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Jugend in der Zeit

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Die Welt wundert sich, sie wird sich aber daran gewöhnen müssen.

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Die Welt wundert sich, sie wird sich aber daran gewöhnen müssen.

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Die letzten Monate dieses Jahres schenkten mir reiche Gelegenheiten, die Arbeitsweisen der katholischen Jugend anderer Länder kennenzulernen. Dort strömt die Arbeit in großen nationalen und internationalen Zentralen zusammen und von diesen gehen neue Impulse aus. In Brüssel galt mein Besuch der Weltzentrale der katholischen Arbeiterjugend. Millionen Burschen und Mädeln aus allen Kontinenten stehen in ihren Reihen. Die Erfolge der französischen „Jeunesse Ouvriere Chretienne“, deren Mitglieder bekanntlich nach der Abkürzung dieses Namens als Jockten bezeichnet werden, sind auch bei uns bekannt. Energisch greift diese kraftvoll Bewegung junger Arbeiter in das soziale und wirtschaftliche Geschehen ihres Landes ein. Unsere Freunde in Süd-Holland sind mit dem „Don Bosco-Jugendwerk“ in die Randgebiete der menschlichen Gesellschaft vorgestoßen. In den Scharen der „Verkenners“ lebt der Geist des holländischen Freiheitskampfes. Wahrhaftig, die junge Kirche steht schon lange nicht mehr abseits des Zeitgeschehens. Zehntausende junger Franzosen zogen zu den Gnadenorten Frankreichs. Zehntausende junger Bauern, Arbeiter und Studenten der Eidgenossenschaft lösten in Einsiedeln ihr Gelöbnis ein. Zehntausende junger Holländer füllten das Stadion von Amsterdam. Ich traf Freunde aus Norwegen und Finnland, ja sogar aus Chile und Indien.

Überall ist die katholische Jugend am Werke. Ich habe manche ihrer Zeitungen eingesehen. Ob „Signo“ oder „Bevrijding“, ob „All Hends“ oder „Die Südtiroler Jugend erwacht“, e i n Geist weht aus allen: Die Jugend Christi hat die Frage der Zeit verstanden und ist gewillt, ihre Antwort zu geben. Über alle Grenzen, über Gebirge und Ozeane hinweg reichen sie sich die Hände. Was ich schon im Gespräch und Briefwechsel mit dem jungen katholischen Pfadfinder aus Kalifornien erfahren konnte, der als gefangener Fliegeroffizier der USAF im Nachbarzimmer des Lazarettes gelegen war, hat sich aufs neue bestätigt, als ich einen jungen Holländer in Luxemburg zum ersten Male traf und wir uns sofort verstanden wie jahrelange Freunde. Derselbe Geist zeigte sich bei der „Internationalen Studientagung katholischer Jugendführer“ in Luzern und beim großen Weltkongreß der katholischen Studenten im schweizerischen Freiburg, bei dem über vierzig Länder vertreten waren.

In einem Schreiben an die katholische Jugend der Welt sprach der Heilige Vater von den Aufgaben, die ihrer auf dem Kampffelde des öffentlichen Lebens harren, und wie es ihren Organisationen obliegt, die jungen Christen „wach zu machen und vorzubereiten auf die Leistungen, die sie als reife Staatsbürger dem wahren Wohl der Familie, Volk und Vaterland später schulden“. Wiederholt schon hat Pius XII. zur Erkenntnis aufgerufen, daß eine neue Epoche angebrochen ist. Wie kaum einer seiner Vorgänger, wendet er darum der Jugend seine Aufmerksamkeit zu.

Heute steht es außer Zweifel: Allenthalben ist die katholische Jugend im Aufbruch. Mit starken Armen greift sie ein in das Getriebe der Welt. Die Welt wundert sich, sie wird sich aber daran gewöhnen müssen.

Wieder nach Hause zurückgekehrt, blättere ich in den Tageszeitungen, um zu sehen, was es bei uns Neues gäbe; Da fällt mir das Wiener Organ einer großen politischen Partei in die Hand und darin finde ich die Frage: ob sich unsere heimatliche katholische Jugend „auf rein kirchliche Arbeit beschränken will“.

