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Joachim

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Das war in den letzten Tagen dieses Krieges, als allüberall die Armeen sich auflösten und ihre Soldaten freigaben. Diese strebten nun — glücklich der eine, weil der Zufall ihn so nähe an die Heimat geführt hatte, unglücklich der andere, der. über Gebirge und Flüsse und Ebenen hinweg mußte, um sie zu erreichen — ihren Familien zu und wählten dabei mit Vorliebe abgelegene, vereinsamte Wege. Sie taten es zum einen, weil das Kleid, das sie trugen, von dem jahrelangen Gebrauch zumeist verschlissen, wenn nicht zerlumpt war, und sie sich verloren vorkamen damit in der neuen, friedlichen Welt, zum andern, um nicht etwa in letzter Stunde noch in Gefangenschaft zu geraten.

Auch Joachim war einer dieser Heimstrebenden. Er war ein Mann in den Vierzigern, Bildhauer von Beruf, und wurde mitten im Gebirge freigestellt, mochte’er Familie und Heim weit weg in einer großen Stadt haben. Nun, er kannte das Gebirge von Friedensfahrten her, er zögerte nicht lange und warb um keinen Gefährten, er machte sich allein auf den Weg. Da er die ungefähre Richtung wußte, in der er sich zu halten hatte, stieg er die Hänge empor und hielt sich an die Bauernsteige. Es war ein mühsames Schreiten, talab, talauf, querfeld- und querwaldein, und das Wetter war nicht das beste.

Am siebenten oder achten Tage dämmerte es früh, schwere Regenwolken bedeckten den Himmel, ab und zu gewitterte es im Westen. Das Land war menschen- und gehöfteleer, vier Stunden mochte Joachim gewandert sein, ohne auf ein Anwesen zu treffen. Als er, müde und hungrig, den Gedanken erwog, im Freien ein Nachtlager zu suchen, und deshalb eine Weile stillestand. gewahrte er in nicht zu großer Entfernung einen Lichtschein, der aus einem Fenster zu kommen schien. Er hatte sich nicht getäuscht, der Schimmer blieb, als er ihm zuwanderte, das Licht trat immer wieder aus den Bäumen, aus den Büschen.

Nach einer halben Stunde stand Joachim vor dem Haus, es war nicht groß, aber gut gehalten, Blumen blühten an den Fenstern, und an der Wand rankte der Efeu hoch. Er schritt über den weichen und dichten Anger, es tat ihm gut nach dem harten Weg des Tages, er sah auch den Bienenstand und die Hausbank an einem der Bäume. Friede, dachte er, heiliger Friede und eine heftige Sehnsucht zog in sein Herz, er hätte hinknien können und bitterselig weinen.

Unerwartetes jedoch ließ es nicht dazu kommen!

Ein lautes Wort drang aus der Stube, von einer Frauenstimme gesprochen, kein gutes Wort, und ein Mann erwiderte. Joachim ging näher und sah durch das Fenster die Streitenden, es waren junge, schöne und gesunde Menschen. Der Mann stand am Tisch, die Frau am Ofen, und diese war wohl schweren Leibes. Sie maßen sich mit bösen Augen, und die Frau fand auf das Wort des Mannes eine neue Entgegnung. Da ging Schweres vor in diesem, ganz deutlich sah es Joachim: seine Stirn verdüsterte sich, die Brauen zogen sich zusammen, der Mund wurde schmal, ein Wort, rasch und hart wie ein Schlag, ein verletzendes, vielleicht tödliches Wort war auf dem Wege …

„Halt!“ schrie Joachim da. „Halt! Halt!“ Er polterte durch den Flur und riß die Stubentür auf, er stand auf der Schwelle und herrschte die beiden an: „Was treibt ihr denn da, ihr Wahnsinnigen!“

Mann und Frau standen verdutzt, der Mann hatte um einen Stuhl gegriffen, um ihn als Waffe zu benützen, die Frau lehnte sich erschrocken an den Ofen.

„Verzeiht“, sagte Joachim, als so kein Wort mehr fiel, „verzeiht, aber ich konnte es nicht mit anhören.“ Und dann legte er dar, auf welche Weise und weshalb er gekommen sei, und bat um ein Nachtlager im Heu und ein Stück Brot, wenn sie eines übrig hätten.

