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Johannes Madiener und der Wiener Romantikerkreis

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Wiederholt wurde bis in die neueste Zeit die Notwendigkeit betont, daß der „josephi-nischen Kirchenpolitik des 19. Jahrhunderts mit ihren zahlreichen Abstufungen und Übergangsformen“, den religiösen Anschauungen und Weltanschauungen der Josephiner und auch der Männer der katholischen Reform noch eingehende Untersuchungen gewidmet würden. Das gilt auch von den Persönlichkeiten der kirchlichen Romantik in Wien im Kreis um Klemens Maria Hofbauer. Zu den hervorragendsten Gestalten, die aus diesem Kreis herauswuchsen, gehört Dr. Johannes von Gott Leopold Madie n e r.

Seine Familie stammte aus Hohenems in Vorarlberg. Da sein Vater als Regimentsarzt in Böhmen wirkte, wurde Johannes Madiener durch seinen Geburtsort Strakonitz Sudetendeutscher (geboren am 15. November 1787). Sein ältester Bruder wurde Feldmarschallleutnant und auch der Zwillingsbruder des Johannes General. Nach Abschluß der Philosophie! in Linz studierte Madiener Mathematik und Physik an der Wiener Universität und erwarb 1814 das Doktorat. Der Physikprofessor wählte ihn zum Assistenten, und Madiener sollte vor allem Mechanik dozieren. Er hat seine geistige Entwicklung in einer selbstbiographischen Skizze sehr anschaulich gezeichnet. Tief religiös veranlagt und erzogen, geriet der Jüngling in den ersten Entwicklungsjahren in den Bann der AuSklärungsideen und der Philosophen Kant, Fichte und S c h e 11 i n g. Besonders zog ihn die Naturphilosophie Schellings in den Pantheismus hinein. Madiener vertiefte sich mit Vorliebe in philosophische Spekulationen und brach mit jeder katholischen Praxis. Gerade sein eifriges Studium bewahrte ihn jedoch in dieser kritischen Zeit vor sittlichen Entgleisungen. Immer mehr junge Akademiker scharten sich um den hochbegabten, liebenswürdigen und anregenden Dozenten, der ihnen seine philosophischen Ideen entwickelte.

Im Jahre 1814 hatte Madiener ein folgenschweres Erlebnis. Eines Tages trug er ein philosophisches System den philosophierenden Freunden vor. Er erzählt: „Alle hörten schweigend mir zu, bis ich geendigt hatte. Noch schwiegen sie... und ich legte ihr Stillschweigen mir aus, als vermöchten sie gegen die Gründlichkeit , meines neuen Systems gar nichts einzuwenden. Da rief plötzlich einer von ihnen fest und ruhig: ,Das ist nichts als leeres Geschwätz ... die Katholiken haben allein die Wahrheit!' ... Die übrigen Freunde sagten nichts ... niemand verteidigte mein System ... und was that ich? ... Ganz überrascht von diesem lauten und rücksichtslosen Tadel stand ich auf, bnd schweigend gingen wir alle auseinander. Aber wer beschreibt die Stimmung meines Gemüthes? Es war die erste Ver-demijtigung, die mir stolzen Glaubensleercn widej-fuhr ... und dies gerade da, wo ich stolz auf meinen spekulierenden Verstand mich mehr als alle anderen Menschen im Besitz der höchsten Wahrheit wähnte, und dies hoch im Angesichte meiner philosophierenden Freunde, von denen ich vollen Bey-fall einzuernten hoffte.“ Aber gerade der Ausspruch des Freundes erschütterte ihn und rief in seinem Inneren eine Krise hervor, die ihm den Weg wies zum katholischen Glauben und zur katholischen Praxis. Er besiegelte den Bruch mit dem Entschluß, Priester zu werden, gab seine Assistentenstclle auf und begann das Theologiestudium in Wien. Noch wirkte auch an der theologischen Fakultät der Geist des Aufklärungszeitalters, jedoch waren damals schon Professoren wie Ackermann und die beiden späteren Refjrmbischöfe Z ä n g e r 1 e und Z i e g 1 e r Hofbauer-Freunde und Vertreter der kirchlichen Reform. Durch Pfarrer Korn in Brunn am Gebirge kam der Theologe Madiener im Herbst 1815 in Verbindung mit Klemens M. Hofbauer.

