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Julius IL, Cäsar von Österreich

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Vor kurzem erschien im Verlag Wedel ein Buch besonderer Art. Sein Titel: „Julius.“ Der Untertitel „Ein Kanzler in der Karikatur“ verrät, daß es sich um eine Sammlung der besten Raab-Karikaturen aller in- und ausländischen Zeichner handelt. Als Herausgeber zeichnet Ironimus. Der politische Redakteur der „Furche“ schrieb das folgende Vorwort zu dieser gezeichneten Kanzlerbiographie.

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Vor kurzem erschien im Verlag Wedel ein Buch besonderer Art. Sein Titel: „Julius.“ Der Untertitel „Ein Kanzler in der Karikatur“ verrät, daß es sich um eine Sammlung der besten Raab-Karikaturen aller in- und ausländischen Zeichner handelt. Als Herausgeber zeichnet Ironimus. Der politische Redakteur der „Furche“ schrieb das folgende Vorwort zu dieser gezeichneten Kanzlerbiographie.

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Dieses Buch ist einem Mann mit Namen Julius gewidmet.

Keinem gewöhnlichen Mann, sondern einem homo politicus.

Um jedes Mißverständnis von Anfang an zu beseitigen: er schreibt sich nicht Cäsar mit Familiennamen, sein Geburtsort ist keineswegs die Siebenhügelstadt am Tiber. Und wenn er als Politiker auch sicher schon mehr als einmal den Rubikon überschritten hat, so den des geflügelten Wortes und nicht den kleinen Grenzfluß, der Gallien vom alten italienischen Stammland trennte.

Die Leser dieses Buches, die sicher schon diesen Text ein- oder mehrmal überblättert und — Schicksal des geschriebenen Wortes in der Mitte des 20. Jahrhunderts! — ihre Aufmerksamkeit lieber den Zeichnungen auf den folgenden Seiten zugewendet haben, .wissen es schon lange: der Mann namens Julius ist der Bundeskanzler von Oesterreich, Julius Raab.

Wir bleiben bei Julius Cäsar. Nicht um die an sich nicht gerade allzu originelle Wortverbindung von „Julius“ und „Cäsar“, die Julius Raab seit seinen Gymnasiastenjahren begleitet, zum x-ten Male zu wiederholen. Wenn wir dieser Spur folgen, so nur deshalb, um ins alte Rom zu kommen. Alle Wege der österreichischen Geschichte führen nach Rom. Warum sollte es bei der Geschichte der Karikatur anders sein?

Vor den Mauern Pompejis liegt die Villa dei Misteri. Wer sie besichtigt, kann hier die Illusion erleben, auf eine halbe Stunde ein alter Römer zu sein. Von mattem Rot und tiefem Schwarz leuchten die Wände. Alles lebt. Und dann steht man einer der ältesten uns erhaltenen Karikaturen gegenüber. Auf der Wand eines der Wohnräume hat ein anscheinend vom Wein beflügelter Zecher sich mit einem scharfen und spitzen Gegenstand zu schaffen gemacht. Eine große Nase, listige Augen, eine von einem über-dimensionnalen Lorbeerkranz gekrönte Stirn ... hic est Ovidius Naso. Dieses war Ovid.

Vielfach wechselt die Karikatur seither ihr Kostüm, oft ihre Meister und ihre Werkzeuge. nas Mittelalter arbeitet mit Tiersymbolen. Fuchs und Wolf stehen für Tücke und Gewalt. An der Wende zur Neuzeit tritt uns auf alten Wiegendrucken der Narr entgegen. Mit mehr als hundert verschiedenen Narren belädt Sebastian Brandt sein Narrenschiff, und Erasmus von Rotterdam singt sein Lob der Narrheit. Man kann der Welt die Wahrheit sagen — es ist aber geraten, dies unter der Schellenkappe zu tun. Mitunter freilich vergeht auch dem Narren das Lachen. Die Pestilenz geht um und holt sich ihre Opfer bei jung und alt, bei hoch und niedrig. Der Tod wird aus einer fernen Erwartung zu einem Gesellen, dem man leibhaftig begegnet, der Teufel tritt an seine Seite, furchtlos zieht der Ritter seinen Weg ... So hat sie Albrecht Dürers große Kunst dargestellt. Daneben begegnen wir ihnen auf zahlreichen, landauf, landab verbreiteten Drucken in vergröberter, oft sogar bizarrer Gestalt.

