die Längsschnitte beschauen, mit denen er „das Wagnis Mensch“ abzubilden sich bemüht. Er verschmilzt, Croce sein Bürge, Geschichte und Philosophie! er beteuert nochmals „alle Wirklichkeit, Natur und Geschichte“ sei „unentrinnbar ein Werden“ (Seite 93), während doch die Geschichte weserihaft nur eine Aufeinanderfolge ist. Cysarz faßt sie, sehr mit Recht gegenüber der trostlosen Formel Theodor Lessings von der Sinngebung des Sinnlosen, als Sinndeutung des Sinnvollen auf. Allein, dadurch wird nicht die Tatsache ausgelöscht, daß Geschichte nur ex post, als Einsicht in Zusammenhänge zwischen dem Heute und dem Einst vernunftgemäß ist, nicht aber als ein Werden, das heißt als ein planvoller Vorgang, der mit naturgesetzlicher Notwendigkeit von einem Ausgangspunkt zu einem vorauszusehenden Ziel führt. Sehr gescheit erklärt ja Cysarz, wie hoffnungslos das Unterfangen ist, künftigen Ablauf des Geschehens aus der Erfahrung an Vergangenem vorherzusagen (Seite 116). Dazu paßt vortrefflich alles das, was Cysarz im besten der drei „Längsschnitte“ über „Freiheit, Schicksal, Verantwortung“ erweist: die an der Geschichte sichtbare Freiheit des menschlichen Willens, die sich mit der steten Einwirkung höherer Schicksalmächte, also mit dem vereinbart, das wir als Verhängnis (im guten und im bösen Wortverstand) bezeichnen. Im dritten Aufsatz, „Vom Fug des Schaffens“, wandelt Cysarz in jenen Bezirken der Naturwissenschaft, darin er mehr als Gastrecht beansprucht und in denen er sich als kundiger Führer dartut. „Menschliche Geschichte fußt in der stets möglichen Bewußtheit und Gegenwart des Seins inmitten des Geschehens, im aufgegebenen Zusammenhang alles Irdischen Tuns und im unmittelbaren Aug-im-Aug jedes Ich mit dem All“ (Seite 213). Mit andern Worten, der freie Wille des einzelnen wird in jedem Moment durch eine Vielfalt der Gegebenheiten beeinflußt und korrigiert. Wie diese Begegnung des menschlichen Willens mit dem harten Verhängnis aussieht, im Leben und im Tod, das klagen uns die „Gespräche im Dunkel“. Sie rufen uns das unendliche Leid ins Gedächtnis, das über die Opferer und über die Opfer des zweiten Weltkriegs hereingebrochen ist, über Deutsche und Juden, über rechte und linke Schacher, über alle, alle. Die sich im Niemandsland, im Jenseits (nicht nur in dem von Rechts und Links) treffen. Geistreich im Ausdruck, expressionistisch in ihrem Geist, sind diese Szenen aus einem Sein zum Tode ein Zeugnis dafür, daß Cysarz vor allem ein Dichter ist. Dem freilich zu wünschen wäre, daß er sein Pathos der Ironie und auch die Ironie seines Pathos vor unfreiwillig-unbeabsichtigter Komik bewahre. So ist es vor allem der Poet Herbert Cysarz, den wir im Philosophen und im Literarhistoriker am höchsten schätzen

Univ.-Prof. Dr. Otto Forst de B a 11 a g 1 i a

Die vertauschten Köpfe. Eine indische Legende. Von Thomas Mann. Mit Zeichnungen von Hans Fronius. Bermann-Fischer-Ver-lag.

Es Ist der Gegensatz zwischen Geist und Schönheit, zwischen körperlicher Wohlge-schaffenheit und Verstandesschärfe, den Thomas Mann in indischem Gewände darstellt. (Wir kennen dieses Thema aus den „Buddenbroocks“, aus „Tonio Kröger“, „Königliche Hoheit“ und anderen Werken.) Die an sich schreckliche, tragische Geschichte wird so spielerisch und ironisch vorgetragen, daß jene spezifische Stimmung entsteht, die auch die Joseph-Romane auszeichnet. „Es wäre zu wünschen“, heißt es im Vorspruch des Autors, „daß die Zuhörer sich an der Festigkeit des Uberliefernden ein Beispiel nähmen, denn fast mehr Mut gehört noch dazu, eine solche Ge-•diichte zu erzählen, als sie zu vernehmen.“ — Die schöne Inderin Sita nämlich steht zwischen zwei Männern: zwischen Schridaman aus dem vedakundigen Brahmanengeschlecht mit dem schönen, edlen Haupt und dem schmächtigen Körper, und zwischen Nanda, dem Schmied und Kuhhirten, ziegennasig und wulstlippig, aber von kräftig-athletischem Körperbau. Alle drei sind unglücklich: der Weise, weil er von seiner Frau nicht wahrhaft geliebt wird, der starke Nanda, weil er die schöne Sita nur au9 der Entfernung bewundern darf, und Sita selbst, da ihr Gefühl zwischen den beiden Männern schwankt. Da bringt eine Situation, wie sie nur die Legende heraufzubeschwören vermag, Sita die Gelegenheit, die Köpfe der beiden Männer zu vertauschen. Nun sind die Vorteile und die Schwächen sehr ungleich verteilt: Geist und Kraft bei dem einen, Einfalt und ein schwacher Körper bei dem anderen. Die Wahl würde der schönen Sita auch ohne die Entscheidung eines Eremiten leicht gefallen sein. So wird denn der eine, vom Schicksal Bevorzugte, als Sitas Mann glücklich, während der andere, Nanda — das ist der Mann mit Nandas Kopf —, traurig in den Wald zieht, um selbst Eremit zu werden. — Soweit hätte die Geschichte auch von einem anderen erfunden sein können, ja sie hätte an dieser Stelle enden können: grausam und ungerecht wie ein Märchen. Aber nun beginnt ein geistreiches Spiel: unter dem Einfluß seines kräftigen Körpers verliert das Haupt Sduidamans an Geistigkeit, während beim anderen der Kopf unter der Einwirkung des zarten Körpers weicher und gedankenvoller wird. So entsteht allmählich eine Synthese, eine Gleichgewichtslage zwischen Geist und Körperkraft, welche die arme Sita in neue Gewissens- und Herzenskonflikte stößt. Die Situation ist vollkommen- ausweglos, es gibt für alle Beteiligten keine moralische Lösung, und die beiden Männer beschließen, sich im Zweikampf zu töten. Sita aber besteigt als doppelte Witwe den Scheiterhaufen.

Diese Geschichte ist insofern mehr als ein geistreiches Spiel, als hier die tragische Lösung angedeutet ist, zu welcher der Gegensatz Geist-Körper im Werke Manns führen könnte, wenn nicht die Ironie immer wieder ein Ausweichen oder Darüberwegspielen ermöglichte.

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