Josefine, Hans Magnus und Franz K.

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Hans Magnus Enzensbergers Erzählung "Josefine und ich" belauscht zwei Menschen bei ihren Teegesprächen.

Hans Magnus Enzensberger, ein Fixstern der bundesdeutschen Literatur und Intellektuellenszene, hat nach mehr als drei Jahrzehnten wieder eine Prosa veröffentlicht, die erste für erwachsene Leser nach dem Roman Der kurze Sommer der Anarchie, der im Jahr 1972 erschienen ist.

Er hat sich vor allem mit Gedichten und viel beachteten Essays von der erzählenden Literatur ferngehalten.

Samt in den Händen

Nun überrascht er seine Lesergemeinde mit einem ein bisschen anderen Buch. Schon die Aufmachung ist ungewöhnlich: Der Band ist in weichen schwarzen Moleskin eingeschlagen. Nimmt man Josefine und ich in die Hand, denkt man bei der ersten Berührung, dass sich ein Maulwurf wahrscheinlich so anfühlt. Der Unterschied liegt nur darin, dass einem das Samtstück nicht aus den Händen schlüpfen und man es auch nicht aus ihnen legen will, sobald man in den munteren und dennoch vertrackten Text eingedrungen ist.

Dienstag, fünf Uhr

Josefine und ich ist ein Tagebuch, das Joachim, der Erzähler, ein akademisch gebildeter Ökonom, zwischen dem 5. September 1990 und 15. September 1991 führt. Im Buch ist es auf zwei Hefte samt einem Postskriptum aufgeteilt, worin Joachim die Erlebnisse und Zweikampfgespräche mit der fünfundsiebzigjährigen Josefine, einer früheren Operndiva mit glanzvoller Karriere in der Vergangenheit, wiedergibt.

Joachim ist nahezu jeden Dienstag um fünf zum Tee bei der affektierten alten Dame mit Stil, deren Bekanntschaft er gemacht hat, weil er sie auf offener Straße zufällig vor einem - der bereits in den neunziger Jahren in Verbrecherkreisen beliebten - Handtaschendiebstähle bewahrt hat. Und so sitzt er ungefähr ein Jahr lang Dienstag für Dienstag brav in der Kastanienallee 12, einer heruntergekommenen Prachtvilla, im Salon, der schon bessere Zeiten gesehen hat, bedient von der einsilbigen, aber fußballverrückten Haushälterin Fryda aus Schlesien.

Joachim und Josefine unterhalten sich, einmal gut und ein anderes Mal besser.

Warum auch sollte eine in der Nazizeit gefeierte Diva, deren Aufstieg in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch einen abrupten Abstieg endete und sie für Monate in eine Nervenheilanstalt brachte, nicht ihre Launen, die offensichtlich zum Geschäft gehören, haben.

Die Gespräche geben alles her. Sie sind da und dort ein scharfsinniger Kampf, dann ein ausgelassenes Geplänkel sowie hin und wieder ein von Gemeinheiten strotzender Dialog.

Enzensberger gelingt es, eine Spannung aufzubauen, in der jeder das Geheimnis des anderen ergründen will. Wer tatsächlich der dominus litis (Herr des Verfahrens) ist, wird gesprächsweise nicht ganz eindeutig geklärt, was aber nicht störend ist, sondern höchstens die eigenen Gedanken zu einem Polylog verleitet. Der Leser hat mit einem Mal den unbändigen Reiz, mitreden oder mitstreiten zu wollen.

Gott und die Welt

Zur Sprache kommt vieles: Deutschland, der Zweite Weltkrieg und naturgemäß die Nazis, Ost und West, Gott und die Welt. Und zur Sprache soll der literarischen Vollständigkeit halber noch eines kommen: In seinem Todesjahr, 1924, hat Franz Kafka die Erzählung Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse geschrieben, deren erste Sätze "Unsere Sängerin heißt Josefine. Wer sie nicht gehört hat, kennt nicht die Macht des Gesanges" lauten. Enzensberger nimmt sich Kafkas Josefine zu Andeutungszwecken als Vorlage und kommt Kafka klugerweise nicht zu nahe, weil er als Schriftstellerprofi weiß, dass alles andere fatal enden würde, zumal es bis heute keine Kollegin und kein Kollege tatsächlich geschafft hat, in Kafkas Nähe zu gelangen. Dem Meister aus der Ferne Reverenz zu erweisen, mag aber erlaubt sein.

Erwähnt sei, dass Hans Magnus Enzensberger das Werk, das zeitlich vor der letzten Rechtschreibreform situiert ist, in der so genannten alten Rechtschreibung vorlegt. Ein logischer und doch sinniger Kunstgriff, der Sympathie erweckt.

Josefine und ich

Eine Erzählung von Hans Magnus Enzensberger

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006

147 Seiten, geb., e15,50

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