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Jugend und Laienspiel

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Von vornherein: Man erwarte keine runde Beantwortung der Frage: Was ist Laienspiel? Denn auch die Spielleiter, Vertreter der Laienspielgruppen und Vereinsbühnen und die Freunde des Laienspiels, die sich im Juni 1950 in Graschnitz, Mürztal, zu einer Tagung „Laienspiel und Liebhaberbühne“ — veranstaltet von der „Arbeitsgemeinschaft für das österreichische Laienspielwesen“ und präsidiert von Sektionsrat Dr. Waldstein vom Bundesministerium für Unterricht — zusammengefunden hatten, suchten, trotz eifrigster Bemühung vom ersten Wort an, umsonst nach einer zufriedenstellenden Definition. Es möge also — hier wie dort — eine Schau über die österreichischen Bestrebungen im Volksschauspielwesen zur Verdeutlichung des „Laienspiels“ dienen — und zwar für jene Betrachter, welche einer ein kleines Stück über das Rationale hinausgehenden Erwägung zugänglich sind.

Man kann wohl sagen, daß dem Begriff des „Laienspiels“ auf jeden Fall etwas ungemein Modernes und Virulentes anhaftet. Diese Eigenschaften machen ihn begehrenswert auch für Bestrebungen, welche das Laienspiel nicht nur als solches auffassen und ausbilden: nämlich als Spiel eigener Gattung, eigener Gesetzlichkeit und eigener Erscheinungsform, sondern welche das Theater in seiner historisch gewordenen Form, vor allem also in den derzeit bestehenden Vereins- und sonstigen Liebhaber- (Dilettanten-) Bühnen reinigen, ehrlich und sauber machen und so zum Laientheater, zum Laienspiel (wie sie es sehen) umgestalten, emporheben wollen. — Diese Bestrebungen sind besonders bemerkbar in den katholischen Spielgemeinden Tirols und Vorarlbergs, unter der Anführung des Vorarlberger Heimatdichters Eugen Andergassen, einem Schauspielerfachmann, und dem Innsbrucker Max T r i b u s, dessen Anliegen vor allem die religiöse Verinnerlichung bisheriger Formen bildet. Sie erhalten Sukkurs von den Bemühungen der „Arbeitsgemeinschaft für Laientheaterpflege“ in Graz, die sich der besonderen Förderung des zuständigen bundesstaatlichen Volksbildungsreferenten F. M. K a p f-hammer erfreut. Schließlich werden sie begünstigt von jenen Vertretern der ehemaligen „Jugendbewegung“, welche, meist aus der Schule Winkler-Her-madens vor 1938 hervorgegangen — ihre „intransigente“ Haltung gegenüber allem Theaterspielen im Laufe der Jahre und der Praxis gemildert haben und nunmehr dem Grundsatz zustimmen: „Das Wichtigste ist, daß überhaupt ordentlich und ehrlich Theater gespielt werde. Was ist nicht das Wesentliche.“ (So der Referent Hans Klein vom Mozarteum in Salzburg.)

In diesem Zusammenhang gehören neben den die gute Vereinsbühne anstrebenden Kolping-Spielern auch die Freunde und Vertreter des sogenannten „alten Volksschauspiels“, welche, meist volks- und heimatkundlich gebildet, im Wiedererstehen alter Tradition das Heil für ein neues Volkstheater sehen. Wie sehr die Sättigung mit einem solchen Streben den kritischen Blick für die Auswüchse des Spiel- und Schautriebes (vor allem der Nachkriegs jähre) schärfen kann, bewies ein Vortrag des oberösterreichischen Volksbildungsreferenten Doktor Hans Commenda; wie sie andererseits zu einer geruhsamen Zufriedenheit mit weit- und zeitabgewandten Gegebenheiten der heimischen Landschaften führen kann, die Schilderung der Kärntner Tagungsteilnehmer von den Spielvorgängen in ihrem Lande.