In den Kampfschriften der Reformation und Gegenreformation wird die Karikatur bereits bewußt eingesetzt — in drastischester Form, ja geradezu schon entartet. Der Gegner soll im Urteil des Betrachters herabgesetzt werden, so tief wie nur möglich. Er soll jeden moralischen Kredit, jede Glaubwürdigkeit verlieren.

Die Szene wechselt. Ein Menuett klingt auf. Eine galante Gesellschaft amüsiert sich bei Spiel und Tanz. Der Mann des Zeichenstiftes wird zum harmlosen Haus- und Hofillustrator. Mitunter rächt er sich freilich durch mehr oder weniger zwei- bzw. eindeutige Sittenbilder.

Unten aber grollt der Vulkan. Die „Levee en masse“, die allgemeine Mobilisierung der erwachenden Völker, rekrutiert neben vielen anderen auch den Dichter. Warum sollte sie mit dem Zeichner eine Ausnahme machen? Für oder gegen die Tyrannen soll er zeichnen, pro oder kontra Napoleon muß er sein Talent spielen lassen. Als dann Herr Biedermeier die Stunde regiert, wird auch die Hand, die ihre ersten politischen Stilübungen hinter sich hat, zunächst etwas müde. Doch nicht lange, dann regt sich die einmal angespornte Lust aufs neue. Freilich, von Metternich und seiner Pressepolizei wohlweislich ins Unverbindliche, in das Gebiet des Theaters und der Gesellschaft abgelenkt. Auch ein Seitensprung in die Erotik wird verziehen — ja, ein überliefertes Wort des Staatskanzlers bezeichnet jene, die die Aufmerksamkeit des Volkes von den öffentlichen Angelegenheiten bewußt oder unbewußt in die intime Sphäre ablenken, mit dem ihm eigenen Sarkasmus als „unsere besten politischen Agitatoren“.

Der Märzsturm des Jahres 1848 macht diesem Idyll ein Ende. In den kommenden Wochen und Monaten betritt die österreichische Presse die Bühne der Oeffentlichkeit. An der Hand führt sie ihr liebstes, aber auch ihr ungebärdigstes Kind: die Karikatur. Noch lange Jahrzehnte ist dieser, eben wegen ihres borstigen Charakters, der Eintritt in die Spalten einer Zeitung, die auf Seriosität hält, versagt. Die sogenannten humoristischen Blätter werden die Spielecken, in denen die Karikatur heranwachsen und reifen kann. Ein „Kikeriki“ hackt auf manche Zeitgenossen ein, der „Floh“ wird so lästig wie er nur kann, „Leuchtkugeln“ steigen empor — um nur einige wenige Zeitschriften mit Namen zu nennen, die sich der Karikatur und der politisehen Satire auf Wiener Boden verschrieben haben. Und mehr als ein Minister von Cis- oder Transleithanien schlägt dröhnend mit der Hand auf den Tisch, sobald ihm der Amtsdiener das neueste Journal mit seinem nicht immer schmeichelhaften Konterfei druckfeucht präsentiert. „Keep smiling“ ist noch eine unbekannte Parole.

Die Zeiten sind inzwischen böse geworden. Eine Welt — die Welt der Völker Mitteleuropas — besteht nicht mehr. Die Radikalismen von links und rechts ducken sich zum Sprung. Der Barbarismus erhob in vielerlei Masken aufs neue sein Haupt. In der Karikatur findet der Geist der Zeit, der Ungeist der Zeit, sein getreues Spiegelbild. Da im politischen Kampf das Florett längst durch den Holzprügel ersetzt ist, verstauen auch die Karikaturisten den Stift und greifen zur Spachtel. Dick auftragen! so lautet die Devise. Kein Hauch von Liebenswürdigkeit, ja selbst von Menschlichkeit, soll am karikierten „Objekt“ bleiben. Nur abgr'ind-schwarze' Bösewichte Und reißende Bestien sind zugelassen. Verletzen, bewußt verletzen und erniedrigen: das war die Losung. Fertigmachen! lautet das Feldgeschrei. Bald ist der Karikaturist zum Schweißhund erniedrigt, der die Opfer hetzen und dem Jäger vor die Flinte treiben soll. Am Ende dieser wilden Jagd ist die Karikatur selbst auf der Walstatt geblieben.