„Du bist mir ‘ ein seltsamer Kauz“, antwortete der Mann nach einigem Bedenken und ließ die Sessellehne los, er trat auf Joachim zu und gab ihm die Hand; mit dem Nachtlager im Heu und dem Stück Brot sei es natürlich nichts, aber ein leeres Bett hätten sie in der Kammer stehen und zum Brot gebe es frische, heiße Milch.

„Nein, so ein Kauz; das ist mir noch nicht vorgekommen“, verwunderte er sich neuerlich, „springt zwischen mich und die Anna hinein, als müßte das so sein! Komm her, Anna“, sagte er, „und gib ihm auch die Hand.“

Und so standen die drei beisammen und sahen sich an, sie fanden Gefallen aneinander und freuten sich des Zufalls.

Beim Abendessen blieb es dann nicht allein bei Milch und Brot, der Bauer —- mochte sein Besitz nicht groß sein — holte ein Stück Fleisch aus dem Faß, und die Bäuerin briet es. Sie trinken Most dazu, dann ein Schnäpschen dazwischen, und die Männer erzählen vom Kriege. Auch der Bauer war draußen gewesen, eine schwere Verwundung hatte ihm später den Dienst mit der Waffe unmöglich gemacht, aber es gab Orte, die beide kannten, und Schlachten, die sie gemeinsam, wenn auch an verschiedenen Stellen, mitgekämpft hatten.

„Wie heißt du eigentlich?“ fragte der Bauer. „Ich heiße Joachim“, nannte er seinen Namen, und dann sprachen sie sich nur mehr mit Joachim und Anna und Hermann an.

„Was seid ihr für Streithähne", scherzte Joachim, da schob der Mann es auf die Frau und ihre Eigenart, stets das letzte Wort behalten zu müssen, die Frau aber klagte über den Eigensinn des Mannes, er könnte nicht größer und schlimmer sein. Die beiden sahen sich dabei an und lächelten, sie waren trotz aller Mängel stolz aufeinander.

„Wie gut, Anna, daß Joachim gekommen ist“, sagte endlich der Mann, und dieses Wort gab dem Bildhauer die einzige Gelegenheit des Abends, seine größere Erfahrung des Menschenlebens auszubreiten und die Freunde zu lehren. Der Zufall, so sagte er, spiele gewiß manchmal ein gutes Stück, aber das Notwendige selber zu erkennen und sich nicht auf ihn zu verlassen, sei wichtiger. Er erzählte dann von seiner Familie, der Frau, den drei Kindern, er gab den beiden schließlich sein Bild, und sie besprachen, sich gegenseitig zu besuchen, wenn einmal richtiger Friede eingekehrt sei.

Am nächsten Morgen — es hatte in der Nacht geregnet, dann wieder aufgeklärt — setzte Joachim seinen Weg fort. Das Ränzlein war vollgepackt, und Hermann und Anna gaben ihm über eine halbe Stunde das Geleit. „Komm gut heim und grüße uns deine Familie!" sagten sie zum Abschied.

„Bleibt gesund, ihr lieben zwei, und auf Wiedersehen!“ war die Antwort.

Der Wald nahm ihnen dann bald die gegenseitige Sicht.

Hermann und Anna trödelten auf dem Heimweg, es war ihnen beiden als wäre Feiertag. Die Frau pflückte eine Blume, der Mann ‘chob seinen Arm in den ihren, und dann besprachen sie noch einmal das seltsame Ereignis, fanden auch nachträglich warme Worte für Joachim. Zu Hause angelangt, nahm der Mann das Bild des Freundes und nagelte es an die Stubentür.

„Was tust du“, fragte die Frau, „warum tust du es?“

Der Mann schlug den letzten Nagel ein „Damit er immer bei uns ist“, antwortete er. „Du, Anna“, bat er, „wir wollen nicht mehr streiten.“

„Haben wir denn gestritten?“ fragte die Frau, „dann tut es mir leid. Aber es ist schon gut“, setzte sie fort, „wenn er immer da ist. der Joachim.“

Und dann traten sie aufeinander zu und küßten sich.

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