Günter Brus - © APA-FOTO: ANDREAS PESSENLEHNER

Günter Brus zum 70er: „Jetzt rinnt mir der Saft wieder“

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Aus Anlass seines 70. Geburtstags spricht Günter Brus im FURCHE-Interview über seine Distanz zu Otto Muehl und Hermann Nitsch, sein mangelndes Interesse an – zumal österreichischer – Politik, unsere „kunstkranke“ Gesellschaft und die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen und dem privaten Brus.

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Aus Anlass seines 70. Geburtstags spricht Günter Brus im FURCHE-Interview über seine Distanz zu Otto Muehl und Hermann Nitsch, sein mangelndes Interesse an – zumal österreichischer – Politik, unsere „kunstkranke“ Gesellschaft und die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen und dem privaten Brus.

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DIE FURCHE: Zu Ihrem Siebziger werden Sie mit zahlreichen Events geehrt. Ist es eine Genugtuung, so gefeiert zu werden, während Sie einst als „meistgehasster Österreicher“ galten?

Günter Brus: Ich kann mit Jubiläen nichts anfangen, da Zahlen im Leben keine Rolle spielen. Mir sind ja auch Jahrtausend- oder Jahrhundertwenden äußerst suspekt.

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DIE FURCHE: Haben Sie keine Angst vor Alter, Krankheit und Tod?

Brus: Noch nicht. Wenn es heute aus wäre, würde ich einfach „a schöne Leich“ abgeben. Ich möchte bis zum letzten Atemzug arbeiten, auch wenn ich jetzt schon abtreten könnte, da ich bereits genug hinterlassen würde.

DIE FURCHE: 2008 feiert auch das Jahr 1968 Jubiläum. Welche Relevanz hat die „Uniaktion“ für Sie rückblickend?

Brus: Für mich und meine Familie war es ein großes Glück, dass wir, so schwierig es auch war, fortgejagt wurden. In Berlin habe ich schnell Karriere gemacht – in Wien hätte es sicher zehn Jahre länger gedauert. Und für Österreich war es ein enorm wichtiges Ereignis. Was wäre 1968 ohne die „Uniaktion“ gewesen?

DIE FURCHE: Warum haben Sie mit Ihren damaligen Aktionismuskollegen gebrochen?

Brus: Mit Otto Muehl möchte ich aufgrund der Ereignisse in der Kommune nichts mehr zu tun haben. Ich habe selbst eine Tochter und lehne das, was er getan hat, entschieden ab. Mit Hermann Nitsch habe ich nicht gebrochen, sondern nur eine divergierende philosophische Meinung. Ich halte ihn als Gesamtpersönlichkeit für enorm wichtig und diszipliniert, allerdings liege ich, was die Frage der Religion betrifft, ganz woanders.

DIE FURCHE: Inwiefern?

Brus: Obwohl Nitsch behauptet, dass er panreligiös sei, finde ich den Überhang von Katholizismus in seiner Kunst enorm; seiner Vorliebe für Mythen und christliche Legenden kann ich nichts abgewinnen. Ich habe schon als Schüler Sagen von Drachentötern und Helden gehasst.

DIE FURCHE: Spielt Spiritualität in Ihren Arbeiten nicht auch eine Rolle?

Brus: Spiritualität hängt bei mir nur mit Spirituosen zusammen.

DIE FURCHE: Einen Tag nach Ihrem Geburtstag finden Nationalratswahlen statt. Verfolgen Sie den Wahlkampf?

Brus: Ich kann dazu nur lächeln! Was ich allerdings gut finde, ist, dass es jetzt keine echten Polarisierungen mehr gibt; alle Parteien zusammen ergeben einen gemischten Salat.

DIE FURCHE: Und gemischten Salat mögen Sie?

Brus: Nein, aber Neuwahlen mussten kommen. Die letzte Zeit war zum Einschlafen, Regierung und Bevölkerung sind ja regelrecht dahingedämmert. Aber ich bin nicht sehr gespannt, wie die Wahlen ausgehen.

DIE FURCHE: Interessiert Sie der amerikanische Wahlkampf mehr als der heimische?

Brus: Ja, weil vom Ausgang der amerikanischen Wahlen auf der ganzen Welt sehr viel abhängt, etwa das Ende des Irakkriegs. Der österreichische Ausgang hat keine Auswirkungen, es sei denn, die Kronen Zeitung würde siegen und wir treten aus der EU aus. Aber dass das eine Katastrophe wäre, ist wohl jedem klar. Obwohl ich den Großteil der Bevölkerung für unmündig halte, wird das nicht passieren.

DIE FURCHE: Heute fungieren Sie für viele junge Künstler und Künstlerinnen als Vorbild. Sind Sie mit der Entwicklung der Gegenwartskunst einverstanden?

Brus: Diese Spaßgesellschaft bringt Blüten hervor, mit denen ich nicht mehr mitkomme. Der Filmemacher Peter Kubelka hat vor kurzem gesagt, dass die Gesellschaft kunstkrank ist. Dem kann ich nur beipflichten!

DIE FURCHE: Was heißt das?

