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Joseph Haydn und wir

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Wahrend der Wiener Festwochen veranstaltete die Gesellschaft der Musikfreunde ein großes Haydn-Fest, hei dem erstklassige Ensembles, Dirigenten und Solisten mitwirkten: das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und die Wiener Symphoniker, der Singverein, die Wiener Sängerknaktn und der Lebrer-a-capella-Chor, die Dirigenten Keilberth, Sanzogno, Moralt, Schmid und Prohaska, die Sängerinnen Stich-Randali, Lipp, Martinis, Rössel-Madjan, Jur nac und Siebtrt, die Sänger Haefliger, Patzak, Poell, Frick, Berry und andere sowie zahlreiche Instrumentalsoltsten. Die Konzerte fanden in Eisenstadt und im Musikverein statt.

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Wahrend der Wiener Festwochen veranstaltete die Gesellschaft der Musikfreunde ein großes Haydn-Fest, hei dem erstklassige Ensembles, Dirigenten und Solisten mitwirkten: das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und die Wiener Symphoniker, der Singverein, die Wiener Sängerknaktn und der Lebrer-a-capella-Chor, die Dirigenten Keilberth, Sanzogno, Moralt, Schmid und Prohaska, die Sängerinnen Stich-Randali, Lipp, Martinis, Rössel-Madjan, Jur nac und Siebtrt, die Sänger Haefliger, Patzak, Poell, Frick, Berry und andere sowie zahlreiche Instrumentalsoltsten. Die Konzerte fanden in Eisenstadt und im Musikverein statt.

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Wir fragen: Was ist uns Heutigen an

Joseph Haydn lebendiges Erleben und was ist Kulturaktie? Was an seiner Musik weist ins Morgen und was begrenzt sich endgültig im Gestern? Daß etwas in ihr auch uns Heutige unmittelbar anspricht und bewegt, darüber besteht kein Zweifel. Es geht dabei nicht — oder doch nicht primär — um dieses oder jenes Werk, sondern um das Fluidale, Geniale, das eigentlich Schöpferische in Haydns Musik; um jenes Unsagbare, das über Form, Stil und andere zeitgebundene Komponenten hinweg unvermindert weiter wirkt, „herrlich wie am ersten Tag“, das ihn zu mehr macht als zu einem Komponisten des 18. Jahrhunderts, ihm eine unvergängliche Gegenwart sichert — und das aufzuzeigen auch der tiefere Sinn des Haydn-Festes sein mußte, sollte sich dieses nicht in einer „solemnité funèbre“ erschöpfen.

In der Tat hat das Haydn-Fest beide Profile konturiert, das lebendige und das tote. Die ungebrochene Kraft tönender Offenbarung, wie sie uns in seinen Werken immer wieder aufklingt, selbst in solchen, die als Ganzes heute tot sind und bleiben, hat ihre volle Wirkung entfaltet, am stärksten freilich in seiner lebendigsten Schöpfung, der „Schöpfung“. In den 155 Jahren ihres Lebens hat sie alle Veränderungen überdauert, die cler Welt und den Menschen widerfahren sind. Gerade wir Heutigen, die wir zwei Weltkriege mit ihren furchtbaren Folgen in einem Menschenalter erlebt haben, wissen zu gut, wie rasch Namen verlöschen, künstlerische Ueberzeugungen, ästhetische Begriffe überhaupt sich verändern. Wie viele Namen, zwischen den beiden Weltkriegen noch von tragender Bedeutung, sind inzwischen Ge-

schichte geworden! Man braucht nur an Max Reger, Franz Schreker u. a. zu denken. Die Frische und Unmittelbarkeit einer Haydn- Symphonie aber besteht neben Hindemith und Martin ebenso unberührt wie neben Mozart und Beethoven.

