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Jugoslawische Ballade

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ist jetzt kaum sechs Meter breit und in elendem Bauzustand. Aber muß denn gleich das Kind mit dem Bad ausgeschüttet werden, die Landschaft, um derentwillen die Autofahrer doch größtenteils kommen, durch einen überdimensionierten Straßenbau erst verschandelt werden, bevor sie erreichbar gemacht wird? Das Gesagte ist leider keine dramatische Uebertreibung: Die Kommissionierung hat es inzwischen unzweifelhaft gezeigt; die alten Häuser, zum Teil sehr schöne, alte, typische Salzburger Bauten, werden abgetragen, die alten Bäume rücksichtslos, ja unnötig gefällt, die Straße wird begradigt und um mehr als das Doppelte — um 120 Prozent — von 6 auf 14 Meter verbreitert. Das Unglaublichste an diesem Projekt ist aber die Tatsache, daß oberhalb dieser Straße, zirka 60 Meter höher, die Autobahn führt, an der schon gebaut wird. Man fragt sich also mit Recht: wozu die untere, so überdimensionale Trasse? Vielleicht — wohl wahrscheinlich — stammt das Projekt noch aus einer Zeit, da die Autobahn als abgetan galt. Uns will es jedenfalls absurd erscheinen, an Stelle der einen sechs Meter breiten Straße nun plötzlich zwei Autobahnen übereinander zu bauen; und sei's darum! Das wahrhaft Traurige. Tragische ist die Zerstörung all der intimen, historisch (ja bis ins Prähistorische hinein) fundierten Schönheit. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit an jenen Kulturfilm, der vor wenigen Jahren in Wien gezeigt wurde: er war am Mondsee — an dieser Stelle! — aufgenommen und zeigte den alten „Fischerhausen“ mit seinen Söhnen beim Bau seines neuen Einbaumes, ein wahrhaft „prähistorisches“ Unterfangen; dieser Fischer fährt bis heute in seinen zwei prächtigen „Einbäumen“ zum Fischen; ein „Kultur- und Naturdenkmal“, das unserer Aufmerksamkeit wert wäre, eine einzigartige Attraktion für interessierte- Besucher. Auch sein Haus fällt der Straße zum Opfer.

Haben wir wirklich sowenig Achtung vor uns selbst, daß wir blind sind für die Tatsache, daß sich gerade eine gewisse „Rückständigkeit“ als unser größter Segen erweist dadurch, daß wir die Zeit der größten und brutalsten Fehler und Sünden gegen die Natur verschlafen haben und nun, aufwachend, durch Gottes Gnade die Möglichkeit haben - zumindest hätten —. diese Fehler zu vermeiden, da ja die Zeit, die wahrhaft heutige nämlich, und ihre Pioniere über solche Fehlleistungen schon hinaus sind! Wir wollen doch nicht um jeden Preis die Zerstörungen nachholen, die uns erspart geblieben sind, nicht rasch die retitei ük 'feÜltfefiP H8W?0“ nochf“ machen' Danken wir !Go!“T4aß“%s unserer Heimat noch Winkel gibt, die von der technischen Zivilisation und der Kulturlosigkeit der ablaufenden Epoche verschont geblieben sind; ihnen verdanken wir es, daß unser Fremdenverkehr an dritter Stelle in Europa steht.

Zu all dem muß aber noch gesagt werden, daß die in solchem Ausmaß projektierte Straße die Anwohner in unvorstellbarer Weise vom See abschneidet; die Bewohner all dieser Häuser aber — und noch mehr deren Sommergäste! — leben doch gewissermaßen „hüben und drüben“ der Straße, brauchen den See ebenso wie ihr Hinterland.

