(Schluß)
Es ist wie eine Erlösung, die über Zaus kommt, nun er den Ausgang des Kampfes sieht. Ach, er hatte nichts mehr gegeben für das Leben dieses Wurmes, nein, der war verloren in seinen Augen. Und nun? Sollte man so etwas glauben?
Zaus sieht das Mädchen an, es liegt nun keine Spannung mehr auf dessen Antlitz, es ist eher ein Schein des Trostes und der Befriedigung darauf zu lesen. Und als habe es eine Aufgabe erfüllt, die ihm gestellt worden war, erhebt es sich aus dem Grase und sagt in seiner ruhigen, freundlichen Weise, daß es nun nicht länger mehr verweilen könne, sondern endlich nach Hause gehen müsse. Dabei wischt es ein wenig über das leich't zerknitterte Kleid und streift dort und da noch ein Hälmchen aus den Falten. Dann aber wendet es sich und Zaus sieht, wie es ruhig und kräftig dahinschreitet, so daß der lange bunte Kittel an die Ferse schlägt. Und als es 9ich drüben am Wald- saum noch einmal umwendet, bevor es der Wald ganz aufnimmt, ist es wie ein tröstlicher Gruß, den er gerne annimmt, und er blickt dem Mädchen nach, solange noch der Schimmer des hellen Kopftuches zwischen den braunen Baumstämmen zu sehen ist.
Als er wieder in die Stube zurückkehrt, ist sein Kummer wohl noch unverscheucht, ach ja, er kann das nicht leugnen, aber das Un glück scheint nun doch ein ganz anderes geworden zu sein, es ist nicht mehr so groß, wirklich, es ist irgendwie kleiner geworden.
In dieser Nacht wird Zaus wach, denn sie ist plötzlich voll Wasserrauschen und Donnergrollen.
Wie lange hörte ich das nicht mehr, denkt er und ist wie erlöst, aber es ist doch nur ein halbes Glück, das ihm zuteil wird. Das kommt wohl zu spät, murrt er, es wird nur noch wenig nützen; was hilft das nun?
Immerhin, irgendwie ist er erlöst, ja, alles rundum ist erlöst, er fühlt es, und der Acker trinkt und trinkt —
Zaus liegt mit offenen Augen da, seine Kammer ist so dunkel, daß er glaubt, er könne die Nacht auf seinen Händen tragen. Er fühlt, wie die Erde vom Überfluß der Nässe weich wird, und auch in ihm löst sich alle Spannung auf. Endlich ist nichts Hartes mehr in ihm, die Schründe seiner Seele schließen idi und für einen Augenblick ist er glücklich und zufrieden. Das Geplätscher des Regens lullt ihn ein, aber er kann doch nicht wieder einschlafen, zu lange hat er auf diese Musik gewartet, und nun ist er froh erregt.
Sollte er nicht aüfstehen und in den Regen gehen? Ja, warum sollte er nicht die Hände aufhalten wie einen Krug und den niederströmenden Segen auffangen? Auch mag es lustig sein, so mit nackten Füßen in den rinnenden Bächlein zu stehen, so daß sie über die Zehen sprängen wie Rösser über die Hürden.
An solche Dinge denkt Zaus, die Freude macht ihn kįndlich, wahrlich, er hat allen Ernst verloren, alle Schwere seiner bekümmerten Tage, die ihn mißtrauisch und schweigsam machten.
Am Morgen ist die Erde naß, die Schuhe quatschen im Grase und nach der großen Dürre ist das etwas Besonderes. Zaus macht an diesem Tage mehr unnütze Gänge als an anderen Tagen, er setzt den Fuß langsam auf die Erde, wenn er geht, er wischt und schleift mit ihm über die Gräser, und das nasse Prasseln der Halme, die an das Schuhleder streifen, tut ihm wohl.
Am Acker war er schon und auf der Wiese und droben am Zwiebelgärtlein und noch immer geht er herum und noch immer schleift er mit den Schuhen durch die Nässe.
Ja, so sollte es immer sein, wünscht er sich, es sollte oft reignen, der Boden da heroben braucht mehr Wasser als unten im Tal. He! das gäbe Korn, viele Scheffel Korn! Und die Ähren wären schwer und demütig wie hoffende Mütter!
Die nächtliche Freude hat ihn noch nicht verlassen, sie macht ihn immer noch ein wenig übermütig, ein wenig ausgelassen, man sieht es seinen Augen an, die nun einmal ohne Schwermut sind. Aber als die Sonne am Vormittag durch die grauen Nebelschwaden bricht, die dick und zäh über dem Walde liegen, und der Acker und der ganze Wiesenhang zu dampfen beginnen, kommt auch Zaus wieder in den Gleichschwung des Tages, und jeder seiner Schritte bekommt sein nützliches Ziel. Er werkt in den Tag hinein und richtet dies und das, es ist wieder Leben in seinen Handgriffen, merkt er, ja, die Hände werken nun anders als alle diese Tage her, und sie bringen so manches vor sich, was sich früher unwillig hingeschleppt hat. Seine Gedanken kreisen zwar immer noch um den Acker und das Korn auf dem Felde, nun er aber den Groschen sicher in den Händen hält, diesen geringen Lohn für seine große Mühe, gibt er sich mit ihm zufrieden. Immer aber bleibt er ein wenig neugierig, wie es wohl auf den Äckern des Tales bestellt sein mochte, und als ihn dies endlich zu stark bedrängt, nützt er die Zeit aus, die ihm noch vom Tage verbleibt, und steigt zu Tal.