Sofort nach der Auflösung unserer Jugendverbände im Unglücksmärz 1938 haben wir uns in den Pfarren zu festen Gruppen zusammengeschlossen. Hier haben wir gelernt, wie wir uns gegenüber einer übermächtigen Propaganda und rohen Gewalt in Schule und Werkstart, bei RAD und Wehrmacht als Katholiken und Österreicher behaupten können. Welcher andere heimische Jugendverband kann solche Aktivität während dieser bösen Jahre aufweisen? Von der großen Jugendfeier im Dom zu St. Stephan über die zahlreichen Ausflüge und Fahrten, bei denen unsere Gruppen mit Streifendienst und Gestapo in heißen Konflikt gerieten, bis zum todesmutigen Einsätze so mancher von uns. Blutige Narben haben diese Jahre in unseren Reihen hinterlassen. Immer aber stand uns vor Augen: Unser ganzes Leben in Christusgestalten!

Was wir jahrelang ersehnt haben, ist endlich eingetreten. Der Zwang ist zusammengebrochen, die Ketten sind gefallen, und die befreite Heimat wartet auf uns. Nun ist die katholische Jugend aus den Sakristeien und Pfarrhofkellern herausgetreten, um aufzurichten, zu helfen, was zerstampft auf dem Boden liegt: Friede und Gerechtigkeit. Die Aufgabe liegt vor uns, wir packen an und — nun wundert sich einer darüber! Hat er Grund, sich zu wundern?

Die einst in die Katakomben gestiegen waren, vielleicht sieht er sie als weltfremde bleiche Knaben schemenhaft schrecken. Nun, dieses Gewölbe einer irrenden Phantasie steht in Widerspruch zu dem frischen Bild der Jugend, die heute wieder vor ihr Volk hintritt. Ja, Gott sei Dank, es ist bei uns manches anders als Außenstehende meinen. Wir haben Ballast abgeworfen, der uns hinderlich geworden war und haben nach Meßbuch und Rosenkranz gegriffen. Sie gehören mit Kletterseil oder Skiern zu unserer Fahrtausrüstung, und wir haben nicht vor, auch nur eines davon wieder aus der Hand zu geben. Der Altar ist unser Mittelpunkt, jedoch auch Schule und Werkstatt sind wie Dorf und Schutzhütte mehr als zuvor in unserem Wirkungskreis. Auch im öffenlichen Leben werden wir uns noch sehr bemerkbar machen — soweit es im eigenen Bereich der Jugend liegt.

Für das Heute gilt es zu arbeiten, für das Morgen gilt es sich vorbereiten, und aus dem Gestern holen wir heraus, alles, was uns Kraft und Erkenntnis geben kann. In unverständliche und haßvolle Gegensätze wollen wir uns von niemandem hineinjagen lassen, wie sie. das Denken und Fühlen so mancher aus der älteren Generation leider noch immer beherrschen. Wir wollen die vielleicht einmalig sich bietende Gelegenheit, neu beginnen zu können, dazu nützen, Vorurteile und Mißtrauen, die unserem gegenseitigen Verstehen im Wege sind, über Bord zu werfen. Darin wissen wir uns einig mit den sehr, sehr vielen unserer jungen Landsleute, in deren Interessenvordergrund wie bei uns die Frage steht: Was kann ich tun, um wirkungsvoll für das Wohl meines Volkes und für den Weltfrieden einzutreten?

Freilich, wenn wir die österreichischen Jugendzeitungen durchblättern, müssen wir feststellen, daß einzelne von ihnen andere Probleme für wichtiger halten und sie noch dazu jn einer Sprache behandeln, die kaum geeignet ist, in einer Generation die in solcher Atmosphäre aufwachsen würde, jemals die Liebe zur jungen Demokratie unserer Republik wachwerden zu lassen. Hingegen: „In ihrem Ton zeigt die katholische Jugendpresse edle Mäßigung. Ihrer Verantwortung um den Wiederaufbau ihrer Heimat bewußt, vermeidet sie niedrige Polemik und unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von der übrigen Jugendpresse des Landes.“ So urteilt eine schweizerische Wochenzeitung über die katholische Jugendpresse in Österreich. Läßt „Die Wende“, zum Beispiel bei aller Vornehmheit der Haltung einen Zweifel darüber, was wir als unser Aufgabengebiet betrachten? Ist nicht gerade deshalb jede Seite ein Baustein zum Aufbau, weil sie Zank vermeidet und stets das große Ziel im Auge hat? Ist das nicht eine bessere Verwendung des ohnehin so raren Papiers?

