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Karrosten sport jetzt Energie

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„Dich bin im Umwelt-auschuB unserer Ge-meinde und stehe der ganzen Umweltver-schmutzung relativ ohnmachtig und hilf-los gegeniiber..." „In meiner Hei-matgemeinde gibt es einen Umwelt-auschuB, dessen Mitglied auch ich bin. Da wiirde ich Erfahrungen aus Projekten anderer Gemeinden gerne einbringen ..." „Papier haben wir schon genug geschrieben, ich unter -stiitze nur mehr Umweltprojekte, die ihren Schwerpunkt auf Umsetzung und Einbindung der Burger setzen ..." (Biickmeldungen von politischen Akteuren 1995)

„Dich wiirde schon etwas tun, wie kann ich jedoch andere motivieren?" „Man ist ja immer nur ein Einzel-kampfer ..." „Ich mochte keinen kurzfristigen Aktionismus, sondern einen UmweltbildungsprozeB einlei-ten und unterstiitzen ..." „Die Um-welterziehung hat im Endeffekt doch nichts erreicht ..." „Unsere Umwelt-gruppe hat kein gutes Image, wir mochten positiv arbeiten ..." (Biickmeldungen von Biirgern, Herbst 1995) Wo soli man da ansetzen? Auf kom-munaler Ebene: Gemeinden verfii-gen iiber entscheidende Vorziige wie Burger- und Problemnahe, einfache-re Entscheidungs- und Problemsitua-tionen, die, sofern man sie nutzt, den Umweltschutz betrachtlich voran-treiben konnen. Da die zentralen Pro-blemlosungsstrategien des modernen Industriesystems (wie Marktwirtschaft, representative Demokratie) nicht mehr geniigend greifen, muB relativ kurzfristig Macht an die de-zentralen Initiativen abgegeben werden. Aktive Burger machen politische Erfahrungen und entwickeln ge-meinsam Vorstellungen von politi-scher, sozialer und okologischer Le-bensqualitat.

Dieser Wechsel von zentralen zu lo-kalen Problemlosungen wird beson-ders deutlich beim Ubergang von der traditionellen (intensiven) zur okolo-gischen Land wirtschaft, die - anstel-le zentral gefertigter, industrieller Technik - dem bauerlichen Personal vor Ort wesentlich mehr individuelle Kompetenz abfordert. So gesehen stellen innovative Gemeindeprojekte ein revolutionares Programm dar.

Die Zeit, in der oft bedenkenlos entworfen, angeschafft, ausgeweitet werden konnte, ist vorbei. Aber auch jenseits der finanziellen Zwange ist das Bediirfnis in vielen Gemeinden gewachsen innezuhalten, sich Be-chenschaft zu geben und die Zukunft iiberlegter anzuvisieren. Weg von Ei-genbrotelei hin zu Kooperation und Integration innerhalb einer Stadt oder Begion. Statt umfassende Ent-wiirfe und „Zahlenfriedhofe" zu wal-zen, geht man behutsam und prag-matisch vor. Man unterstiitzt kleine „Verantwortungs- und Bisikoge-meinschaften" in den Begionen. Ein ideeller Gewinn, denn „Die Stadt be-ziehungsweise Region wird so fiir sich offener, neugieriger und toleranter".

Diese Entwicklungen bedingen Reibungen und Konflikte. Auf jeder Seite stehen Menschen mit einer ganz bestimmten Lebens- und Berufser-fahrung, die genausoviel wert ist wie die eigene. Deshalb miissen Menschen lernen im Dialog ihre Interes-sen offenzulegen und zu diskutieren.

Und auf dem Weg zur Demokrati-sierung, Dezentralisierung der Ver-waltung, Umsetzung von Umwelt-projekten sollten die Kommunalpoli-

tiker geeignete fordernde Bahmenbe-dingungen zur Verfiigung stellen. Als Beispiele seien neben okonomischen Anreizen die Hilfestellung bei der Entwicklung von Strategien fiir die Verbreitung und Umsetzung eines Konzeptes, bei der Organisation von Teams oder Projekten oder bei der Evaluation von Umweltprojekten ge-nannt.