Siehst du, und nun streicht er dort zwischen den Feldern dahin, er läßt seine Schultern von den hohen Halmen des Kornes berühren, er lächelt, wenn ihn die Rispen am Halse kitzeln und ist wie der Fisch im Wasser und der Vogel in der Luft mitten in seinem Leben. Der Wind trägt ihm den mehligen Geruch der reifenden Körner zu, und er atmet die Luft ein und labt sich daran in tiefen, wohligen Zügen, er ist unersättlich, ganz und gar unersättlich, denn es ist die Fruchtbarkeit, an der er kostet. Er denkt an die. nahe Zeit, da auch er das Korn auf dem Acker schneiden wird, und der Gedanke beschwingt ihn, daß es auch bei ihm dann so ähnlich sein wird wie hier, ja, es wird auch nach Fruchtbarkeit riechen.
Da hat er denn keinen anderen Gedanken mehr als diesen und ist freudig erregt, und er wünscht sich den Tag heran, den Tag mit dem Sichelschwung in den stürzenden Halmen. Ruft ihn nicht sein Acker am Berg? — Ja, so ist es, sein Acker ruft! Zaus hört ihn, er hält seine Schritte an und lauscht in die Ferne. Und wieder hört er ihn rufen, leise und deutlich, und so nickt Zaus mit dem Kopfe und sagte: Ich komme! und nichts sonst und wendet sich wieder dem Berge zu.
Der Weg bergan ist steinig, die Nagelschuhe gellen hier und da auf, und das Geröll weicht unter seinen räumigen Schritten. Von den Feldern streicht der warme, füllige Sommerwind heran, der Bergfink schlägt hell, und . in den Baumkronen des Waldes gurren die Wildtauben. Eine Hummel summt vorbei, sie hat den Gesang der Glocke in sich, der dunkel und samten und voll Frieden ist. Blaue Fliegen flitzen durch die Luft und dort und da leuchten die gilbenden Felder von den sanften Hängen des Tales. Kein störender Laut durchbricht die Kette der stillen Stunden, der Tag ist voll reifender, satter Trägheit, und der flimmernde Sonnenglast spirtnt helle Fäden von Berg zu Berg.
Zaus wandert seinem Acker zu, seine Schritte sind wie der Schlag einer Uhr in der großen Stille, aber sie wecken den Wald nicht vom Schlafe auf. Er geht gebückt, er neigt sich der Erde zu und gleicht so den zähen, starken Wurzeln der Bäume, die über den Rand des Weges hängen. Das Farnkraut wuchert am Wege und der Sauerklee grünt am braunen Waldboden. Und noch ander Gewächse sind da, Zaus kennt sie nicht alle, die einen haben große, breite Blätter, die anderen sind spitz und lang, alle aber sind voll saftigen Lebens, denn hier im Walde ist es feucht und kühl. In einer Rinne plätschert und gurgelt ein Wässerlein, die gelb Sumpfblume trinkt von ihm und die dunklen Blätter glänzen satt und fett. Blaue Sterne blinken dazwischen auf, sie sind holdselig wie die reinen Augen der Kinder, vor denen die Niedertracht Ser Welt entflieht. Sind es Vergißmeinnicht? JŠ, es sind Vergißmeinnicht, Zaus kennt sie, und so steckt er sich davon ein Stämmlein auf den Hut. Was soll er sonst damit machen? Ein ganzes Bündlein pflücken und es etwa in einen Krug mit Wasser tun? He, das wäre etwas! Am Abend, wenn die Arbeit getan ist und alles der Ruhe zuneigt, könnte man sich davor hinsetzen und die Äuglein anschauen. Zuerst wären sie klein, wie sie eben sind, und man würde sagen: Das sind schöne Augen, gewiß, sie sind lieblich, aber sie sind doch klein, sie sollten lieber so groß sein wie ein Geldstück, das wäre etwas Rechtes. Man hätte vielleicht sogar Mitleid mit ihrer Niedlichkeit, ach, man würde sie trösten und sagen, daß sie doch wie Augen seien, wie Mädchenaugen natürlich, ja, gerade so. Ist das nicht schön? Oh, sie würden froh werden über dieses Lob, sie würden sich bemühen, groß zu tun, und auf einmal würden sie wie wirkliche Augen sein, rund hell, wirkliche Mädchenaugen, die da und dort die Lider aufschlagen. Und dann würden ihrer immer mehr werden, zehn, zwölf, sechzehn, noch mehr, die ganze Stube voll, und alle würden einen anschauen, bis einem das Herz im Leibe schlüge und man nicht wüßte, was da zu machen sei
Nein, er wird doch kein Bündlein pflücken! Nur das Stämmchen mit den wenigen Sternen läßt er auf dem Hut. Es wird freilich nicht lange hochstehen, ach, es wird sogar bald welk werden und dann traurig über den Hutrand herabhängen. Und in ein paar Tagen wird es braun und dürr sein, daß es leise knistert, wenn man daran rührt.