Brus: Allein die Theaterproduktionen sprechen dafür. Man kann heute den „Freischütz“ in einem riesigen Kühlschrank, im Inneren eines Fernsehers oder in der Sahara aufführen, und es regt sich niemand mehr auf. Die Bayreuther Champagnergesellschaft sieht sich heute Schlingensief und eine Vergesellschaftung des Dadaismus an – das sagt doch alles.

DIE FURCHE: Wie sieht es mit Ihrer Arbeit aus: immer noch nicht ermüdet?

Brus: Ich hatte in der Tat vor eineinhalb Jahren eine Schaffenskrise in Bezug auf die Zeichnung. Diese wurde durch einen Auftrag von Georg Ritter beendet, der mir vorgeschlagen hat, ein William-Blake-Buch zu überarbeiten und zu ergänzen. Das Buch mit 162 Blättern hat mich ein Jahr lang beschäftigt, aber über diesen Auftrag habe ich mich wieder in das Zeichnen verliebt. Über Blake habe ich die Techniken der Federzeichnung und des Aquarells für mich entdeckt. Jetzt rinnt mir der Saft wieder frisch von der Leber!

DIE FURCHE: Sie sind ein Mensch extremer Gegensätze. Man kennt von Ihnen brutale, schwarzweiße Blätter und knallbunte, ja geradezu kitschig-liebliche Werke. Sind Sie tatsächlich so gespalten?

Brus: Offensichtlich – die Arbeiten drücken ja die Gefühle des Künstlers aus. Ich bemühe mich förmlich, den Launen der Empfindungen nachzugehen und möchte nicht dann kritisch sein, wenn ich es nicht sein kann. Und ich möchte dann bösartig sein, wenn mir danach zumute ist.

DIE FURCHE: In der Öffentlichkeit herrscht von Günter Brus nach wie vor das Bild des Oberwildlings. Privat sind Sie ein Familienmensch und seit über vierzig Jahren mit ein und derselben Frau verheiratet. Sind Sie zahmer als man öffentlich meint?

Brus: Wahrscheinlich schon. Aber das Bild des Enfant terrible ist ein Irrtum der öffentlichen Berichterstattung, denn schon manche meiner frühen Aktionen waren von einem enormen Harmoniebedürfnis und einer friedlichen, nahezu buddhistischen Stimmung geprägt. Diese Zartheit wird immer von den Skandalen, die ich verursacht habe, überlagert. Die Leute schauen einfach zu wenig genau hin.

DIE FURCHE: Wenn man Ihr Gesamtwerk betrachtet, so kann man kaum glauben, dass diese Fülle in einem Menschenleben entstanden ist. Wird Günter Brus den Stift jemals zur Seite legen?

Brus: Das schließe ich aus. Es sei denn, ein Gebrechen holt mich ein. Ich werde nicht weiser und zwinge mich manchmal, etwas rauszuholen, auch wenn es nur zu einem schlechten Ergebnis führt. Ich muss einfach immer zeichnen und schreiben!

Das Gespräch führte Johanna Schwanberg.

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Von der "Uniaktion" zum Staatspreis

Einst wurde Günter Brus als „meistgehasster Österreicher“ bezeichnet, zu seinem siebzigsten Geburtstag am 27. September feiert die heimische Kulturszene den bereits vor zehn Jahren mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichneten Künstler als einen ihrer „größten Söhne“. Eingeschlagen hat Brus 1968 mit seiner Körperaktion bei der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ („Uniaktion“) in der Wiener Universität. Damals brachte er das ganze Land gegen sich auf – und wurde wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten strengem Arrest verurteilt, entzog sich der Haft aber durch Flucht ins Berliner Exil. Heute lebt Brus mit seiner Familie zurückgezogen am Stadtrand von Graz (2012 eröffnet ein Brus-Museum – „Bruseum“ – im Zentrum der steirischen Landeshauptstadt). Seit Abbruch der Aktionskunst im Jahr 1970 entstanden Tausende Zeichnungen, zahlreiche literarische Werke, vor allem aber über 800 „Bild-Dichtungen“ – teils erschütternde, teils schalkhafte serienartige Text-Bild-Fusionen.

Einst wurde Günter Brus als „meistgehasster Österreicher“ bezeichnet, zu seinem siebzigsten Geburtstag am 27. September feiert die heimische Kulturszene den bereits vor zehn Jahren mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichneten Künstler als einen ihrer „größten Söhne“. Eingeschlagen hat Brus 1968 mit seiner Körperaktion bei der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ („Uniaktion“) in der Wiener Universität. Damals brachte er das ganze Land gegen sich auf – und wurde wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten strengem Arrest verurteilt, entzog sich der Haft aber durch Flucht ins Berliner Exil. Heute lebt Brus mit seiner Familie zurückgezogen am Stadtrand von Graz (2012 eröffnet ein Brus-Museum – „Bruseum“ – im Zentrum der steirischen Landeshauptstadt). Seit Abbruch der Aktionskunst im Jahr 1970 entstanden Tausende Zeichnungen, zahlreiche literarische Werke, vor allem aber über 800 „Bild-Dichtungen“ – teils erschütternde, teils schalkhafte serienartige Text-Bild-Fusionen.

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