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KANN MAN MUSIL VERFILMEN?

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Als Onson Walles’ Verfilmung von Kafkas „Der Prozeß“ in Wien herauskam, entbrannte an Wiener literarischen und fllmittteressierten Kreisen eine heftige Diskussion, wie weit der Film seinem Vorbild gerecht geworden sei und letztlich, ob Kafka überhaupt in die Sprache des Films, -also des bewegten Bildes transponiert werden könne. Eine ähnliche Debatte wird rsich im Herbst dieses Jahres entwickeln, wenn die in Cannes gezeigte und dort mit dem internationalen Filmkritiker-preis ausgezeichnete, in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Höchstprädikat „Besonders wertvoll“ geehrte Verfilmung von Robert Musils Pubertätsstudie „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ durch den heute 27jährigen deutschen Regisseur Volker Schlöndorff — unter dem simpleren Titel „Dr junge Törleß“ in Wien auf- gefülhrt wird. „Wenn“ — wenn sieh ein 'Kino dafür finden wird, das diesen umstrittenen Film zu zeigen wagt; die Chancen dafür sehen dm Augenblick nicht günstig -aus, da zwei repräsentative, für den Film fast einzig an Frage kommende Uraufführungstheater bereits aus wenig verständlichen Motiven ihre Ablehnung ausgesprochen haben. Die nachfolgenden Zeilen wollen untersuchen, ob diese Motive — einerseits die „zu große Grausamkeit“ (deren Sinn nicht erkannt wurde), anderseits die Bezeichnung des Films als „sich avantgardistisch räuspernde Kolportage“ („destilliert zum Sud billigsten Sensationskitzels“) — ihre Berechtigung haben, um so mehr als diese Meinungen vermutlich nicht alleimstehien-, sondern -mit vielen Puibldkumsstimmen konform gehen werden, die dm „Törleß“ mit der Verurteilung des Werkes ihr eigenes Unterbewußtes zudedcen und weg- wiiischen wollen: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf...“

Robert Musil, geboren am 6. November 1880 in Kiagenfürt, Ba-hnhofst-raße 50, gestorben am 15. April 1942 in Genf, war Volontärassistent an der Technischen Hochschule in Stuttgart, als er 1903 „buchstäblich aus Langeweile“ zu schreiben begann, „und der Stoff, der gleich fertig dalag, war eben der der .Verwirrungen des Zöglings Törleß “ ... Der 1906 im Wiener Verlag erschienene Roman ist der literarische Niederschlag von Musils Erlebnissen in den Radettenanstal- iten von Eisenstadt (1892 bis 1894) und vor allem von Mäbrisch-Weiißenkirchen, dem heutigen Hranice (1894 bis 1897), wohin ihn seine Eltern schickten, als sie erkannten, daß sie zur Erziehung Ihres Sohnes nur wendig Voraussetzungen mdtbrachten.

„Der .Törleß ist jedoch kein -autobiographischer Roman. Musil benutzt seine Erfahrungen nur als Rohstoff. Handlung und Intrige, sagt er -später, seien an den entscheidenden Punkten ganz anders verlaufen. Bevor er das Buch schreibt, versucht er sogar, den Stoff zwei naturalistischen Autoren, mit denen er befreundet ist, zu schenken, denn was in den Erlebnissen an Milieu und Realismus vorkommt, interessiert ihn nicht. Ihm geht es allein um das Gespenstische des Geschehens. Und nirgends in seinem Werk steht denn auch dieser eigenartige Terminus mit mehr Berechtigung als Synonym für -das geistig Typische als im .Törleß . Denn Musil schreibt, ohne es zu wissen, die Vorgeschichte der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Er durchleuchtet die psychologischen Spannungen und sexuellem Aggressionen einiger Halb-' wüchsiger in der Verborgenheit einer Miildtärschute und findet in ihnen das komplette Arsenal der Roheit, die später Geschichte macht. Die Kruste bürgerlicher Wöhlanständlgkedt zerspringt, es knistert im Gebälk, das heimliche, lange unterdrückte Verlangen nach Demütigung und Vernichtung der rationalen Selbstsicherheit der Epoche -federt seine ersten Triumphe. Unter der Oberfläche gewöhnlicher Schüler- torhediten und Intematspsychosen bricht die Barbarei hervor. In jugendlicher Grausamkeit enthüllt sich schließlich die Methodik der Konzentrationslager“ (Wilfried Berghahn).