Zaus wandert weiter, es geht nun über einen Kogel hinaus, der Waldweg zieht einer zweiten Anhöhe zu und biegt in eine Waldlichtung ein, die voll Sonne, warmer Luft und Harzgeruch ist. Junge Fichten drängen sieti hier zusammen wie wollige Schafe auf der Wiese, dazwischen stehen die Horste hoher, rauher Gräser und das blaue Sterndien einer Sommerblume blüht. Trockene Fichtenzweige liegen auf dem Boden, sie sind spröd und zersplittern klingend unter den malmenden Tritten.
Wieder führt der Weg in eine Hangmulde, steigt drüben hinan und windet sich am Waldhange fort. Der Hochwald ist didit, die Äste verschlingen sich in der Höhe und weben an dem grünen Netze, das nur kleine Fetzlein vom blauen Himmel durchsdieinen läßt. Ein feiner Lichtschimmer dringt hindurch, er zerteilt sich im wirren Geäder der Äste und rieselt zart und weich an der braunen, rissigen Rinde der Stämme nieder. Schon ist ein leichter, roter Glanz darinnen, denn es geht dem Abend zu und die Sonne rüstet sich zum Untergang.
Als Zaus aus dem Wald heraustritt, liegt die Dämmerung im tiefen Tal, das nun wie ein dunkler Fluß ist, der in das Ungewisse rinnt. Noch liegt sein Acker in der Sonne da, noch glänzt die Wiese im scheidenden Lichte, aber sein schweigendes Haus drüben hat schon den leisen Traum des kommenden Abends in sich. Nur die Berge rundum sind noch wie hohe Ufer, sie ragen hell in das absterbende Licht, aber schon nehmen auch hier die Schatten schleichend die Höhen, und bald wird nichts mehr über ihnen sein als das weiche Licht der Sterne.
Zaus geht noch nicht seiner Kammer zu, o nein, er hat noch manches vor, und einmal sollen Fuß und Herz den gleichen Weg gehen. Es ist ja nicht immer so, das weißt du ja, das Herz entflattert gerne, die Füße aber sind erdenschwer.
Willst du noch mehr wissen? — Ach, schweig! sagt Zaus.
Er geht langsam um das Haus herum und wendet sich einmal hierhin und einmal dorthin, es ist als habe er kein anderes Vorhaben, als eben auch einmal in der braunen Dämmerung wie ein äsendes Reh über die Wiese zu ziehen. Aber am Zwiebelgärtlein bleibt er doch stehen, und seine Augen laufen heimlich über das Gras. Denn er denkt an das Mädchen, nun er dem Frieden des Abends nachgeht, an das Mäddien, das gestern hier war, und er sucht nach ihren Spuren, nach ihrer unverdrossenen Kraft, die ihn aufgeriditet hatte.
Die Sonne ist nun untergegangen, der Schleier der Nacht wird dicht und dunkel und alles Harte löst sich auf und wird weich.
Im Walde schreckt ein Reh, ein spätes Flügelflattern rührt sich in den nachtschweren Bäumen, und die ungemischten Lüfte streichen bald kühl, bald wieder warm über den Hang. Der Totenvogel ruft, er lodet in das Tal hinunter, und die Halme zittern auf den Äckern. Der Mond leuchtet gelb. Die blauen Schatten einer Esche schlängeln sich über den Pfad.
Zaus setzt sidi in das Gras, er achtet wohl, daß es die gleiche Stelle ist, an der das Mäddien gesessen war, und schaut schweigend über die Wipfel des Waldes hinweg. Er sieht weit drüben die runden Buckel der Berge im Mondlicht zerfließen, und es ist ihm, als müßten seine Blicke dem Mädchen begegnen, so nahe fühlt er ihr Wesen um sich. Seine Seele' sucht, er ist wie ein Wanderer mit einsamen Augen, ein Wanderer, der schweigt und dunkel ist und mit großen Schritten über die Wipfel der Bäume in die Ferne schreitet. .
Die Tage des Kampfes haben ihn müde gemacht, ach ja, ein wenig weich, und so sitzt er gut da heroben. Er stützt das Haupt in seine beiden Hände, sie sind rissig und schwer vom Kampfe um das Brot, aber sie halten es dennoch sanft und zart, als sei es ein Kind in der Wiege.
Und wieder ist er wie sein Adcer, still und geduldig, und ein tiefes, quellendes Geheimnis wird offenbar, nun er sein hartes, schweres Antlitz trägt, das Antlitz der heiligen Mühe.