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Jugend und Landschaft

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Das unendliche Geschenk der Landschaft bietet sich unserem eigentlichen Wesen erst dann dar, wenn Erlebnisse unseren deutenden Sinn gereift haben. Das kindliche Auge aber weiß mit Landschaft als einem Zusammenhang von Leben nicht viel anzufangen; ihm kommt sie erst noch in Einzelheiten entgegen; seine Aufmerksamkeit nimmt Ding für Ding auf, die erst nach und nach in seinem Denken sich verbinden und so verstehendes Schauen immer mehr zur Erweiterung des Blickkreises befähigen.

Dem Kinde ist Landschaft vor allem Freiraum, darin es sich ungehindert bewegen, nach seiner Lust laufen und springen und hüpfen, singen und spielen kann. Da ist ihm jedes Material genug, in solcher Freiheit etwas anzulegen, etwas zu bauen, es mit Gebilden seiner Phantasie zu beleben, und der bescheidenste Hügel mit Busch und Zäunen wird ihm zum aufregenden Schauplatz erfundener Geschichten. Landschaft steht dem kindlichen Wesen nicht als etwas Großes, Selbständiges, als etwas zu Bewunderndes gegenüber, sondern muß in Einzelheiten seinem Willen, seinen Erfindungen dienstbar sein. Je mehr Erziehung so glücklich ist, diese Freiluftentwicklung zu fördern, desto fruchtbarer wird der geistig-seelische Boden für künftigen Landschaftsempfang. Denn so wird Landschaft allmählich er-lebt, wird innerlich gewonnen, so wird Sehen zur Beobachtung, zum Schauen, so wachsen Zusammenhänge zu immer größeren Kreisen sich aus, durch- faih.lt von traulich heimatlichem Geborgensein.

Rechte Naturerfassung ist ruhiges Anschauen, verbunden mit geistigem Aufnehmen, sie ist eher schweigend, als daß sie sich wortreich äußerte. Darum ziemt es auch rechter Erziehung, zutiefst Gewecktes in Stille zu belassen, als durch Worte es zu gefährden. In den Jahren der Reife wird die jugendliche Seele von der Landschaft, vor allem durch deren Stimmungen, angezogen, bewegt. Im Kindesalter geht das Interesse auf Dinge i n der Landschaft, soweit sich mit ihnen etwas anfangen läßt, sei es im Spiel, sei es zur Befriedigung der Wißbegierde. Darum müssen auch dem Blich für die Zusammenhänge die Wege bereitet werden, von der Erfassung der Einzelheiten aus; diese aber seien immer Mittelpunkte von Umkreisen, die immer mehr erweitert werden müssen. Anschauliches Wissen, das der Unterricht vermittelt, hilft mit, Tiere, Blumen und Bäume kennenzulernen; nach den Himmelsrichtungen hin, mit der Einfühlung in die Umgebungskarte der Heimat erfährt das Kind von der Lage der Nachbarorte, von Bergen, Flüssen und Tälern. Aber das alles bliebe trockener Stoff ohne bildende Wirkung; die wird erst möglich durch den bewußten, aufmerksamen Anblick der Wirklichkeit. Und die Umgebung jeder Heimat enthält ja so viel, das bei rechter Führung die Kinder zu fesseln vermag, Einfaches, Stillbescheidenes und doch voll von Lebensgehalt. Da sind alte, einsame Bäume a,uf der Halde, da sind, die Fluren begrenzend, mit den Pfaden ab- und ansteigend, die verwitterten Zäune in ihren so verschiedenen Macharten, begleitet von Blumen und Kräutern in ihrer unendlichen, reichen Zierlichkeit, da sind die ernsten Wegkreuze, da ist manch erinnerungsschweres Bildstöckl; dann die Scheunen mit dem Hollerbusch, die Teiche im Wiesengrund, die Mühle mit dem Steg im schattigen Tal. Und der Blick geht über in Äcker mit den pflügenden, säenden, erntenden Gestalten, und von sonnigen Hügeln schaut manche friedlich ehrwürdige Kapelle weiß blinkend in die Feme.