Als -das Werk, das den später verbreiteten expressionistischen Stil bereits vorwegnahm, erschien widmete Alfred Ker-r 1910 dem Paradestück dieses -noch ganz Unbekannten eine sechsspaltige Würdigung, und Wilhelm Herzog schrieb 1907 in der „N-ation“: „... In einem ungewöhnlich feinen, schlichten persönlichen Stil ist dieses merkwürdige Buch geschrieben. Eine differenzierende Psychologie, die in die dunkelsten Schichten der menschlichen Brust hellseherisch eindrang und -die leisesten Schwingungen mit feinhöriger

Präzision aufzunehmen vermochte, schuf sich hier eine neue, reine, durchsichtige Form."

Die ersten -Bemühungen oder Ideen, den „Törleß“ zu verfilmen, stammen noch -aus der Zeit des erstem Weltkrieges beziehungsweise der frühen zwanziger Jahre. Doch -gab es damals noch zu viele Faktoren, die eine Verwirk lichung dieser Gedanken unmöglich machten, so die Unvollkommenheit dies damaligen Mediums Film, die noch ungenügende Verbreitung der Erkenntnisse der tiefenpsychologischen Lehren (die heute schon zum — allerdings mißver- wendeten — „Hausgebrauch“ gehören) und vermutlich auch die Scheu, an gewisse „Tabus“ zu rühren, die -trotz großer Freizügigkeiten in den turbulenten Jahren nach 1918 noch nicht so abgebaut waren wie ein halbes Jahrhundert später.

Die erste reale Chance für eine Verfilmung des Musischen Romanes ergab sich 1985, als öffentlich bekanntgegeben wurde, daß das bundesdeutsche Innenministerium eine Prämie von 200.000 DM dem jungen Volker Schlöndorff für sein Drehbuch „Der Schüler Törleß“ vergeben habe. Der Autor-Regisseur hatte es weiter nicht mehr so schwer: „... Mit dieser ersten .Anerkennung in der Hand besuchte ich verschiedene Produzenten; ich stieß auf Ablehnung da, wo ich Verständnis erwartet hatte, und auf Interesse bei denen, die als ganz hartgesottene, rein geschäftlich denkende Käufleute verschrieen waren. Die Verleiher — Nora und Ufa International — gaben Geld, der Produzent riskierte den Rest...“ Produzenten -waren Franz Seiit-z in München und Louis Malle in Paris, bei dessen sämtlichen Filminszenierungen seit „Zazie“ Schlöndorff als Regieassistent „das Handwerk lernte“.

Eine Schwierigkeit gab es noch zu überwinden: zur selben Zeit Interessierte sich auch der große Luchino Visconti für den Stoff (den er seltsamerweise mit Horst Buchholz in der Titelrolle zu verfilmen gedachte) — doch das Tauziehen zwischen den beiden ungleichen Konkurrenten entschied sich dennoch zugunsten des unbekannten Schlöndorff (da, unbelegten Gerüchten zufolge, Musils Erben Schlöndorffs Drehbuch als das bessere fanden, obwohl Visconti einen weitaus höheren Betrag für die Verfilmungsrechte zu zahlen 'bereit gewesen sein soll). Wenn auch das Projekt des großen italienischen Regisseurs allein schon von der Besetzung her gewisse Vorurteile erweckt, scheint es doch bedauerlich, daß Viscontis Drehbuch nicht veröffentlicht ist. Der Vergleich allein, seine Auffassung des Themas im Gegensatz zu der Schlöndorffs, wäre sicherlich reizvoll und interessant. Vielleicht unterzieht sich noch einmal ein Eilmbuchverlag dieser dankenswerten Aufgabe!