Diese Begegnung entschied sein Leben. Er nahm den Geist des Heiligen tief in sich auf. Hofbauer erkannte den inneren Wert Madieners und betrachtete ihn bald als Stütze seiner Ordensgenossenschaft, der er in Wien den Boden bereiten wollte. Zeitgenossen bezeichneten übereinstimmend Dr. Madiener als den „Jünger, den er lieb hatte“. Madiener wirkte unter den Akademikern apostolisch. Er führte 1818 Doktor Emanuel Veith, der sich als angesehener Arzt und Direktor des tierärztlichen Instituts der Theologie widmete, zu Hofbauer, im gleichen Jahr seinen sudetendeutschen Freund Anton Günther und andere Männer. Madiener selbst kam durch Hofbauer in den Romantikerkreis, trat Friedrich Schlegel und Adam Müller näher und verkehrte im Szechenyi - Zirkel.

Josef Kral, einer seiner Studienfreunde, versichert uns, daß Madiener von Hofbauer zu literarischer Arbeit ' angeregt wurde. So erschienen im ersten Jahrgang der „Ölzweige“ (1819) die zwölf Briefe, in denen Veith und Madiener den Kampf gegen den Pantheismus führten, den sie mit Friedrich Schlegel als die große Zeitgefahr betrachteten. Obwohl die Artikel in den „Ölzweigen“ ohne Namen erschienen, so konnte doch eine ganze Reihe dieser Aufsätze mit Sicherheit Madiener zugewiesen werden.

Nach der Priesterweihe am 29. August 1819 feierte Dr. Madiener seine Primiz in St. Ursula, und Hofbauer hielt ihm die Primizpredigt. Er sagte zu den Ursulinen: „Das war mir eine große Freude; aber Madiener ist auch der letzte, an dem ich diese Freude erlebe.“ Madiener übernahm die Primizpredigt in St. Ursula für seinen Freund Leopold M i c h a 1 e k, der mit ihm geweiht wurde. Seinem großen Meister stand er in der letzten Krankheit und beim Sterben treu zur Seite.

Klemens Hofbauer schied mit dem Bewußtsein aus dem Leben, daß seine Ordensgenossenschaft durch den Kaiser die Bestätigung und ein Heim in Wien erhalten werde. Die jungen Männer des Hofbauer-Kreises, die zum Eintritt entschlossen waren, scharten sich, bis der Nachfolger Hofbauers die Leitung übernahm, um Dr. Madiener. Madiener gehörte zu den ersten, die am 24. Dezember 1820 ihre missionarische Wirksamkeit in Maria am Gestade begannen und am 2. August 1821 die Ordensgelübde als Redemptoristen ablegten. Vor allem durch die Precligttätigkeit, die Zacharias Werner, Dr. Veith und Dr. Madiener im Geiste Hofbauers entfalteten, wurde St. Maria am Gestade ein Brennpunkt katholischen Lebens.

Im Herbst 1827 sandte der Generalvikar der Redemptoristen bei Maria-Stiegen den Dr. Madiener nach Innsbruck, wo es schließlich der Klugheit und Ausdauer Madieners nach vielen Schwierigkeiten und Leiden gelang, eine Niederlassung zu gründen. Als Superior wirkte er auch hier bahnbrechend für die kirchliche Reform. Wie in Wien bewegte er sich auch hier mit Vorliebe unter den Akademikern. Sein Leben lang bewahrte er diese Liebe zur studierenden Jugend und war Akademikerseelsorger, wo sich ihm Möglichkeit bot.

