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Junge spanische Autoren

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In den letzten Jahren ist eine beträchtliche Anzahl bei unä kaum bekannter spanischer Autoren ins Deutsche übersetzt worden, die, wie etwa Federico Garcia Lorca oder Ramon Perez de Ayala, schnell einen breiten Leserkreis fanden. Nach diesen Erfolgen beginnen die deutschen Verleger nun auch, sich der jungen und jüngsten spanischen Literatur anzunehmen. So kündigt der Bachem-Verlag, der schon Carmen Laforet verlegte, eine Reihe „Junge spanische Autoren“ an, aus der jetzt zwei Bände vorliegen. Beide interessante und erfreuliche Dokumentationen einer Generation, die nach den Erschütterungen des Bürgerkriegs und in der allgemeinen Unsicherheit unserer Zeit auf der Suche nach neuen tragfähigen Fundamenten ist.

Miguel Delibes, 1920 in Valladolid geboren, hat bereits ein umfangreiches literarisches Werk aufzuweisen, dem in seiner Heimat großer Erfolg beschieden war und das ihm verschiedene Literaturpreise eintrug. Darunter 1955 den spanischen Nationalpreis für Literatur für sein „Tagebuch eines Jägers“. Der hier vorliegende Roman „Und zur Erinnerung Sommersprossen“ (1950 geschrieben) strahlt so viel heitere Güte und Menschlichkeit aus, daß er auch hierzulande gewiß sich viele Freunde gewinnen wird.

Delibes erzählt die Geschichte eines elfjährigen Knaben, „Daniel, das Käuzchen“ genannt, der in der letzten Nacht, bevor er aus seinem geliebten Dorf in die Welt hinaus muß, um zu lernen und „vorwärtszukommen“, über sein kurzes, aber unendlich reiches Leben nachdenkt. Aus der Perspektive des Kindes wird da die kleine Welt des Dorfes sehr unmittelbar heraufbeschworen, eine Welt noch voll von Geheimnissen, nahe den Quellen des Daseins und sehr viel wahrer, als die graue, nüchterne Wirklichkeit der Erwachsenen, in der nur die Gesetze des Einmaleins gelten. Köstlich der Reigen von Kindern und Käuzen, der da vor uns Revue passiert, all die bezaubernden Einfälle und Begebenheiten, die in dieser Abschiedsstunde in Daniels Herzen lebendig werden.

„Durch das Fenster sah er auf den kühnen, scharfen Kanin: des Pico Rando, Da fühlte er, daß die Lebenskraft des Tales ihn mit ungestümer, besitzergreifender Macht durchdrang und daß er dem Tal sein ganzes Sein mit einem wilden Sehnen nach innigster, vollkommenster Verschmelzung hingab. Einer gab sich dem andern in dem glühenden Wunsch, sich gegenseitig zu schützen, und, Daniel, das Käuzchen sah ein. daß dieses innige Band durch nichts getrennt werden durfte. .. Und doch mußte er alles aufgeben, um vorwärtszukommen.“ Mit der Hellsichtigkeit des Kindes weiß er, „daß er einen Weg beschritt, der sehr verschieden von dem war, den Gott ihm bestimmt hatte ... Aber da er erst elf Jahre alt war, entschied sein Vater für ihn. Warum nur, lieber Gott, warum war alles in der Welt so ausgesprochen schlecht geregelt“?

Delibes erzählt seine schöne Geschichte mit sehr viel Zartheit und einem untrüglichen Blick für das Wesentliche im Menschenleben. Wir müssen ihm auch dankbar sein, daß er die einfachen Dinge uns so einfach nahebringt, die wir in unserem geistigen Hochmut so gern komplizieren und damit verschleiern und verkehren.

Goytisolos Buch „Auf Wegen ohne Ziel“ ist problematischer und viel unausgeglichener als das seines Landsmannes. Es handelt sich um keinen Roman im landläufigen Sinn mit einer kontinuierlich fortlaufenden Handlung, sondern das Buch besteht aus sieben in sich abgeschlossenen Skizzen, die um ein gemeinsames Thema kreisen: die Auseinandersetzung bestimmter spanischer Typen aus verschiedenen sozialen Kreisen mit ihrer Umwelt und dem Leben überhaupt. In der Haltung aller dieser Menschen offenbart sich eine erschreckende Leere und müde Langeweile, eine Ziel- und Hoffnungslosigkeit, die um so trostloser wirkt, als es jeweils nur eines kleinen Schrittes, der persönlichen Initiative und Entscheidung, bedürfte, um das Dasein sinnvoll zu bewältigen, um Resignation und Stagnation zu überwinden. Es scheint, als wolle der Autor gerade in der schonungslosen Entlarvung einer lebentötenden Apathie und falschen Ergebung seiner Gestalten den rettenden Ausweg in ein echtes Leben aufdecken. Hinter der Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit seiner Menschen leuchten Möglichkeiten der Bewährung auf, die freilich in diesem Buch in keinem einzigen Fall verwirklicht werden. Es bleibt also abzuwarten, wie die Entwicklung dieses noch sehr jungen Schriftstellers (er wurde 1935 geboren) weitergehen wird, ob sein Pessimismus oder die hier noch zaghaften positiven Ansätze die Oberhand gewinnen werden. Keine Frage dagegen ist Goytisolos schriftstellerische Begabung. Seine Erzähltechnik ist interessant, seine karge, saubere Sprache ausdrucksfähig und von großer Anschaulichkeit.

