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JUBILÄEN NACH VORN!

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Ich habe Mitgefühl mit den älteren, um das körperliche oder geistige oder moralische Wohl ihrer Nebenmenschen sich verdient gemacht habenden Leute (ein Jammer, daß es im Deutschen kein anständiges Participium perfecti activum gibt), die gefeiert werden, weil die Zahl ihrer Lebensjahre durch zehn teilbar ist oder weil sie irgend etwas schon akkurat fünfundzwanzig Jahre lang sind oder tun oder dulden. Denn solche Feier schafft dem Gefeierten Traurigkeit und Herzensnot. Nicht nur, weil das Bewußtsein einer langen, kompakten Gewesenheit, zu dem er durch das Fest gebracht wird, schon an sich etwas Quälendes hat, sondlern auch, weil das Zurückfallen aus dem Eintagsglanz wieder in das Alle-Tage-Dunkel sehr weh tun muß. Die Ruhe, aus der der Jubilar für kurze Zeit gerissen wurde, rächt sich dann für die Störung, die Vergessenheit, aus der er für ein, zwei Tage Urlaub bekam, begrüßt den wieder zu ihr Heimkehrenden mit boshafter Genugtuung: „Schön, daß du wieder da bist.“ Noch lange kriegt er's zu fühlen, daß er weg war! Ein paar Tage schlug seine Uhr ins Leere, traf ihn nicht, nun schlägt sie ihn wieder mit jedem Schlag. Ein paar Tage war ihm die Welt schmeichelnder Spiegel, nun ist sie wieder graue Wand.

Da holen sie solch ein Jubelopfer aus der Peripherie näher zur Mitte, widmen ihm Briefe, Telegramme, Topfblumen, gequälte Zeitungsnotizen und sonstige Freundlichkeiten — das einzige, was ihm wirklich Freude machen würde, Geld, gibt ihm keiner —, dann läßt man ihn wieder los, stellt ihn zurück dem Niemandstum und der All-Verlor'enheit. Zwiefach dumpf umrauscht nun das unendliche Wasser seine Insel. Das letzte Rauchwölkchen verweht am Horizont, wann kommt wieder ein Schiff? Wenn's gut geht, in zehn Jahren.

Ich bin dafür, daß man die Jubiläen und dekadischen Geburtstage nach vorne verlegt, den fünfzigsten Geburtstag spätestens am vierzigsten feiert und das Fest der fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit zelebriert, wenn diese fünfundzwanzig Jahre beginnen, nicht wenn sie um sind. Erstens hat ein Vierziger viel mehr von seinem fünfzigsten Geburtstag als ein Fünfziger, und mit weit größerem Animo feiert einer das Jubiläum seiner fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit, wenn ihm deren Ermüdungsgifte noch nicht Hirn und Rückenmark gelähmt haben; zweitens erspart solche Vorplacierung der Jubelfeste dem Jubilanten das bittere Gefühl: Nun kommt nichts Rechtes mehr nach, nun führt der Weg hoffnungslos talab; drittens verlören Jubiläumsbankette den fatalen Beigeschmack der Henkersmahlzeit, und der Gefeierte beginge in Morgenstimmung den Abend seines Lebens; viertens gestattet meine Methode freieste Wahl des Festdatums. Denn beginnen kann man fünfundzwanzig Jahre, wenn man Lust hat, indes der Tag, da sie enden, abscheulich scharf fixiert ist.

Analogien für das Verfahren gibt es. Denken wir etwa nur an die ehemalige „Sommerzeit“! Da wird auch, wie bei meiner Methode, die kommende Stunde vorausgenommen, ihr Ende rückt an ihren Beginn, und die Uhr schlägt um elf zwölf. Und wie tun wir an frischen Gräbern? Wir versichern, daß sie uns unvergeßlich bleiben werden, das heißt: Wir zahlen ihnen kapitalisierte Zukunft aus, wir überreichen den Strauß der Erinnerungen, die erst blühen sollen. Und jenen, denen wir den Spitznamen „Unsterbliche“ geben, eskomptieren wir ja geradezu am ersten Anfang der. angefangenen Ewigkeit schon die vollendete.

Mit CenehiitiguHg des Rowohlt-Verlages, Hamburg

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