Im Sommer 1830 nahm Madiener Abschied von Tirol, um wieder ein Jahrzehnt in Wien zu arbeiten. Dort brauchte man ihn notwendig. Dr. Veith hatte im Frühjahr die Ordensgemeinschaft von Maria-Stiegen verlassen. Rein äußerlich gesehen, war das ein schwerer Schlag für die junge Gesellschaft, er bedeutete jedoch eine notwendige Klärung

Für weite Kreise war Veith der glänzendste Vertreter der jungen Kongregation. Bei seinen Fastenpredigten in Maria-Stiegen

(1826—1830) sah man Intelligenz und Adel, Mitglieder, des Kaiserhauses, manchmal sogar den Kaiser. Man fürchtete daher, daß sein Austritt das Ansehen der jungen Gesellschaft schwer schädigen werde. In der Tat wirkte sein Austritt als große Sensation, die gefürchteten Folgen traten aber nicht ein. Viele mochten denken wie Baron Dr. Stifft, des Kaisers Leibarzt und Berater, der erklärte, gerade das steigere seine Achtung vor der Kongregation, daß sie sich auch einem so angesehenen Mann gegenüber nicht von irdischen Rücksichten leiten lasse. Aus dem Briefwechsel des Obern von Maria-Stiegen mit dem Ordensgeneral sieht man, daß Veith trotz rücksichtsvollen Entgegenkommens immer mehr, aus dem Gemeinschaftsleben des Klosters hinauswuchs. Dazu kamen Mißverständnisse und Parteiung, da manche Patres sich an Veith anschlössen. In den Fastenpredigten des Jahres 1830 verfocht •Dr. Veith ganz klar die später von Rom verurteilten Ideen Günthers und verschärfte dadurch noch die innere Spannung. Von der ihm bewilligten Erholung in der Osterzeit kehrte er nicht mehr nach Maria-Stiegen zurück. Sein Austritt führte zur Lösung der inneren Krise, denn seine Parteigänger verließen mit ihm die Kongregation. Nach Überwindung dieser kritischen Lage festigten sich Ordenszucht und Gemeinschaftsleben wieder.

Madiener ging der Schritt seines Freundes, den er Hofbauer zugeführt hatte, sehr zu Herzen, zumal er berufen war, nun der Gegenpol Veiths zu werden. In der nahen Kirche Am,Hof fesselte Dr. Veith Gläubige und Gottsucher durch seine Predigten, die durch überragendes Wissen, reiche, oft überquellende Phantasie und klare Gliederung ausgezeichnet waren, deren akademischer Vortrag und stark intellektualistisdie Note aber eine gewisse innere Kühle empfinden ließen. In Maria am Gestade zog der Philosoph und Mystiker Dr. Madiener die Menschen an. Durch den logischen Gedankenfortschritt ohne straffe Einteilung, die mystische Glut, den Seeleneifer, die meisterhafte Beredsamkeit, die Schönheit der Sprache und des Vortrages gewannen diese Predigten einen eigenen Reiz und übten eine mächtige Wirkung aus.

Die beiden großen Homileten der katholischen Reform suchten als Schüler Hofbauers in seinem Geist die Frohbotschaft Christi ihrer Zeit neu zu verkünden. In ihrer Eigenart schienen sie einander zu ergänzen, doch lagen tiefe Gegensätze zwischen ihnen. Die ehemaligen Freunde schieden sich an der Philosophie und Theologie Anton Günthers. Veith wuchs ganz in den Kreis und die Ideen Günthers hinein. Madiener aber schaute tiefer. Er hatte den Rationalismus der Aufklärung und die idealistische Philosophie in höherem Grade überwunden als sein Freund. Darum erkannte er die Gefahren in Günthers Anschauungen von Anfang an klarer. Man betrachtete ihn auch im Günther-Kreis gleich um 1830 nach dem Erscheinen der ersten Werke des Priesterphilosophen als' den großen und gefährlichen .Gegner. Dem Einfluß' des Kardinals Schwarzenberg, der in Rom entschieden für seinen Lehrer der Philosophie eintrat, hatte es Günther zu dar1 -n, daß seine Indizierung nicht früher crlc.0u;. Dem weidien und gütigen Herzen Machcners mag es schwer genug gefallen sein, gegen seinen früheren Freund Günther aufzutreten. Die Liebe zur Wahrheit siegte über die Liebe zum Freund, amicus Plato, magis veritas.