Auf dem Gebiete der Symphonie blieb indessen die Programmwahl hinter den Erwartungen zurück. Wenn irgendwo der lebendige Haydn zu entdecken war, dann gerade dort. Denn Haydn ist der Former der damals (und in gewissem Sinne auch heute noch) modernen Symphonie. Von seinen über hundert Kompositionen dieses Genres sind nur wenige bekannt und immer musiziert. Mag sein, daß nicht alle gleich bedeutend sind; aber die Grundzüge Haydnscher Musik, das schlichte volkhafte Empfinden, das klare knappe Formgestalten, die geniale Architektonik, die natürliche Heiterkeit eines innerlich freien und großen Menschen und die sprudelnde Melodie als Abbild seiner österreichischen Heimat kommen in ihnen zwingender und herrlicher zum Ausdruck als in Formen, die ihm nicht lagen, die er zwar technisch meisterhaft beherrscht, aber inhaltlich nicht zwingend gestaltet, was sich vor allem in der Oper zeigt. So herrliche Stellen es in „Orpheus und Eurydice“ gibt, als Ganzes bleibt es eine tote Oper, bleibt auch für den Konzertsaal tot. Wie ganz anders hat 200 Jahre vor Haydn Monteverde diesen ältesten Opernstoff gestaltet! (Auch dies nur ein historisches Erlebnis, aber von welch dramatischer Wucht!) Haydns „Orpheus“ ist edle Musik, echter Haydn in jedem Takt, aber es fehlt das lebendige Fluidum, der unmittelbare Anspruch seiner Symphonien. Natürlich ist es das Recht eines Festivals, solche Werke zur Diskussion zu stellen: den lebendigen Haydn vermitteln sie nicht, um den es am Ende geht. Joseph Haydn, seinerzeit im Ruf der absoluten „Modernität“ (der -damals noch kein Verruf war), ist in der Oper seiner Tradition verhaftet geblieben, was ein nur flüchtiger Vergleich mit Mozart überzeugend beweist.

Seine „Modernität“ wurde übrigens damals kaum besser verstanden als die unsere heute. Grillparzer, musikalisch hochgebildet und gelegentlich selbst komponierend, ein begeisterter Verehrer Mozarts, nannte die Musik Haydns „Berge (große, aber unbeholfene Massen)“. Davon nicht beeinflußt, aber gelegentlich wohl über höheren Auftrag, griff Haydn daher zeitweise auf Formen zurück, die er bereits überwunden hatte. So bei der großen „Cäcilien-Messe“ auf die Kantatenform, der er sonst seinen viel geschlosseneren und kirchlich entsprechenderen Typ entgegenstellte. Denn wie die „moderne“ Symphonie, schuf Haydn auch die Gestalt der damals modernen Messe. Während daher die „Nelson-Messe“ als eine der vollkommensten Sakraikompositionen der Wiener Klassik Haydns entscheidende Bedeutung in der Entwicklung der „Messe“ lebendig dokumentierte, offenbarte die „Cäcilien-Messe“ bei aller musikalischen Schönheit einen kirchen- musikalischen Rückschritt und legitimierte sich, von einigen Stellen abgesehen, als zwar musikgeschichtlich, nicht aber liturgisch interessant.

Neben den Symphonien und Oratorien sprüht jedoch der lebendigste Haydn aus seiner Kammermusik, aus der manche Sätze gut heute geschrieben sein könnten. So manche seelische Tiefe seiner Adagios ist uns Heutigen verloren gegangen und der Verlust wiegt schwerer als formale und artistische Gewinne. In diesem Sinne ist es für die Gegenwart richtig und bereichernd, zu Haydn in die Schule zu gehen. Nicht Formen und Stile, nicht die Melodie seiner Zeit (die vielfach als „Melodie“ schlechthin betrachtet wird), nicht Instrumentar und nicht Kadenzharmonie Haydns sind entscheidend, sondern einzig die Größe der Gestaltung und die Kraft der Aussage, deren Wurzeln in der Größe der Persönlichkeit und in der Kraft der Begabung liegen. Das entscheidet. Nichts sonst.

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