Als 1945 und in den Jahren darnach inmitten geistiger und' materieller Trümmer die österreichische Presse sich neu formiert, muß sie auf ihre „leichte Kavallerie“ verzichten. Die Karikatur scheint tot, mausetot! Doch wie so oft in ihrer abwechslungsreichen Geschichte, ist es nur ein Starrkrampf. Langsam, sehr langsam lockern sich die Finger. Schüchterne, erste Versuche tragen noch den Stempel der Karikatur der dreißiger Jahre. Grob und viel zu direkt kommen sie uns heute vor. „Unterspielen“ ist als Antwort auf große Gesten und hohles Pathos eine oft geübte Regieanweisung auf der Bühne geworden. Auch der Karikaturist steht unter den Gesetzen der eigenen Dramaturgie seiner Zeit. Er verstünde sein Handwerk schlecht, setzte er seinen Ehrgeiz darein, der karikierten Person heute mehr oder weniger unsichtbare Teufelshörner aufzusetzen. „Die weiche Welle“ ist vielmehr die an allen Orten geübte und geachtete Spielregel geworden.

Um 1950 werden die Zeichnungen des Amerikaners Saul Steinberg in Oesterreich bekannt. Sein Bild hängt, sichtbar oder unsichtbar, über vielen Arbeitstischen der Vertreter unserer neuen Karikaturistengeneration, die sich in dem letzten halben Jahrzehnt still und unauffällig formierte und heute das Feld beherrscht. Und noch, ein zweites Bild hängt dort: das Bild Mirko Szewczuks, des als Zeichner deutscher Blätter international bekannt geworderten und viel zu früh verstorbenen österreichischen Karikaturisten.

Eine junge Generation, die die spitze Feder wohl zu meistern versteht, hat sich in Oesterreich konstituiert. Vielleicht ist es sogar erlaubt, mit aller Vorsicht von einem gemeinsamen „österreichischen Stil“ unserer Karikaturisten zu sprechen, so verschieden die Temperamente und Ausdrucksmittel der einzelnen Zeichner auch sein mögen. „Die weiche Welle“ nannten wir ihn oben. Liebenswürdigkeit auch im Angriff. Menschenfreundlichkeit an Stelle von Misanthropie und Zynismus. Und letzten Endes die Bereitschaft, auch das eigene Ich etwas vor den Zerrspiegel zu ziehen. Die Waffen, mit denen unsere Zeichner kämpfen, sind spitz, aber nicht schartig. Und noch eines: sie sind desinfiziert. Blutvergiftung ist nach keinem Stich zu befürchten.

So hat die zeitgenössische Karikatur in Oesterreich die alten Gesetze, nach denen Lächerlichkeit töten kann, geradezu verkehrt. Aber man will ja niemanden töten, man will ja nicht einmal der Lächerlichkeit überliefern, man will nur, daß ein Lächeln die erstarrten Alltagsgesichter löst, daß der Uebermut der Aemter und der Amtspersonen auf ein erträgliches Maß herabgeschraubt wird, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen ...

So gesehen ist die Karikatur heute vielleicht das beste Hilfsmittel, überhaupt bekannt und vielleicht sogar populär zu werden — man muß nur in Kauf nehmen, mit dem einen oder anderen von den Karikaturisten attachierten Utensil in die Weltgeschichte einzugehen.

Der Kanzler namens Julius, dem dieses Buch gewidmet ist, raucht seine „Virginia“ und ißt „Knackwurst“ mit Gelassenheit. Aber wir haben schon auch in Oesterreich parlamentarische Interpellationen wegen „übergroßer Nasenlänge“ erlebt ...

Eine Biographie von Bundeskanzler Julius Raab ist noch ungeschrieben, aber mit dijsem Buch werden viele Stationen seines politischen Lebens deutlich.

Neidlos läßt die Feder dem Zeichenstift den Vortritt. Karikaturisten sind in der Mitte des 20. Jahrhunderts die beliebtesten Biographen.

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