In der gesunden Demokratie hat alles einen Platz. Die politischen Parteien sind wichtige Mittel, um den Staatsbürgern zur Durchsetzung ihrer Meinungen, ihres Willens, ihrer Ansprüche zu verhelfen, sie sind aber nicht das Letzte und Höchste. Über den mächtigsten Parteien stehen hoch Gott und die Heimat. Viele von uns jungen Österreichern meinen, daß bei uns die politischen Parteien heute noch einen zu weiten Raum für sich verlangen, so daß für das Höhere und das Gemeinsame zu wenig Platz zu bleiben droht. Wir wollen ihnen selbst, die aus der Vergangenheit her traditionsbelastet sind, nicht Vorwürfe machen, wenden uns aber gegen alle, die diese Überbetonung nun auch in die Reihen der Jugend tragen wollen. Wir wollen ihnen offen sagen, daß wir es ablehnen, für Parolen auf die Straße zu ziehen, die wir heute noch nicht voll verstehen und beurteilen können.

Wir ziehen es vor, zuerst das Wesen der Demokratie zu erleben, ihre Rechtsmittel kennenzulernen, um sie dann anwenden zu können, wenn unsere Reife dazu uns Recht und Pflicht gibt. Wir wissen sehr wohl, daß die Demokratie zwei Seiten hat: Das Recht, alle ihre Freiheiten zu nützen und die Bindungen, die das Gewissen uns auferlegt. Traurige Kapitel der Weltgeschichte zeigen, was eine Michael-Kohlhaas-Gesinnung immer wieder angerichtet hat. Wenn wir eine der beiden Seiten, sei es die ethische, sei es die juristische, vernachlässigen, werden wir vergeblich auf die süßen Früchte der Demokratie warten. Wir meinen, daß wir in unserer Jugend vor allem die ethischen Pflichten des demokratischen Menschen uns als innere Selbstverständlichkeit einverleiben sollen, damit wir jetzt und später von den Rechten und Freiheiten einen guten Gebrauch machen. Wir halten dafür, daß die Umkehrung dieser Reihenfolge ein verhängnisvoller Fehler wäre.

Am Altar holen wir jungen Katholiken uns die Kraft für die Entscheidungen des Lebens. Wenn wir auch als Gemeinschaft vor der Tagespolitik haltmachen, liegt doch zwischen Sakristei und Parlament ein sehr weiter Spielraum, in dem überall die Notwendigkeit sichtbar wird, daß das junge Österreich darin seine Aufgabe finde. Um so mehr freuen wir uns, wenn auch die kritische Stimme anerkennt, daß wir „auf allen Gebieten der Fürsorge,der Erziehung, der Kulturpolitik mehr als jemals aktiv sind“. Wir sind im Aufbruch. Schritt für Schritt geht es vorwärts. Unsere Bischöfe haben unseren Weg autorisiert. Das Bewußtsein der Verantwortung für Volk und Zukunft mißt uns in Wort und Tat Aufgabe und Grenze ab. In der einen Aufgabe wird die geschlossene Gemeinschaft auftreten müssen, in anderen der einzelne junge Mensch, immer wird das Ganze einzusetzen sein.

Wir sind noch im Aufbruch, schon aber daran, unsere Arbeit auf Gebiete auszudehnen, die eben noch andere Faktoren als ihr ausschließliches Hoheitsgebiet zu betrachten schienen. Hat man dies aus der Erklärung unserer Bischöfe herausgefühlt, dann hat man richtig gehört. Man mag sich wundern, man wird aber gut tun, sich daran zu gewöhnen, daß man mit uns zu rechnen hat.

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