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Kaputte Hoffnungen

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Die Polizei nimmt jeden Hinweis ernst. Sie arbeitet rund um die Uhr. Stündlich gibt es neue Verdächtige. Ein Thriller über die Rriefbomben? Mitnichten. Die Szenen stammen aus Gustav Emsts Roman „Einsame Klasse". Der Titel verspricht nicht zuviel.

Wien, 1976. Die Entführung des Industriellen Palmers und die Arena-Besetzung sorgen täglich für Schlagzeilen, doch bis dahin wartet der Autor mit packenden 173 Seiten auf. Die Handlung setzt im März, kurz vor dem traditionellen Tag der Lyrik, ein und führt den Leser mitten in den Literaturbetrieb, der sich, wie man sieht, in den letzten 20 Jahren wenig geändert hat.

Gustav Emsts Personen sind der junge Schriftsteller Josef Korsch und seine Frau Anna, eine Malerin. Sie kämpft um Anerkennung, er um ein Stipendium für die Arbeit an einem Boman. Doch die Mühlen des Kulturbetriebs mahlen oft anders, als man glaubt, und doch wieder stets gleich. Damals wie heute sind es stets dieselben, denen ein Erfolg beschert isi,, der nicht immer mit der Qualität des Autors konform geht.

Ernst zeichnet ein naturgetreues Bild des literarischen Lebens in Osterreich. Er legt keinen Schlüsselroman vor, sondern nennt die Akteure bei ihren Namen. Vom Literaturkritiker Drews ist die Bede und von den „Wespennest-Leuten" - „Wespennest" gilt auch heute noch als eine der progressivsten und bissigsten Literaturzeitschriften Österreichs, zu deren Kreis nicht zufällig auch Ernst gehört.

Ohne große Umschweife vermittelt der Boman, auch für den nicht eingeweihten Leser, die Problematik des Autors, des Künstlers überhaupt, in seiner Bolle als Produzent. Am Beispiel Korsch zeigt Ernst, daß der Autor eine Ware erzeugen muß, von der er auch leben können soll, etwa von Hörspielen oder Fernsehfilmen. Wobei, wie in der Wirtschaft, oft ein harter Konkurrenzkampf geführt wird. Korsch: „Greift man den Betrieb an, muß man gleichzeitig bestimmte Autorenhaltungen angreifen, auf die der Betrieb so gut paßt, die auf ihn so gut passen."

Ernst zeigt, daß Autoren auch Alltagsmenschen sind. Derselbe Korsch, der eben noch bei einer schlecht bezahlten Lesung sein Brot verdiente, taucht als im besten Sinne des Wortes sympathischer Onkel der trostspendender Sohn am Krankenbett des Vaters auf.

Kernstück des Romans ist die Beschreibung einer neuen, dritten Welt, die für kurze Zeit 1976 in Wien entstand: die Welt der „Arena". Die Arena hätte zum größten Kulturzentrum Wiens werden können, doch das Gelände war von der Stadt bereits verkauft worden. Glaubwürdig wirkt die Beschreibung eines durchaus friedlichen Kampfes um das Gelände, wobei Korsch selbst kaum an der Szene teilhaben will, ja sogar fürchtet, seine Frau an diese Bewegung zu verlieren.

Junge Künstler, die sich nicht den Gesetzen des Marktes unterwerfen wollten, sollten in der Arena ihre Chance bekommen. Nachdem es anfänglich keinerlei Ausschreitungen gegeben hatte, traten - wie es in der Szene hieß: professionelle, eingeschleuste - aggressive Kräfte auf. Die Künstler-Idylle drohte zum Schlachtfeld zu werden, was die Akteure schließlich zum Aufgeben zwang. Das Szenario erinnert fast an Goldonis „Biesen vom Berge", die Baulichkeiten werden geschliffen.

In diese Zeit fiel auch die Entführung des Großindustriellen Palmers. Hausdurchsuchungen, Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Wen wundert es, wenn Anna als ehe1 malige Arena-Akteurin unter ständiger Angst lebt.

Akribie und eine Mischung aus Betroffenheit und Distanz lassen Gustav Emsts Boman als ein spätes, aber auch eines der wichtigsten literarischen Dokumente jener Epoche des kulturellen Lebens in Wien erscheinen. Was dem Boman noch einen zusätzlichen Reiz verleiht, ist der sprachliche Ton. Der Autor versteht es, dem Leser auf unaufdringliche Weise immer wieder vor Augen zu führen, mit welch durch und durch künstlerischem Autor er es zu tun hat. Zum einen läßt er seine Figuren in einer saloppen Umgangssprache miteinander reden, zum anderen streut er oft Beschreibungen einfacher, banaler Vorgänge, wie des Kochens von Kaffee in einer Filtermaschine, in den Text ein, die wie kleine Juwele aus der geballten Masse des handlungsgeladenen Textes aufblitzen.

Gustav Emsts Boman ist nicht nur eine literarische Verarbeitung der Geschichte der Arena und des Wiener Kulturbetriebes, nicht nur ein Roman über kaputtgegangene Hoffnungen der österreichischen Schriftsteller und Künstler, ihre Situation nachhaltig verbessern zu können, sondern auch ein penibel durchkomponiertes Kunstwerk, das seinen Platz im Regal der Kultbücher jener Generation verdient, die in den siebziger Jahren die junge Kunstszene ausmachten.

EINSAME KLASSE

Roman von Gustav Ernst üeuticke Verlag, Wien 1995. 299 Seiten, brosch., öS 198,-

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