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Kardinal Tardini ist amtsmüde

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Wer gehofft hatte, am Tage nach der Presseköpf erenz des .Kardinal-StaatssekretärsDome-„ nico Tardini aus dem „Osservatore Romano“ Schlüssiges über die Rücktrittsabsichten des Chefs der kirchlichen Zentralverwaltung zu erfahren, sah sich wieder einmal enttäuscht. Das im Vatikan erscheinende Blatt widmete den dramatischen Erklärungen des Kardinals nur am Ende des unauffällig publizierten Berichtes über die Pressekonferenz einige wenige Worte und vage Andeutungen. Historiker späterer Zeiten werden jedenfalls nicht aus diesen klug werden können, und am wenigsten werden sie aus ihnen etwas von dem Hauch eines geschichtlichen Ereignisses verspüren, den die Vertreter der Weltpresse als Anwesende so unvermittelt und lebendig wahrgenommen hatten.

Die Art, wie das vatikanische Organ jedoch das Ereignis registrierte und darüber hinwegging,nahm jeden Zweifel, daß der Kardinal aus eigejienk Jreij^.JErtfÄcJj^ „die Öffentlichkeit„ über seine Absicht, das hohe Amt niederzulegen, informiert hatte und nicht nach vorheriger Absprache mit Papst Johannes XXIII. Zweitens ließ sich daraus entnehmen, daß dieser Entschluß überraschend gekommen war; im Vatikan liebt man keine Überraschungen, die Erklärung vor aller Öffentlichkeit konnte daher auch keine Billigung finden. Wie der „Osservatore“ so hatte auch der vatikanische Rundfunk durch seine Wortkargheit zu erkennen gegeben, wie wenig die Initiative des Staatssekretärs geschätzt wurde.

Das alles hat der Kardinal natürlich vorausgesehen; wenn er sich dennoch zu dem Schritt entschloß, so müssen ihn sehr ernste Motive dazu bewogen haben. Sie sind tatsächlich schwer genug. Im Jänner hatte sich Tardini mit einer fiebrigen Influenza zu Bett gelegt, und am 19. März, dem Tag des heiligen Josef und Namenspatrons des Papstes, hat er seine Privatwohnung zum erstenmal wieder, verlassen. In diese Zeit fällt eine schwere Erkrankung, über deren Natur der Kardinal selbst mit distanzierter Ironie gesprochen hat, von der es schwierig ist, zu sagen, ob sie mehr christlicher Ergebung oder einem stoischen Geist entspringt. Der Staatssekretär hat von seinem Leiden, der Arteriosklerose, ein detailliertes, aber nicht vollständiges klinisches Bild gegeben. In den Zeitungen ist von einem Herzinfarkt die Rede gewesen. Dazu kommt ein langjähriges Leberleiden.

Der Kardinal hat die Journalisten in seiner Privatwohnung im Apostolischen Palast empfangen. Man erinnert sich nicht, daß das vorher jemals der Fall gewesen wäre. Er erschien sichtlich abgemagert und ermüdet„ die Blässe seines Gesichts und die Schatten um Augen und Wangen zeugten noch von der Krankheit, aber der Blick war so lebhaft wie immer und der Geist scharf und brillant, wie man es von ihm gekannt hat. Das einstündige Geplauder über Pius XI. und Pius XII. — der vorgebliche Anlaß zur Pressekonferenz war die Publikation seines Werkes über Eugenio Pacelli —, mit einer perlenden Folge von Anekdoten und funkelnden Histörchen, hätte ein Berufsconferencier als Meisterleistung betrachten können. Bis dann der Ton plötzlich umschlug:

„Die Ärzte sind in den letzten Jahren um mich besorgt gewesen; schon nach dem Tode Pius' XU. hätte ich vollkommene Ruhe nötig gehabt, aber aus dem schönen Traum wurde nichts, mich erwartete nur noch härtere Arbeit. Jetzt Haben die Ärzte zu mir gesagt: Nur schön im Bett ruhig liegen und an nichts denken. Wie macht man es bloß, an nichts zu denken? Meine Mutter hat vergessen, es mir beizubringen. Mich kränkt der Gedanke, daß andere zu ihrer vielen Arbeit auch noch meine erledigen müssen. Was ist das Resultat? Statt einen bringt man zwei um. Und die Schmerzen dauern fort, und jeder Ärger wirkt sich hier aus“, sagte der Kardinal, auf die Herzgegend deutend. „Ein Staatssekretär hat so manche Kröte zu schlucken und so viele Widerwärtigkeiten hinzunehmen . . . Aus diesem Grund halte ich es für äußerst wünschenswert, von einer so verpflichtenden Arbeit befreit zu werden. Meine Ansicht ist: Wenn einer sein Amt nicht mehr ausfüllen kann, dann ist es besser, er tritt zur Seite. Auch, um den anderen ein gutes Beispiel zu geben. ,Wenn Du weggehst, stürzt die Welt ein , höre ich. Ich habe niemals an die Unersetzlichkeit des Menschen geglaubt. Ich habe Päpste und Staatssekretäre von großem Format dahingehen gesehen, und die Dinge gingen weiter wie vorher. Wäre meine Herzattacke ein wenig stärker gewesen — man hätte hundert Kerzen für mich verschwendet, wo eine schon zu viel gewesen wäre.“

Hier schaltete der Kardinal eine winzige Pause ein, gerade nur, um den Zuhörern zu gestatten, die Gedanken zu fassen und ein wenig in Ordnung zu bringen. Dann fuhr er fort:

„Die Entscheidung liegt aber nicht bei mir, sondern beim Papst. Ich bitte euch, fleht zum Herrn, daß er alles nach meinem Wunsche wende. Auch ihr seid gute Christen, ich vertraue auf euer wohlwollendes und nachsichtiges Verständnis.“

Mit seinem Appell an die Öffentlichkeit, einmalig in einer solchen Angelegenheit, hat der Kardinal zu erkennen gegeben, daß er sich nicht in die Ablehnung seines Rücktrittsangebots durch Papst Johannes XXIII. zu finden wisse. ■Daß der Papst mehrmals gebeten wurde, die Entlassung zu gewähren, steht außer Frage, zuletzt noch während eines Besuches, den Johannes XXIII. am Krankenlager seines Staatssekretärs gemacht hat. Aber wie die Aufgabe eines Amtes, das er nicht mehr auszufüllen glaubt, in den Augen Tardinis zu einer Gewissenspflicht wird, so schwer muß es dem Papst fallen, auf eine so seltene Intelligenz und Erfahrung zu verzichten, wie sie Domenico Tardini aufweist.

Ist also der Wunsch berechtigt? Die Frage kann nicht gestellt werden, ohne an eine weitere Konsequenz zu denken, nämlich an die Notwendigkeit, Tardini zu ersetzen. Mit wem? Streng logisch betrachtet, unterliegt die Beantwortung dieser Frage nur der Kompetenz des Papstes. Aber ein Mann von dem geistigen Format eines Tardini und von seiner charakterlichen Veranlagung kann sich nicht damit begnügen, die Tür hinter sich zuzuziehen, ohne wissen zu wollen, was nachher drinnen geschieht. Domenico Tardini ist ein Vierteljahrhundert im Staatssekretariat auf verantwortlichem Posten gestanden und hat dazu beigetragen, das Gesicht der vatikanischen Politik zu prägen. Er ist bemüht, sich eine geistige Nachfolge zu sichern, damit dieses Antlitz nicht verwischt wird. Nur wenn er seinen Platz jetzt oder jedenfalls sehr bald verläßt, kann er sicher sein, die Wahl des Nachfolgers noch bestimmend beeinflussen zu können. Die Gesundheitsrücksichten sind schwerwiegend genug, sie werden aber auch noch ergänzt durch andere Rücksichten, nämlich das Verlangen, seinen Platz dem einzuräumen, den man als „Geist von seinem Geist“ betrachten möchte.

Es ist klar, daß sich die Gedanken des Papstes gerade in der entgegengesetzten Richtung bewegen müssen. Wenn Tardini aus Gesundheitsgründen zurücktreten will, muß Johannes XXIII. bemüht sein, ihn sich zu erhalten; wenn Tardini darnach strebt, seine Nachfolge selbst vorzubereiten, muß der Papst auch in diesem Punkt seine ganze und volle Autonomie wahren, was er am besten kann, wenn er Tardini die Entlassung verweigert. Der „Ungehorsam“ oder die „Auflehnung“, von denen im Zusammenhang mit den Erklärungen vor der Presse die Rede gewesen ist und von denen sich Spuren, wenn auch mit anderem Zungenschlag, im „Osservatore Romano“ finden, sie erklären sich aus dem verflochtenen Konflikt zweier Gewissen, dem Gewissen des Staatssekretärs und dem seines Papstes.

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