Zwei „good modells" sind derzeit in Tirol bekannt. Da ware das Ge-meindeentwicklungsprojekt mit Biir-gerbeteiligung in Holzgau (Lechtal) und das umsetzungsorientierte Ener-gieprojekt der Gemeinde Karrosten (bei Imst).

Vor Beginn des Projekts vor drei Jahren war Energie kein Thema, und viel Hauser wiesen eine unzureichen-

Gute Kooperation von Fir-men, Beratern, Konsumenten

de Isolierung auf, obwohl sie zu rund 50 Prozent nach 1970, also unter dem Eindruck der Olkrisen gebaut wurden. Zudem wurde im Ort zu 75 Prozent mit Kohle geheizt, nur zwei Haushalte ftihrten regelmaBig Ener-giebuchhaltung, nur zehn Quadrat-meter Sonnenkollektorenflache waren zu „finden".

Angesichts dieser Tatsachen be-stand Handlungsbedarf, fiir den aber kaum ein BewuBtsein existierte. Die-sen ProzeB in Gang zu bringen, war Ziel eines langfristigen Konjunktur-und Umweltbelebungsprogrammes fiir Karrosten.

Eine Basis war die Kooperation des Bezirksrauchfangkehrermeisters, mehrerer Installationsfirmen des Be-zirkes, eines Energieberaters, einer Bank, eines Baumarktes und eines padagogischen Betreuers, der die Funktion eines Moderators und Mitt-lers „zugeteilt" bekam.

Zunachst gelang es, die Gemeinde-vater von der Sinnhaftigkeit des Ener-giesparprojekts im Ort zu iiberzeugen. Ein UmweltausschuB und eine Pro-jektsteuerungsgruppe wurden ge-griindet. Kreiert wurde eine Gemein-dezeitung. Man gewann motivierte Burger aus verschiedenen sozialen Schichten, die als Multiplikatoren zwischen Experten und Biirgern ver-mitteln sollten.

Von ihren strategisch iiber den ganzen Ort verteilten Wohnungen aus starteten sie jeweils zu vielen zeit-intensiven Gesprachen mit rund 25 Haushalten, denen man vorher Infor-mationsmaterialien zum Energiespa-ren zukommen lieB. Anreize zur Be-

teiligung am Projekt wurden iiber ko-stenlose Angebote zur Energiebera-tung und die Ausschreibungen eines Energiewettbewerbs geschaffen.

Das Projekt wurde letzlich sehr an-genommen: 70 Prozent der Haushalte ftihrten iiber ein Jahr eine Ener-giebuchhaltung und ermittelten im ersten Schritt sogar Energiekennzah-len (=Energetische Grobanalyse des Haushaltes). Der tagliche Energie-verbrauch der Haushalte wurde vor allem von den Frauen gemessen und der Jahresbedarf an Energie je Wohn-flache berechnet. Das Ergebnis: Bei rund zwei Drittel der Haushalte be-stand Handlungsbedarf.

Obwohl Karrosten drei Sonnen im Wappen hat, wagte man sich dort an die Nutzung von Sonnenenergie nur mit Hilfe der Fachkenntnisse der In-stallateure heran: AlleFirmen, die sich bis dahin nur als Konkurrenten kannten, setzten sich an einen Tisch und erstellten gemeinsam einen Ka-talog mit Bechten und Pflichten der Betriebe, die gleiche Angebotsbedin-gungen garantiert.

In Einkaufsgemeinschaften wurden zu GroBhandelspreisen iiber die am Projekt beteiligten Installateure und dem Baumarkt das Material be-

83 Prozent der Haushalte haben mitgemacht

schafft, mit Hilfe zweier Kurse Solar -anlagen montiert und oberste Ge-schoBdecken sowie AuBenwand-flachen gedammt.

