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Kaiser von Mexiko…

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Im Rahmen der Wiener Festwochen bringt das Volkstheater Franz Werfels „Juarez und Maximilian“ zur Aufführung. Das problematische Stück dieses hochproblematischen Menschen, der, ein Spiegelbild seiner Zeit und seiner Verhältnisse, Literat und Dichter, Anempfinder und religiöser Mensch war. Einer früher ungeklärten Mittellage gehört dieser „Maximilian“ an. Am 28. Mai 1864 landet die „Novara mit Maximilian in Vera Cruz. Am 19. Juni 1867 wird Maximilian in Queretaro erschossen. Was liegt vorher? Das Stück 6agt wenig oder gar nichts darüber aus; über Maximilians Tätigkeit im Aufbau einer österreichischen Flotte, über seinen Versuch, Österreich am Roten Meer einen Stützpunkt zu schaffen, über sein Einbezogenwerden in die Spiele Napoleons III., durch seinen eigenen Schwiegervater, den König Leopold von Belgien. Werfel malt mit wenigen Figuren und Ideen das Bild eines idealistischen Träumers (von Egon von Jordan noch überzeichnet ins Romantisch-Blasse, Elegisch-Verdämmernde), der im realpolitischen Raum in allem und jedem versagt und erst zu spät erkennt, daß sein Gedanke einer „konservativen Revolution“ (wie man später Konzeptionen dieser Art nennen wird) eich nicht verwirklichen läßt, wenn man als einzige „Hilfsmächte besitzt: eine dekadente feudale Clique, den Marschall einer Besatzungsmacht (Bazaine, den Beauftragten Napoleons III.), einen persönlichen Freund und eine Handvoll Freiwilliger. Wie hoch aber fliegen die Gedanken des jungen Kaisers, höher als der Kondor, höher als die höchsten Gipfel des neuen alten Kontinents, der Amerika heißt: eine soziale Monarchie, staatspolitische und wirtschaftliche Befreiung der Indianer, Zertrümmerung des geistlichen und weltlichen Großgrundbesitzes… — Eine Utopie also: Utopien denken darf aber nur ein Mann, hinter dem der geballte Wille eines Volkes 6teht, das bereit ist, sie geschichtsmächtig werden zu lassen: so durften die beiden englischen Staatskanzler Thomas Morus und Francis Bacon ihr „Utopia“ und „Atlantis“ schreiben, Maximilian von Habsburg durfte es nicht: hinter ihm standen nur die Gräber und Grüfte, in denen die Pläne Maximilians I. und Karls V. zu Erz und Stein geworden waren-, in Innsbruck also und im Escorial. Ihm gegenüber aber als Todfeinde standen jene neueren Utopien, die über die Leiber der Stuarts und Bourbonen in den englischen Revolutionen, in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in der Französischen Revolution ihre erste erregende Sprengkraft bewiesen hatten und diese nun nustrugen in andere Kontinente: nun war Amerika, Lateinamerika an der Reihe, morgen würde es Rußland sein, übermorgen China… — Das alles sah Maximilian nicht — woraus ihm vielleicht kein Vorwurf gemacht werden kann, obwohl es in Wien, im Wien Metternichs und nachher Franz Josephs, seines Bruder, gesehen, wenn auch nicht immer richtig gedeutet wurde. Werfel aber sah e6, verzichtet aber gänzlich darauf, den großen Stoff anzugehen: wie da Alteuropas Kosmos scheitert im Anprall der Wellen jener religiös-politischen Massenbewegungen, die alle die Sturmfahne der „Demokratie erhoben haben. Eine einzige, bedeutende Anmerkung: Benito .Juarez, der Gegenspieler Maximilians, erscheint „persönlich nicht auf der Bühne. Sein Verharren im Hintergrund steigert seine Gestalt zum mächtigen Schatten, zum Symbol jener neuen Pyramidenherrscfaer, die in Furcht und Krieg und rastloser „Bewegung die Massen zu „Menschenopfern unerhört im Dienst ihrer gigantischen Planungen führen werden. Dieser Juarez läßt also den Weg von Robespierre zu Trotzki, der nicht zufällig in Mexiko Asyl sucht, ahnen. Damit aber bridit das Stück ab — mit einer düster leidenschaftlichen, zugleich vagen Schicksate6ymphonie in Rot.

Verdienstvoll die Aufführung des Volks- theaters, als Erinnerung an eine österreichische Fragwürdigkeit (im positiven Sinn des Wortes); der Schlußteil, nach der Pause, vertrüge eine weitere Straffung der Bilder: dieser Maximilian Werfels hat nur einige, aber klare und saubere Worte zu sagen, die keine Dehnung vertragen: von Verantwortung, Selbstbesinnung und Sühne.