All die genannten Vertreter dieser Richtungen nun behaupten, wie schon erwähnt, daß sie, im Falle reiner Kristallisation ihres Wirkens — „Laienspiel“ darstellen. Sie wurden von Anfang an in Graschnitz sachlich-schroff zurückgewiesen von einigen Vertretern der jungen Generation, welche, wirkungsvoll unterstützt durch das Spiel der Don-Bosco-: Spielschar aus Linz und einer Schar der Kapfenberger österreichischen Jugendbewegung, behaupteten, daß Laienspiel heute noch immer etwas „ganz anderes“ sei als auch die reinste Form des Liebhabertheaters — und zwar deswegen, weil es beim „Laienspiel (wie s i e es meinen) nicht ums Nachahmen geht, sondern ums Ausdrücken, nicht ums Verwandeln, sondern ums Bekennen. — Der Einwand, daß ja auch der Berufsschauspieler, wenn er ideal wirke, nicht vortäuschen, sondern vorleben wolle, wurde vom Hauptverfechter dieser Richtung „strenger Observanz“, P. Siegfried Hornauer aus Linz, dahingehend abgebogen, daß vom Bereich hoher Kunst hier nicht die Rede sei, sondern von der der Fähigkeit des Durchschnittsmenschen nicht entrückten Sphäre des Laienspiels im weitesten Sinn. Ja, es ergab sich, daß die Kampfposition, welche das Laienspiel heute einnimmt, nicht mehr wie zur Zeit der Bildung dieses Begriffes so sehr gegen das Berufstheater gerichtet ist, sondern gegen die Verwischung der reinen Scheidung „Bekenntnis—Verwandlung“. Graschnitz machte diesen Kampf ganz deutlich, und zwar weil die Allgemeinheit, die der „strengen Observanz gegenüberstand, die Trennungslinie kaum als Arbeitshypothese gelten lassen wollte. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, daß ja „auch“ der Theatermann (Dilettant) echt sein könne, daß „auch“ ein Laienspieler sich verwandle, wenn er einmal aus seinem innersten Kern ohne Hemmung einen Typ herausspiele! — Die Antwort darauf gestaltete sich in der Debatte etwa so: „All diese Verschneidungen finden als solche vielleicht in der Praxis ihre Bestätigung — da ja immer Elemente des einen in das andere einfließen; im rein Begrifflichen aber verwirrt jede Verwischung nur die Wesensunterschiede, die zwischen Nachahmungskunst und 3ekenntnisausdruck bestehen — ebenso, wie es zweifellos richtig ist, wenn man von einem neuen Stil spricht, den das Laienspiel ausdrückt, wie man aber doch mit solchen Bezeichnungen den Kern nicht trifft. Die Lösung dieses Problems nämlich (und dies mag auch zu diesem Aufsatz gesagt sein!) klärt sich erst in der Praxis, im Spiel ohne Bühne, ohne Schminke und Maske, aus der Gemeinschaft, am besten aus dem Kreis heraus! In diesem Spiel muß dargetan werden, daß das Laienspiel eben den Menschen wirklich an der Wurzel faßt, daß es der Ausdruck seiner Lebenshaltung von ganz unten herauf ist — udd daß es rückwirkend diese Lebenshaltung im ganzen beeinflußt; daß es daher weit tiefer als jede bloße stilistische Formung den Menschen prägt: „Den Felsen bildend, welchem es entsteigt“, wie Goethe im Zusammenhang mit einem Naturphänomen gesagt hat...

Dieses Laienspiel wird, so lehrte zumindest das Erscheinungsbild der Tagung, heute nur in den Reihen der katholischen Jugend gespielt, obwohl es — wie ebenfalls zur Sprache gebracht wurde — bei einer weiten Auffassung des Bekenntnisbegriffes (Spielen des innersten Wesens) nicht auf konfessionell aktive Menschen beschränkt ist. Zeugnis der Intensität dieses zum größten Teil auch religiösen Spielwillens war eine kleine Buchausstellung, welche während der Tagung ausgelegt wurde: Der Fährmann-Verlag in Wien, der Verlag der katholischen Jugend Österreichs nimmt sich, wie man sah, in der Hauptsache des Laienspiels, aber auch des Bühnen- und Puppenspiels an (von welch letzterem übrigens P. Hornauer persönlich mit dem alten „Dr. Faust“ ein tief bewegendes Beispiel gab!). — Das Spiel aller anderen — und zugleich ihre Bemühung nach einer Synthese vorhandener Volksbühne mit der neuen, strengen Form, bot vor allem der Steirische Bühnenverlag dar, der neben meist hektographierter Eigenproduktion eine beträchtliche Anzahl von Laienspielen deutscher Verlage empfahl. (Diese synthetische Auffassung der Steirer ging auch besonders schön aus den bühnenbildnerischen Aktionen ihres Hauptvertreters, Ing Kopp, hervor, welcher ein Mittelding zwischen strenger Stilbühne und naturalistischem Guckkastenbild, leicht aufbau- und verwandelbar, kreiert hat.) — Außer den genannten Erzeugnissen waren auch einige Spiele und Spruchsammlungen des österreichischen Bundesverlages zu sehen.

Damit wäre die Paraphrase-um den Begriff „Laienspiel“, der sich einer Definition so hartnäckig entzieht, fast beendet. Bleibt nur noch zu sagen, daß das Laienspiel — wie schon in anderem Zusammenhang angedeutet, eine Sache der Jugend ist — aber heute nicht mehr — wie ihm ebenfalls in Graschnitz vorgeworfen wurde — der auf einen gewissen, mehr oder weniger engen Kreis beschränkten „Jugendbewegung“. Eben daher, daß es heute neue, ganzheitliche Aufgaben sieht und daran glaubt, daß es aus der ohnedies feierbereiten, bereits gebildeten Gemeinschaft durch seine kraftvolle Echtheit hinausbrechen und stets neue Kreise in die Gemeinschaft ziehen wird, nimmt es den Anspruch, heute wieder ganz neu, ganz am „verheißungsvollen Anfang“ zu sein. Freilich — viel Zukunftsmusik klingt noch heute in diesen Tönen mit. Ob sie sich einmal realisiert, wird nicht nur in der Dynamik der Spielgruppen liegen,, sondern vor allem bei der Potenz der Dichter. Daß diese aus dem brachen Land dieser aufgewühlten Zeit (denn deren Gestaltung ist gerade eine wesentliche Aufgabe des Laienspiels!) neue Formen ziehen, wollen wir hoffen — zu einem wahrhaft und im weitesten Sinn seelsorgerischen Nutzen für Volk und Landl

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