Obwohl wahrend der Projektdauer von drei Jahren iiber sechs Millionen Schilling an „energetischen Investi-tionen" getatigt wurden, liegt der Vorteil der Einbindung der Firmen nicht primar im Finanziellen: die Un-ternehmen wurden vielmehr ange-regt, iiber ihre eigenen Betriebe nach-zudenken. Sie bekamen neue Erfah-rungswerte und „harte" Daten als Biickmeldung von den Konsumenten. Denn die Kontrolle der getatigten Arbeitsschritte war ein wesentlicher Eckpfeiler des Projekts.

Der Gemeinderat faflte bisher vier innovative Gemeinderatsbeschliisse. Neben Forderungsprogrammen sind besonders die Bahmenbedingungen fiir eine Beihenhaussiedlung zu nen-nen: Energiesparhauser, die eine Rei-he sehr strenger Auflagen zu erfiillen haben. Um moglichst groBe Effizienz und Akzeptanz zu erreichen, wird den Hauslbauern ein „Energieprofi" als Begleiter und Betreuer zur Verfiigung gestellt.

Aus Betroffenen Beteiligte zu machen, Energie nicht nur auf techni-sche Energie zu reduzieren, das war eine der Hauptaufgaben des mitwir-kenden Padagogen. Viele Menschen und Vereine beteiligten sich bei Be-gleitveranstaltungen, etwa bei Workshops „Umweltfreundliche Wasch-mittel", bei geologischen Wanderun-gen, Obstbau in Karrosten, beim Thema Landschaftsgestaltung, Einkaufsgemeinschaften zu Warmedammung und Solarenergie.

So konnte bewiesen werden, daB sich Umweltschutz auszahlt, gestal-tend wirkt und sich fiir regional nach-haltiges Wirtschaften hervorragend eTgnet. In der Bevolkerung wurden durch BewuBtseinsbildung ungeahnte Bessourcen umweltschiitzerischer Ak-tivita ten freigesetzt. Agieren statt Bea-gieren, gemeinsames Erfahren und Beflektieren, starkes und langfristiges Einbinden der Frauen im Ort fiihrten zu einem „energiefreundlichen" sozialen und okologischen Klima.

Wo steht das Projekt heute? Die Kontrolle im Marz 1996 ergab: Mil-lionenauftrage fiir die Wirtschaft. 83 Prozent der Haushalte haben beim Energiekonzept (Strom, Verkehr, Ob-jekte) mitgemacht und iiber 70 Prozent fiihren regelmaBig Energiebuch-haltung. Es gibt weiters fiinf Pilot-projekte zum Thema Biomassever-feuerungen. 110 Quadratmeter Son-nenkollektoren wurden gebaut, 20 Hauser warmegedammt.

„Das Projekt soil zum Modell fiir ganz Tirol werden", so Landeshaupt-mannstellverteter Ferdinand Eberle bei der Presentation des Energiekon-zeptes im April 1996. Und er erganz-te: „Da wurde nicht nur geredet, sondern gehandelt, Ideen umgesetzt. Ich gratuliere alien Akteuren."

„Einzelne Bausteine schneeballar-tig in andere Gemeinden Tirols wei-terzuverbreiten", das ist das nachste Ziel der Projektverantwortlichen. Uber den Zaun schauende Gemeinden wie Schwaz, Oberlienz, Holzgau oder Mieders werden schon in den nachsten Monaten „good modells" aus Karrosten auf ihre Situation ab-stimmen und ebenfalls Energiepro-jekte beginnen. „Diese Gemeinde hat den okologischen Durchblick", so der Bezirkshauptmann von Imst im Bah-men der Presentation des Energie-konzeptes „ich werde helfen, dieses erfolgreiche Modell weiterzuverbrei-ten."

Der Autor ist

AHS-Professor in Imst und Projektlei-ter des Netzwerkes Kommunaler Umweltprojekte in Tirol

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