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Kainz und Lueger

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Der nachfolgende Text ist dem dritten Band in der neuen kulturgeschichtlichen Serie von Fred Hennings „Solange er lebt“ entnommen, der vor kurzem unter dem Titel „Nehmt meine Herrlichkeit und Würde hin…“ erschien. Diese Worte aus Shakespeares Tragödie „König Richard II.“ sprach Burgschauspieler Josef Kannz. als er schon schwerkrank und vom Tode gezeichnet war. Sie galten nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Bürgermeister Dr. Lueger, den „Herrgott von Wien“, der im selben Jahr wie Kainz, 1910, sein Leben beschloß. Diese beiden großen Gestalten und Lieblinge der Wiener stehen im Mittelpunkt des neuen „Hennings“. Er zeichnet Kainz und Lueger mit ihren Vorzügen, aber auch mit ihren menschlichen Schwächen. Eine Reihe von wichtigen Ereignissen der Wiener Kulturgeschichte werden in diesem Band behandelt: der leidenschaftliche Kampf um Otto Wagners Projekt eines Städtischen Museums auf dem Karlsplatz, die Entwicklung des Flugwesens, die Versuche von Wilhelm Kreß, der Besuch des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt, in Wien, der Bericht des Thronfolgers Franz Ferdinand über seine Teilnahme am Begräbnis König Eduards VII. von England und die Reise Kaiser Franz Josephs nach Bosnien. Die vielseitige und farbenreiche Darstellung läßt vieles aufleben, was die Wiener damals bewegte, ergänzt durch die reiche Illustrierung. (105 Seiten Text, 75 Abbildungen auf 40 Tafeln. Verlag Herold Wien-München.)

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Der nachfolgende Text ist dem dritten Band in der neuen kulturgeschichtlichen Serie von Fred Hennings „Solange er lebt“ entnommen, der vor kurzem unter dem Titel „Nehmt meine Herrlichkeit und Würde hin…“ erschien. Diese Worte aus Shakespeares Tragödie „König Richard II.“ sprach Burgschauspieler Josef Kannz. als er schon schwerkrank und vom Tode gezeichnet war. Sie galten nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Bürgermeister Dr. Lueger, den „Herrgott von Wien“, der im selben Jahr wie Kainz, 1910, sein Leben beschloß. Diese beiden großen Gestalten und Lieblinge der Wiener stehen im Mittelpunkt des neuen „Hennings“. Er zeichnet Kainz und Lueger mit ihren Vorzügen, aber auch mit ihren menschlichen Schwächen. Eine Reihe von wichtigen Ereignissen der Wiener Kulturgeschichte werden in diesem Band behandelt: der leidenschaftliche Kampf um Otto Wagners Projekt eines Städtischen Museums auf dem Karlsplatz, die Entwicklung des Flugwesens, die Versuche von Wilhelm Kreß, der Besuch des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt, in Wien, der Bericht des Thronfolgers Franz Ferdinand über seine Teilnahme am Begräbnis König Eduards VII. von England und die Reise Kaiser Franz Josephs nach Bosnien. Die vielseitige und farbenreiche Darstellung läßt vieles aufleben, was die Wiener damals bewegte, ergänzt durch die reiche Illustrierung. (105 Seiten Text, 75 Abbildungen auf 40 Tafeln. Verlag Herold Wien-München.)

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Während der Saison 1908 09 gab es nicht nur die Annexionskrise, sondern auch eine Burgtheaterkrise, die die Gemüter der Wiener vielleicht mehr erregt hat als die planmäßig verschleierte Staatsaktion um Bosnien und die Herzegowina. Handelte es sich doch um einen ihrer erklärten und vergötterten Lieblinge, um Josef Kainz. — „Kainz oder Schlenither“, das war die Frage. Die Gegensätze zwischen dem damaligen Burgtheaterdirektor und seinem Star traten im Laufe der Jahre immer deutlicher zutage und waren ganz fundamentale. Kainz charakterisierte sie einmal mit den lapidaren Worten: „Ich bin Weintrinker, er Biertrinker.“ Beide Krisen endeten schließlich mit einem Kompromiß. In beiden Fällen wurde ein bestehender Vertrag abgeändert. Europa bewilligte die Änderung des Berliner Vertrages von 1878, die Generalintendanz der Hoftheater einen Adlditionatartikel zum