Was aber das Niederreißen guter, alter und typischer Bauten betrifft sowie das Fällen alter, schöner Bäume, so sind das Dinge, über die wir uns nicht so einfach hinwegsetzen dürften; wir müssen ja leider bekennen, daß alle Neubauten — auch heute noch — nicht die künstlerische Qualität der alten Häuser haben; nicht in der Proportion und nicht in den Einzelheiten. Es ist traurig, das festzustellen, - aber es ist so. Wir müssen aber trachten, diese alten, vorbildlichen Bauten zu erhalten. Vordringlich wohl unserem Fremdenverkehr zuliebe, aber ebenso wesentlich deshalb, weil sie die Vorbilder sind, die letzten Zeugen einer einstigen Kulturhöhe, die wir ja doch wieder einmal zu erreichen bestrebt sein wollen. Diese Achtung gebührt aber auch den alten Bäumen. So ein Baum braucht 50. bis 60 Jahre, ehe er heranwächst — und trotz allen technischen Fortschrittes ist das auch heute noch so! Wir müßten bis zum Jahre 2000 warten, ehe wir Ersatz erhalten, ehe wieder schöne, alte Bäume die neue Straße schirmen. Das Menschenleben aber ist kurz, und unsere Gäste werden, durch solche Verwüstungen angewidert, anderswo Ersatz suchen — so ist zu fürchten. Was' uns nicht wundern dürfte, wenn wir selbst sowenig Liebe, sowenig Achtung, Sorgfalt und Verständnis zeigen all dem gegenüber, weswegen andere von weither kommen.

Alle geht es an, die Oesterreich lieben: Dieses Bauvorhaben muß revidiert werden. Das Straßenbauamt ist nicht unfehlbar, kann aber jetzt 1 zeigen, daß es guten Willens ist. Eine Straße von neun Meter Breite wird allen Anforderungen gerecht werden und ihm den Vorwurf kultureller Betonprotzerei ersparen.

In einer Operette, die vor einem halben Jahrhundert Südslawien populär machte, wird die Ballade von den zwei Königskindern gesungen, die einander so lieb hatten und nicht zueinander kommen konnten, die Wasser waren zu tief. Die beiden Proletarierkinder Nikita Chruschtschow vund Josip Broz-Tito können einander vermutlich nicht ausstehen, dafür können sie nicht richtig voneinander loskommen, besonders nicht, wenn sie beide politisch-metaphorisch auf dem Trok-kenen sitzen, wie das derzeit der Fall ist.

Im heurigen Sommer sah es bitterböse zwischen ihnen aus. Nikita Sergiejewitsch ließ seinen mächtigen (Don-) Baß kräftig im Rachechor mittönen, der dem Abweicher, Spalter, Revisionisten, Verräter und neuerlichen, Söldling der Wallstreet entgegenklang, in welcher Katzenmusik freilich ein Tenor aus Peking die lauteste und leitende Stimme hatte. Von Tirana bis an die Küsten des Gelben Meeres spannte sich eine Allianz, die den Belgrader Diktator zu vernichten trachtete. Den größten Krach setzte es mit China. Der jugoslawische Botschafter PopoviC wurde von dort mit seltener Grobheit herauskomplimentiert. Mao Tse-tung berief zudem seinen eigenen Vertreter, Wu Hsui-schuen, aus Belgrad ab. Schließlich war der Sonderbeauftragte Titos, Vukmanovic, in China mit stärkster Zurückhaltung aufgenommen worden und kehrte ohne jedes positive Ergebnis heim.

Tito befand sich also bei Sommerende in einer wenig beneidenswerten Situation. Der Spannung mit Moskau, dem offenen Bruch mit Peking gesellten sich Propagandaoffensiven aus Albanien, Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei und der DDR hinzu. Zum Ueberfluß gestaltete sich auch das Verhältnis zu den nichtkommunistischen Nachbarn immer schlimmer. Das traf sowohl auf Italien als auch auf Oesterreich zu. Um das Maß vollzumachen, hatten es die Amerikaner nicht eilig damit, den Mann, der sich schon mehrmals in seiner Unzuverlässigkeit dargetan hatte, wieder militärisch und wirtschaftlich so sehr zu stützen, daß er auf sowjetische Hilfe verzichten und der Feinde rings umher spotten konnte.

Tito und seine Leute wählten in einem so kritischen Moment den einzigen Ausweg, der ihnen offenblieb. Sie boten allen Gegnern die Stirne und verteidigten sich durch kühnen Angriff (mit einer Ausnahme). Man schickte nach Sofia, Tirana, Budapest und Wien drohende Noten, hielt kriegerische Reden, zieh Bulgaren und Albaner unverschämter und unberechtigter Raubgelüste, die Oesterreicher des Staatsvertragsbruches, und scheute auch vor herausfordernden Worten an die Adresse Chinas nicht zurück. Doch man hütete sich weise, das älteste sozialistische Vaterland, die Heimat Lenins, mit ähnlicher selbstsicherer Ueberheblichkeit zu behandeln.