Das Gastspiel der Grazer Vereinigten Bühnen in Wien brachte, wie zuvor jenes Salzburgs, der „Provinz einen hier hochbeachtenswerten Erfolg ein. „Der Zerrissene von Nestroy in der Regie und Darstellung durch Helmut Ebbe wird bei künftigen Wiener Nestroy-Bearbeitungen, die in den letzten Jahren sehr schwankend und sehr ungleichwertig waren, als echte Anregung vorstellig werden. Ebb6 zeigt die wahre Zeitnähe Nestroys, nämlich seine, oft in ganz „einfachen Formeln gekleidete Erfassung des ganzen Menschen als eines Meeres von Möglichkeiten und „Unmöglichkeiten“: dieses Wissen um den Menschen impliziert bei Nestroy ein Wissen um seine gesellschaftliche Situation, um sein Verhalten also zu sich selbst und zu allen „anderen“, das so oft bestürzende Wahrheiten offenbart. Erfreulich ist nun, daß sich Bbbs, bei aller Modernität, durch dieses sein Wissen um die hohe Aktualität Nestroys, nicht dazu hin- reaßen läßt, den klassischen Dichter in Modernitäten aufzulösen. Immer bemüht er sich, den klaren Kern zu wahren, so wie er selbst den „Zerrissenen 6pielt, in der Maske des tragischen Komikers, der unüberwindliche Härten in seinem Spiel versöhnen will.

Das Grazer Ensemble wurde mit großem Beifall bedacht.

Auf dem alten Universitätsplatz, vor der Jesuitenkirche, bringt das Burgtheater als Festwochenereignis das geistliche Spiel „Mord im Dom“ von T. S. Eliot zur Aufführung. Dieses Weihespiel, das in und vor zahlreichen Kirchen Englands und auch Deutschlands präsentiert wurde, ist hierzulande bekannt geworden durch die frühe Übersetzung W. Riemerschmids, zudem durch eine Sprechaufführung im Wiener Konzerthaus. Gielen, der Regisseur der gegenwärtigen Darbietung, hält sich an die Übertragung durch R. A. Schroeder, die schwierigen Frauenchöre übertrug neu die Wiener Dichterin Hermen von Kleeborn. Warum all diese literarischen Wortverweise in der Rezension eines Schauspiels? Eliots statuarisches Drama enthüllt seine großen Stärken erst ganz als Lesestück: nur besinnliches Lesen vermag die eigentümliche Schwebelage dieser hochtonigen Kunstsprache auszukosten, die mit den Machtmitteln des modernen Dichters Ironie und gläubige Inbrunst, Magie des Wortspiels und scharf geschliffene intellektuelle Argumentation bindet im Dienste einer Vermählung von Glaube, Kunst und Wissen.

Der Erfolg einer bühnenmäßigen Aufführung hängt also notwendig an zwei Dingen: an der Kunst des Regisseurs und an der Sprechkultur der Schauspieler. Gielen gelingt es in hohem Maße, den Todesgang des Erzbischofs Thomas Becket bildhaft auszuformen im geschlossenen Raum des alten Platzes. Vorzüglich trifft er das Statuarische, Monumentale: schwächer das Dynamisch-Bewegte — die Frauenchöre, deren Aussage und Klage sicherlich die schönsten Partien des Dramas bergen, vermögen sich nicht recht zu entfalten, erscheinen so überdehnt —, und das ist schade: nicht wenige Zuschauer wünschten ihnen deshalb eine herzhafte Kürzung, die an sich der Gesamtaufführung sicherlich wohlbe- kommen hätte.

Der reine große Eindruck der prächtigen Inszenierung wird dann noch für alle jene, die nicht in den ersten Reihen sitzen, gemindert durch eine technische Fehlkonstruktion der Zuschauertribüne. Diese, die bereits allzu nahe an das Spiel seihst herandrängt, verfügt über ein 60 geringes Gefälle, daß das Publikum sich jeweils ein Blickfeld schaffen muß durch sehr eigenwillige Verrenkungen: was wiederum auf Kosten der Ruhe, der Gelassenheit, der inneren Freiheit geht, die bedarf, W T immer dieses Spiel ganz in sich aufnehmen will.

Wenn aber alle Hindernisse überwunden, wenn das Wetter sich freundlicher als bisher zeigt, dann steht zu hoffen, daß diese Aufführung nicht auf diesen Frühsommer beschränkt bleibt, sondern sich mindestens bis zum Katholikentag hält) sie verdient es, ihres Inhalts, ihrer Poesie willen, nicht zuletzt auch, weil sie vielen Nkbtwienem und Ausländern in seltener Geschlossenheit das Burgtheater in seinem echten Glanze vorstellt. Erlesene Sprachkultur wird präsentiert, von den Männern unter Führung Skodas, von den Frauen im Geleit der Helene Thimig: nur eine kleine Ironie will es, daß der Protagonist Emst Deutsch dem Hause gegenwärtig nur als Gast angehört. Nehmt alles nur in allem: eine Feetaufführung, die Österreich würdig ist; unserem Lande, dem Eliot nicht wenig verdankt (er folgt Hofmannsthals Vorbild gerade in diesem Spiel), dem Lande auch, das mit Salzburg, zu den frühesten Verehrern des Heiligen gehört, zu dem der Kanzler

Bedcet in seinem letzten Kampfe emporwucbs: ni.dl! ualß Hod verräter an seinem „Herrn König , wie Heinrich II. es gesehen wissen wollte, nicht als engstirnig politisierender „Mann der Kirche , im Dienste ihrer „Interessen , wie es unsere heutigen Kritiker wissen wollen, sondern als ein lange schwankender, leidenschaftlich fühlender, zwischen Himmel und Erde seinen Weg suchender Mensch, der, als soldier, die reich besetzte Tafel der Machtherren seiner Zeit verläßt, um in der Bitternis äußerster Verlassenheit zu finden: das arme Volk, das Leid aller Armen dieser Erde, die Gnade und das Kreuz.

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