Von der Betrachtung solcher Einzelobjekte aus lassen sich die Umkreise leicht und bald erweitern. Im Gehen durch die Landschaft, beim Wandern gibt sich dem Auge viel Seltsames, das das junge Schauen zur Aufmerksamkeit bringt. Die perspektivischen Veränderungen der Ausmaße in den Einzel dingen, der Erstreckungen im Raume, geben

Vgl. das im Verlag Ott Müller in Salzburg demnächst erscheinende Buch des Autore über

Anregung, das Augenmaß zu üben, wirkliche Entfernungen, Größen zu vergleichen mit dem Augenschein, der sich dann durch den Tiefenraum der Landschaft ergibt. Wie etwa ein Turm in seiner Höhe erst noch mit dem Arme gemessen werden kann, hundert Schritte weiter weg nur mehr den Finger braucht, wie eine Häusergruppe erst noch die ausgespannten Arme verlangt, dann aber mit der Spanne einer Hand zu fassen ist, wie Gebäude, Hügel, Berge hinter Überschneidungen sich verschieben, wieder auftauchen oder sich verdecken, wie sie in ihrer Deutlichkeit sich wandeln, wie Doppelreihen von Alleen, die Begrenzungen von Straßen, in der Weite sich nähern, wie die Luft als Taldunst das Hintereinander, die Gliederung von Erhebungen sichtbar macht und so ein geübtes Auge beim Fernblick schon durch den „Fernenduft“ die Gliederung einer Landschaft durch Täler zu erkennen imstande ist: dies alles wird das jugendliche Auge fesseln und kann für immer gedankenloses Gehen durch die Landschaft verhindern, dafür aber geistige Verbundenheit mit der Landschaft anbahnen.

. Besonderer Pflege bedarf die Empfindung des Farbenlebens, der Farbenwandlungen in der Landschaft. Ist ja selbst Erwachsenen oft der Unterschied zwischen Lokalfarben und Erscheinungsfarben nicht bewußt. Doch ist das kindliche Interesse nicht schwer zu wecken für die Wandlung der Farben durch die Entfernung, durch das Licht, durch den atmosphärischen Zustand. Landschaftsbetrachtung und Betrachtung von Landschaftsgemälden, insbesondere von impressionistischen, werden sie wechselseitig fördern.

Wie alle echte Bildung sich gründet auf eigene Mittätigkeit, die nicht nur den Verstand, sondern den ganzen Menschen beschäftigt, so erwächst auch Zusammenhang der Jugend mit der Landschaft, wenn Jugend selber Leben von Naturgeschöpfen in ihre Pflege nimmt, seien es Tiere, Bäumchen, Topfpflanzen: fühlende Beobachtung nimmt dann an dem Gedeihen sorgenden Anteil, Ergebnis der Sorgfalt und Mühe bringt Freude und fördert die Beziehung schauenden Gefühls für das landschaftliche Leben überhaupt.

Aber auch für die praktische Ästhetik kann manches für die Zukunft gewonnen werden, wenn insbesondere die Gelände bewegung in der Landschaft erfaßt und empfunden wird: wie dies und jenes Bauwerk in der Form, in den Farben in die natürliche Umgebung sich einfügt oder nicht einfügt, wie manche von Menschen errichtete Einzelheit, seien es Weganlagen, Straßenzüge, Bahnbauten mit der landschaftlichen Umgebung Zusammengehen oder störender Mißklang sind, das läßt sich der reiferen Jugend schon zur Beurteilung aufgeben.

Alle Erfassung einer gleichzeitigen Vielheit von Eindrücken, will Ordnung und gar nicht erst von äußerer methodischer Forderung her, sondern von unserem inneren Verlangen danach, vom Bedürfnis nach Klarheit. So viel von gleichzeitigen Eindrücken überkommt das Auge bei dem Blick auf die Landschaft vcm einer Höhe aus. Da muß dem kindlichen Schauen zur ordnenden Erfassung geholfen werden. Der kindliche Geist, dem ja der Drang nach Klarheit schon innewohnt, läßt sich dabei nicht unschwer leiten. Der Lauf von Flüssen, der Zug von Wegen und Straßen, die Begrenzungen der Fluren, die Erstreckung von Höhenkämmen und in allem die farbige Erscheinung, erleichtern die Erfassung, weil sie das Gesamtbild gliedern. Die abnehmende Deutlichkeit landschaftlicher

Einzelheiten führt von der Nähe in die Ferne, iin die Raumtiefe. Aus dem sprunghaften, verworrenen Sehen wird ordnendes, klärendes Schauen, das den Geist schult und dem Eindruck Dauer gibt.

Schönstes, alles zusammensehließend, wird die Natur selber schenken in den wallenden Wolkenzügen über der Landschaft, in den wechselnden Schauspielen des Lichts. Auch wird sich dem Schauen manche Gestalt der Phantasie gesellen, wenn wir an rechter Stelle aus Sage oder Geschichte erzählen. Werden so Landschaft und Innenwelt als ein Ganzes die Seele bewegen, dann kann oft absichtslos, wenn die junge Schar zur Rast sich niederläßt, ein heimatliches Lied erklingen.

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