In der zweiten Septemberhälfte und zu Beginn des Monats Oktober hat sich nun zwischen Belgrad und Moskau ein sehr subtiles weltpolitisches Tauziehen abgespielt, das den alten Fuchs Tito in seiner ganzen Meisterschaft zeigte. Es war ihm weder gelungen, durch die im Frühjahr versuchte Schwenkung zu Amerika von diesem die erhofften Zugeständnisse zu erhalten, noch durch den Hinweis auf derlei Schwenkung in Moskau den erwarteten Eindruck hervorzurufen Nun bediente er sich eines zweiten Pressions- und Lockmittels, seiner Beziehungen zur sogenannten dritten Kraft, zu den nichtkommunistischen Staaten, die im Westen und Osten Ansehen genießen oder wenigstens als Vermittler geschätzt werden. Der Marschall ist für den heurigen Herbst zu einer großen Reise nach dem Osten, insbesondere zu Nasser und Nehru, eingeladen. Da kann es Chruschtschow nicht gleichgültig sein, wie sich

Tito über ihn und über die UdSSR bei diesen afro-asiatischen Machthabern äußert. So stießen Befriedungsvorschläge, die aus Belgrad nach Moskau gesandt wurden, auf freundliche Aufnahme. Der jugoslawische Botschafter Micu-novic, der seinen Posten in der Sowjetunion demnächst verlassen sollte, wurde ganz anders verabschiedet als sein Pekinger Kollege. Den Scheidenden empfingen Woroschilow, Chruschtschow und andere Größen des Kremls auf das liebenswürdigste. In. einer mehrstündigen Unterredung mit dem Ersten Sekretär der KPSS und Ministerpräsidenten wurden die Umrisse einer Verständigung erörtert und, wie es scheint, teilweise festgelegt. Was nicht hinderte, daß an demselben Tag, dem 8. Oktober, Jugoslawien seinen schon erwähnten Protest in Budapest vorbrachte, noch daß es gegen Bulgarien und Albanien weiterhin eine energische Sprache führte. Tito erörterte in jenen Tagen demonstrativ vor einer Offiziersversammlung die Möglichkeiten einer Verteidigung gegen Atomangriffe und die Aussichten eines Partisanenkrieges gegen einen potentiellen Eindringling. Anderseits hielten die, vermutlich in Pankow und in Sofia bereits bekannten, Entspannungsbemühungen zwischen

Moskau und Belgrad die eben miteinander konferierenden Parteigewaltigen der DDR und Bulgariens nicht davon ab, ein sehr geharnischtes Kommunique über ihr Sofioter Treffen zu veröffentlichen, darin sie ihre Solidarität mit deutlicher Spitze gegen lugoslawien bekräftigten.

Als Echo darauf und auf die albanischen Sticheleien ist die Rede Titos in Zenica zu betrachten. Dort sprach er am 12. Oktober bei der Eröffnung des neuen bedeutendsten Metallkombinats seines Landes ohne den leisesten Ausfall gegen die UdSSR, dagegen mit recht bissigen Worten über Amerika, dessen Getreidehilfe unangenehme politische Folgen auszulösen drohe. Er wandte sich scharf gegen Bulgarien und Albanien wie gegen China, machte jedoch ein unmißverständliches Anbot, Polemiken gegen diese Staaten, bei Gegenseitigkeit, einzustellen. Es war klar, daß er sehr gerne mit Mao Tse-tung wieder auf gleich kommen möchte.

Die beiden Kommunistenführer in Moskau und in Belgrad werden also immer wieder voneinander mit einer Art geheimnisvollen magnetischen Kraft angezogen. Allerdings, die Begleiterscheinungen der Wiederversöhnung wechseln. Im vorigen Oktober, vor der Vierzigjahrfeier der großen sozialistischen Revolution, wurde Tito plötzlich von einem Hexenschuß geplagt, der ihm eine Fahrt nach dem Kreml untersagte. Heuer quält ihn der Hexenschuß zur gleichen Jahreszeit. Doch uns dünkt, daß er diesmal Tito von der Reise nach Hauptstädten der dritten Kraft abbringen soll, die in diesem Moment Chruschtschow unerwünscht wäre, und daß der Patient erst dann, geheilt, auf die große Fahrt gehen wird, sobald er mit dem Herrn im Kreml alle Unstimmigkeiten liquidiert hat. Und da soll jemand behaupten, Politik habe nichts mit Hexerei zu tun!

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