Was zeigt nun also der FSl-m wirklich, was will Schlöndorff mit seiner „Törleß“-Filmversion? Jede sexual- psychologische Auslegung, jede Anspielung auf die erotischen Hintergründe, die nach Aussagen namhaftester Psychologen -und Psychoanalytiker diie echte Bedeutung und den wirklichen Hintergrund dieser Pubertätsgeschichte ausmachen, fehlen im Film vollkommen (weil sie — auch heute noch — nicht darstellbar sind). Am aufschlußreichsten über die Absichten Volker Schlöndorffs wird vielleicht ein Brief sein, den er an den Verfasser dieses Artikels schrieb und der hier erstmalig veröffentlicht wird:

„... Natürlich haben Sie recht, wenn Sie sagen, daß Musil (in dieser Form) nicht an das Schuldproblem gedacht hat. Auch ist es für mich, aus zeitgeschichtlichen Gründen hineininterpretiert, nicht das Hauptthema. Ebensowenig allerdings die sexuale Erklärung Musils, die mir heute nicht mehr so interessant erscheint. Verwahren muß ich mich gegen alle Interpretationen, die behaupten, der Film sei ein ,Schlüssel- werk‘, in dem jede Person eine historische Persönlichkeit oder Kollektivität darstellt. Das wäre eine Simplifizierung. Ich erzähle, im Gegenteil zu Musil ziemlich naturalistisch, eine Geschichte, die mich als solche interessiert. Natürlich erinnert sie an Vergangenes — aber nicht mehr. Es sind Anspielungen, keine verschlüsselten Darstellungen. Noch weniger etwa Rechtfertigungen (des Intellektuellen, indem ich angeblich um Verständnis für seine Erkennensschwierig- keiten bitte) noch Anklage (der Opfer, denen ich angeblich Masochismus schlechthin unterstelle). Das sind Kurzschlußreaktionen oberflächiger Zuschauer. Ebensowenig will ich... nur auf die deutsche Vergangenheit anspielen. Mir geht es darum, zu zeigen, daß Grausamkeit und Machtmißbrauch überall und jederzeit, also auch in der Zukunft, möglich sind, daß das ,Tier' in jedem Menschen schlummert und unter Umständen sehr schnell die Klauen zeigen kann. Und die nationale Unbestimmtheit meiner Darsteller, für mich weder Österreicher noch Deutsche, sondern Jungen schlechthin, so wohl als die zeitliche und geographische Unpräzision meiner Darstellung sind gewollt, um eben dieser Allgemeinheit willen. Im übrigen betrachte ich den Film nicht als eine Verfilmung = ,Reproduktion mit dem Mittel einer anderen Gattung' des Romanes (das fände ich langweilig), sondern als einen Film (nicht nach) über den Roman von Musil sowohl als auch die darin behandelten Themen und Wirklichkeit. Die relativ große Treue und Übereinstimmung mit dem Original ist fast zufällig, jedenfalls nicht das Ergebnis einer um jeden Preis ,getreuen Verfilmung'...“

Das Ergebnis muß Widerspruch erregen; die einen werden die Analyse der Aberrationen wie des Sadomasochismus Reiting-Basini), der Mythomanie (Beineberg) vermissen, die anderen werden das Thema überhaupt nicht begreifen können. Doch die Tatsache dieser Verfilmung, mag man ihr gegenüberstehen wie auoh immer, verdient Anerkennung — allein schon für den Mut zur Darstellung einer derartigen Thematik, deren filmische Gestaltung weit über dem sonstigen Niveau steht. Die beste Formulierung in knappster Form zeigt vielleicht die Kritik im „Deutschen Evangelischen Film-Beobachter“ (vom 14. Mai 1966) auf, in deren Schlußformulierung steht: „Der .Törleß' ist kein moralischer Film, aber er ist auch weit davon entfernt, amoralisch zu sein. Er weist auf Triebe hin, die in jedem Menschen unterschwellig vorhanden sind und die einer Eindämmung durch das Ethos bedürfen. Der Erwachsene, der die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit diesem Problem zeigt, wird das Werk mit Gewinn sehen.“

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