Das Jahr 1832 wurde entscheidend für den Aufstieg und Sieg der katholischen Reform in Wien. J a r c k e kam in die Staatskanzlei an die Seite Metternichs und Rauscher wurde Direktor der orientalischen Akademie. Madiener wurde bald der persönliche Freund, Seelenführer und theologische Berater Jarckes. Dies Verhältnis erlangte weittragende Bedeutung bei der ersten größeren Arbeit Jarckes, dem für den Nuntius bestimmten Gutaditcn über den Hermesianismus, das, neben anderen Gutachten, .zur Verurteilung des Hermesianismus wesentlich beitrug. Jarcke und Madiener, Rauscher und Regens Z e n n e r vom Priesterseminar waren vier starke Säulen der kirchlichen Reform in Wien.

Audi mit der Familie P i 1 a t war Madiener eng verbunden. Ganz besonders innig aber gestaltete sich das Verhältnis zur Familie Führ ich. Persönlicher Freund und Seelenführer des Künstlers, war Madlcner seine Stürze in allen schweren Lagen und Kämpfen des Lebens, ein verständnisvoller Förderer seiner Kunst. In Stunden der Verkennung wies er den Künstler auf die Größe seines gottgeschenkten Berufes für die Zeit. Der Briefwechsel zeugt von der innigen seelischen Verbundenheit Madlcners mit der ganzen Familie.

Nach einem Jahrzehnt sah sich P. Madiener wieder vor eine große Aufgabe gestellt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert waren die Volksmissionen in ganz Österreich verschwunden; sogar der Name „Mission“ war den echten Josephinern ein Greuel. Die erstarkende katholische Bewegung zerbrach eine josephinische Barriere nach der anderen. In Landeck, Tirol, war es nadi längeren Verhandlungen gelungen, unter dem Titel „Geistliche Übungen für das Volk“ die Abhaltung der ersten Mission zu sichern. Ihr Gelingen war von entsdieidender Bedeutung. Generalvikar Passerat sandte den in Tirol volkstümlichen Dr. Madiener, um die Leitung des ersten Versuches zu übernehmen und das Werk der Volksmissionen in Tirol aufzubauen. Das unsterbliche Verdienst Madieners ist es, daß trotz der großen Schwierigkeiten, die zunächst Regierung, der Klerus und das Volk dem Werke entgegenstellten, der Siegeszug der Volksmissionen in Österreich einsetzte und Jahr für Jahr große Erfolge erzielte. Das war ein bedeutender Beitrag zur katholischen Reform. Der Klugheit und Umsidit, dem Seelencifer und Takt Madieners ist auch die Ausbildung der Missionsmethode zu danken. Das war im josephinischen Gehege der staatlichen und kirchlidien Verordnungen keine leichte Aufgabe.

Als die Volksmissionen vollkommen gesichert waren, kehrte Dr. Madiener wieder' nach Wien zurück. Der Sturm der Revolution vertrieb die Volksmissionäre von Maria-Stiegen am 6. April 1848. Auch Madiener mußte flüchten und fand eine Zufluchtstätte auf der Kronburg“ bei Landeck. Bald aber rief man ihn zur Mitarbeit an den Volksmissionen in Niederösterreich, Böhmen und Mähren. Unter den Folgen der Strapazen und den Beschwerden des Alters erlahmte allmählich seine Kraft; dennodi nahm er noch an den ersten Wiener Missionen (1855) teil.

Seine letzte Lebensstation wurde Prag, wo er am 1. Februar 1856 mit den ersten Patres der Niederlassung im Karlshof einzog.

Madiener genoß hohes Ansehen beim Klerus des Landes und- wirkte in Fxerzitrcn und Konferenzen für den Klerus und als jahrelanger seelischer Berater der Theologen des Priesterseminars. Zwei große Freuden führren ihn noch nach Wien: die Übertragung der Leidie seines heiligmäßigen Melters und Freundes Hofbauer vom Friedhof in Mana-Enzersdorf in die Kirche Maria-Stiegen (1862) und seine Zeugenaussage im Selig-sprechun ;sprozeß Hofbauers (1864). Am 26. Ma: 1868 beschloß P. Dr. Johannes Madlene.- sein bewegtes, arbeits- und früchte-reiches l -ben, das für die katholische Reform Österreich so bedeutungsvoll geworden war. Hm liegt seine Biographie druckfertig vor. Als Anhang ollen die Madlener-Briefc an die Führich-Familie veröffentlicht, werden.

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