Vertrag des Hofschauspielers Josef Kataz, der ihn für die restlichen zwei Jahre nur noch während der Monate

Dezember, Jänner, Mai und Juni an das Burgtheater band. Hugo Thimig. dessen intensiver Bemühung Schlen- ther seine Berufung als Direktor eigentlich zu danken hatte und der nach anfänglichem Bedenken Kainz als Künstler ungemein hochschätzte, fühlte sich „wie vor den Kopf geschlagen“ und vermerkte am 15. Juni 1909 in seinem Tagebuch: „Also herabgesunken zum Gastierthea- ter, mein liebes Burgtheater! Deine erste Kraft ein Wandervirtuose, der

Dich nur zum Ausruhen beehrt. Das war wohl der letzte und wuchtigste Streich gegen den Grundpfeiler unserer alten, aber herrlichen Kunst-Institution. Wir sind nun tatsächlich eine Bühne wie jede andere. Laube ließ Dawison und die Marie Seebach ziemlich zugleich ziehen, weil sie Wandergelüste hatten, und hielt, selbst unter Verlust solcher Kräfte, seine Burg rein. Wie ein Bankrottierer fühlte ich mich, der sich für Schlenther so ganz und voll eingesetzt hat.“

Die Sommermonate und den September 1909 verbrachte Kainz zum Großteil in der Schweiz. Dort traten zum erstenmal ernsthafte Knank- heitserischeinungen auf. Trotzdem begab er sich im Oktober und November auf Gastspielreisen, nachdem er zuvor seine Wiener Wohnung aufgelassen hatte und ins Hotel Sacher übergesiedelt war. Am 2. Dezember 1909 trait Kainz im Rahmen seiner Burgtheaterverpflichtung als Richard II. zum erstenmal wieder vor das Wiener Publikum. Tosender Beifall empfing den Heimkehrer. Doch schon sehr bald mußten die Zuschauer zu ihrer Bestürzung eine merkliche Veränderung im Aussehen und im Spiel ihres Lieblings feststellen.. Aschgrau und eingefallen waren seine Wangen, und aus dunklen Höhlen irrlichterten seine herrlichen Augen. Sein Spiel hatte etwa Verkrampftes, nervös Fahriges. Als Kainz seinem Gegenspieler Boling- broke, den Ernst Hartmann verkörperte, seinen Kronreif mit den Worten übergab:

„Nehmt meine Herrlichkeit und Würde hin,

Die Leiden nicht, wovon ich König bin“,

sahen Hartmann und einige der Zuschauer in den ersten Reihen, daß Tränen über sein zerfurchtes Antlitz rannen. Josef Kainz weinte! Aber nicht etwa aus Rührung und Ergriffenheit, sondern infolge der Schmerzen, die ihn quälten. Schon während eines seiner letzten Gastspiele wälzte er sich einmal stöhnend auf dem Boden und flüsterte seiner Partnerin zu: „Mach schnell, ich kann nicht mehr!“ Zur selben Zeit, da Kainz auf der Bühne des Burgtheaters nur unter Aufbietung der letzten Kräfte seinen Verpflichtungen nachkam.

versah im Rathaus gegenüber ein anderer vergötterter Liebling der Wiener, Dr. Karl Lueger, fast zur Gänze erblindet und von Schmerzen geplagt, in einem Lehnstuhl sitzend oder mühsam auf einen Stock gestützt, sein Amt.

