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Johanna Awad-Geisslers Roman erinnert an eine interessante Frau.

Das Problem beim Verfassen eines historischen Romans ist der Seiltanz zwischen fiktiver Darstellung von geballten Stoffsammlungen und gut recherchierten Details, spannender Aufbereitung, Dialogen, die glaubwürdig Zeit und Ort zum Leben erwecken und trotzdem moderne Leser ansprechen. Und das alles in einer Sprache, die so niveauvoll wie möglich ist, und authentisch, so weit das Sinn macht.

Der Journalistin Johanna Awad-Geissler ist diese schwierige Aufgabe fast durchgehend gelungen. Für ihren Roman wählte sie eine Region während einer Epoche, die viel zu wenig bekannt ist: 996 beginnt ihre Geschichte in Al Kahira, dem heutigen Kairo. Das Fatimidengeschlecht hat koptische Christen, Juden, Sunniten und Schiiten gleichermaßen friedlich regiert und gefördert. Doch der Kalif Al Aziz ist tot, offensichtlich ermordet, und die von ihm als Nachfolgerin erzogene Tochter Sitt wird von sunnitischen Gefolgsleuten vorerst ausgebootet.

Eine Regentin im Orient

Sitt al Mulk ist eine historisch belegte Figur, eine Frau, die ähnlich wie andere einflussreiche Regentinnen von den Historikern zwiespältig dargestellt wird. Hoch gebildet, mehrsprachig und mit großem politischen Talent hat die historische Sitt al Mulk nicht nur Putschversuche überlebt, sondern auch den Spagat geschafft, zwischen den Eroberungsgelüsten des byzantinischen Kaisers, Führern unterschiedlicher Reitervölker, Usurpatoren aus den eigenen Reihen und arabischen Scheichs zu überleben. Ägypten, reich und einigermaßen friedlich regiert, war ein Land, das sich zu viele einverleiben wollten. Sitt al Mulks Verdienst ist sicherlich, dass sie, im Hintergrund agierend, Herrscher beeinflusste, Druck ausübte, Kriege zu vermeiden suchte und der Diplomatie mehr vertraute als kurzfristigen Kampfergebnissen.

Dieses Buch versucht auf sehr opulente Art, diese Kalifin nahe zu bringen. Johanna Awad-Geissler liebt den Orient nicht nur, in dem sie selbst jahrelang gelebt und gearbeitet hat, sie schafft es, allen Interessensgemeinschaften gerecht zu werden. Die Vielschichtigkeit eines Staatswesens, das von mindestens drei gleich starken Religionen geprägt wurde, die Farbigkeit und der Reichtum des Gemeinwesens, die Einflüsse von außen werden akribisch geschildert. Ein Buch, gut geeignet, um manche Vorurteile mit Fakten auszulöschen, eine Quelle von Details.

Vor tausend Jahren erlebten Teile des östlichen Mittelmeerraums eine Hochblüte, der man, vom arabischen Spanien abgesehen, in Europa wenig entgegenhalten konnte. Byzanz richtete dementsprechend sein Augenmerk nach Osten und Süden.

Religionskriege

Zu dem Zeitpunkt war eine tiefe Gegnerschaft zwischen Christen und Juden entstanden, welche die Muslime wenig berührte. Allerdings ließen die Zwistigkeiten der islamischen Gruppierungen schnell die angespannte Lage gefährlich instabil werden. Die Macht von Priestern und Glaubensvermittlern ist daher ebenfalls ein Thema dieses Buches.

Überraschend schnell kann ein blühendes Gemeinwesen in Armut und Finsternis geführt werden, wenn nicht andauernd bewusst gegengesteuert wird. Und meist ist es ein schwer umkehrbarer Vorgang. Spannend, dies in einer Geschichte zu lesen, die Vorgänge vor so langer Zeit schildert und deren Aktualität so brennend ist.

In vielen Zitaten aus Werken der klassischen Antike stellt Johanna Awad-Geissler die unterschiedliche Art dar, in der Menschen ihre Erfahrungen und Rückschlüsse präsentieren. Selten wurde es in einem Genreroman so spannend und faktengetreu klargemacht: alles ist ineinander verzahnt, keine Kultur steht für sich alleine, alle tragen Verantwortung.

Ausufernd erzählt

In den Dialogen schafft es Awad-Geissler, die Unterschiede im Denken von Europäern und Orientalen sehr überzeugend darzustellen. Leider verliert sie sich manchmal in weitschweifigen Beschreibungen nebensächlicherer Handlungsplätze. Ihr immenses Wissen um Geschichte und Alltagsleben überfrachtet hin und wieder die Geschichte. Die Liebhaber des Genres werden ihr das vermutlich nicht übelnehmen. Aber etwas mehr Stringenz hätte den unterschiedlichen Erzählsträngen gut getan.

Das größte Verdienst dieses Buches, das auch Glossar und hilfreiche Bibliografie aufweist, liegt darin, spielerischen Zugang zu komplizierten Geschichtsvorgängen zu ermöglichen. Daher ist es christlichen und muslimischen Europäer/innen gleichermaßen zu empfehlen: Sitt Al Mulk ist eine beängstigend vertraute Schwester starker moderner Frauen.

DIE SCHATTENKALIFIN

Roman von Johanna Awad-Geissler

Droemer, München 2007

631 Seiten, geb., € 20,50

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