Goytisolo wurde übrigens der 1957 gestiftete Romanpreis der Bibliotheca Breve, der die jungen spanischen Schriftsteller fördern will, als erstem für das hier vorliegende Buch verliehen.

Man wird die pessimistische Lebenseinstellung der jüngeren spanischen Schriftsteller, wie etwa auch Goytisolos, besser verstehen, wenn man die teilweise sehr dunkle Wirklichkeit kennt, an der Spanien auch heute noch leidet. Deshalb möchten wir hier auf ein Buch zweier Amerikaner, Elizabeth Lyttleton und Herbert Sturz, hinweisen, die ein Jahr in La Farola, einem kleine Ort in der Nähe von Malaga, lebten und in ihrer „Chronik eines spanischen Dorfes“ die dort gewonnenen Eindrücke zusammenfaßten. Es ist ein erschütterndes Bild, das an Dolcis „Umfrage in Palermo“ erinnert. Hier wie dort leben breite Bevölkerungsschichten in einer so großen Armut und in so unvorstellbarem Elend, daß für sie Konflikte mit dem Gesetz unvermeidlich sind. Hier eine symptomatische Episode, die Lyttleton-Sturz berichten: „Wie ein Heuschreckenschwarm krochen La Gallina und seine Familie über die Äcker und verschlangen, was sie finden konnten. Es war wenig genug. Die Landwirtschaft lag danieder. Die Weizenernte war fast ganz ausgefallen, die Olivenbäume waren infolge der Vermehrung der Schädlinge von einer Krankheit befallen, das wenige Öl, das man erntete, war bitter von Würmern. Die Kinder, die nach Juan de Dios' Rückkehr aus dem Krieg wieder zur Welt kamen, nährte Remedios von wilden Feigen und den Früchten des Feigenkaktus. Ein Jahr lebten sie fast nur von Zitronen, das heißt dielenigen, die weiterlebten, denn die anderen, die in der sauren Frucht nicht genügend Nahrung fanden, starben. Auch Remedios' jüngste Kinder starben. La Gallina suchte meilenweit die Felder ab. Obwohl er sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten konnte, schleppte er noch einen Sack und eine Hacke mit und kam nie nach Hause ohne einige Wurzeln oder Kräuter, die seine Mutter und Marie Sol essen konnten. Als er das erste Mal von der Feldgendarmerie oder der Polizei bei diesen Streifzügen erwischt wurde, kam er mit einer Ohrfeige und einer Verwarnung davon. Später jedoch wurde er mit auf die Wache genommen und erhielt Stockschläge. Aber nach La Gallinas Meinung war er in diesen Jahren noch gut davongekommen. Andere hatten Schlimmeres erlitten . . .“ Auch von diesem Schlimmeren ist die Rede in der „Chronik“, von Terror, Verfolgung und Folter der „Feinde des Systems“, die im Franco-Spanien auch nach dem Bürgerkrieg an der Tagesordnung sind.

Auf der einen Seite also brutale Ausbeutung breiter Kreise durch die besitzenden Klassen und politischer Terror des herrschenden Regimes — auf der anderen ein Elend, das die Betroffenen in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, in Laster und Kriminalität hineintreibt. Dazwischen einige Menschen, die unbeirrt den Weg brüderlicher Liebe und Hilfsbereitschaft gehen und in ihrem kleinen Umkreis viel Gutes wirken. So stellt sich die Lage in diesem spanischen Dorf den beiden Autoren dar. Und sicher sind viele ihrer Erfahrungen aufschlußreich für die Situation in Spanien schlechthin. Ein Buch also, in dem flüchtige Ferienreisende sich das Rüstzeug holen können für ein tieferes Eindringen in das Gesicht und Wesen dieses Landes. Dr. Anneliese D e mpf

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