Der 24. Dezember 1909 brachte Kainz als Weihnachtsgeschenk die Demission des Burgtheaterdirektors Paul Schlenther. Sein Nachfolger Alfred Freiherr von Berger trat sein Amt am 1. Jänner 1910 an. Schon an diesem Tag erklärte er: „Die Kainz- Frage ist eine Frage, mit der das heutige Burgtheater steht und fällt. Man muß alles daransetzen, diesen Künstler wieder in ein normales Verhältnis zum Buriheater zurückzubringen. Das erheischt sowohl das Interesse des Kunstinstitutes als auch jenes des Künstlers, dessen gedeihlicher Entwicklung das Leben eines Wandervogels gewiß nicht förderlich sein kann.“ Während nun

Kainz im Laufe des Monats Jänner 1910 mit Baron Berger wegen seines neuen Vertrages verhandelte und in seinen verschiedenen Glanzrollen achtzehnmal auftrat, verbrachte Wiens Bürgermeister Lueger den Großteil dieses Monats auf dem Semmering, um noch ein Letztes zur Rettung seines Augenlichtes zu versuchen, Lueger, der schon seit langem zuckerkrank war, laborierte seit 1904 an einem chronischen Blasen- und Magenleiden, zu dem sich 1907 auch noch eine Nierenerkrankung schlug. Er litt an einer sogenannten „Schrumpfniere“, die im Laufe der Zeit zu einer schweren Schädigung des Sehvermögens und des Kreislaufes geführt hat. Die Behandlung der Augen lag in den Händen des Doktor Topölanski, der mit Erfolg Injektionen direkt ins Auge anwandte. Ende Jänner 1910 zeitigten aber auch diese keinerlei Wirkung mehr. Dr. Topolanski riet, den berühmten Augenspezialisten Professor Schoss aus München kommen zu lassen, was jedoch Lueger wegen der hohen Kosten ablehnte. Da wollte es der Zufall, daß der königlich bayerische Gesandte Baron Tücher Professor Schoss zu sich nach Wien kommen ließ. Sofort berief Dr. Topo- lanski seinen berühmten Münchner Kollegen zum Konsilium ins Rathaus, wohin Lueger inzwischen wieder zurückgekehrt War. Das Urteil von Professor Schöss lautete: „Da gibt es keine Hilfe mehr, da kommt die ewige Nacht.“ Lueger selbst hatte jede Hoffnung auf Besserung aufgegeben. Trotzdem ließ er sich nicht abhalten, am 27. Jänner den Ball der Stadt Wien zu eröffnen und den Erzherzog-Thronfolger zu begrüßen. „Mühsam, auf einen Stock gestützt und von dem treuen Purnera geführt, betrat er“ — wie Rudolf Kuppe berichtet — „den festlich erleuchteten Saal. Sein blindes Auge schweifte zeitweilig in die Irre. Nachdem die Begrüßung der Honoratioren vorüber war, verblieb er nur noch eine kurze Weile, in einem Lehnstuhl sitzend. Seine Erscheinung hatte bei den Festgästen einen erschütternden Eindruck zurückgelassen. Einige ungarische Blätter brachten darauf den gehässigen Bericht, daß Dr. Lueger, wie aus seinem wirren Blick zu erkennen war, bereits dem Wahnsinn verfallen sei.“

Am Tag zuvor konnte Kainz im Burgtheater seine Rolle als Tasso kaum zu Ende spielen. Er bereitete den Kritiker Felix Salten mit den folgenden Zeilen darauf vor: „Liebster Freund! So sehr ich mich freue, von Ihnen zu hören, so wenig Freude werden Sie heute ap meinem Tasso haben. Ich halte mich buchstäblich nur mit Mühe aufrecht. Der fünfte Abend en suite! Dazu die Verhandlungen der letzten Tage! — Na, heute sind wir einig geworden, aber ich kann mich nicht mehr freuen, weil die Mühe beispiellos war und ich jetzt erst zusammenklappe.“

Am selben Tag, da Josef Kainz von Wien aus nach seinem geliebten Ospedaletti bei San Remo reiste, saß der Bürgermeister Lueger zum letztenmal dem. Gemeinderat vor.

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