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KATHARSIS AUCH IM KELLER

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Allein im vergangenen Jahr wurden in Wien drei neue Kleinbühnen eröffnet: Im Mai schlug Conny Hannes Mayer mit seinen „Komödianten“ in der Galerie „Junge Generation“ auf dem Wiener Börseplatz seine Zelte auf, im September spielte das „Ensemble T“ (T wie Thespis) in Anwesenheit des Herrn Bundespräsidenten zum erstenmal in seinem neuen „Haus“ im Schwarzspanierhof, und im Herbst lud das „Theater im Belvedere“ in der Mommsengasse zur Eröffnungspremiere.

An höchster Stelle vermerkt man diese Blutauffrischung im Wiener Kulturleben mit Befriedigung. „Eine Kulturstadt wie Wien kann nie genug Thater haben!“ meinte Vizebürgermeister und Kulturstadtrat Mandl. „Man darf die Bedeutung unserer Kleinbühnen nicht unterschätzen. Meiner Meinung nach haben sie zwei wesentliche Funktionen zu erfüllen. Zunächst ersetzen sie die alten Provinzbühnen, wie etwa die deutschsprachigen Theater in Ungarn und der Tschechoslowakei, die es seit dem Zerfall der Monarchie nicht mehr gibt, indem sie dem Bühnennachwuchs die Möglichkeit bieten, sich zu erproben und im ständigen Kontakt mit dem Publikum Selbstvertrauen,„zu gewinnen, i— Zum zweiten sind bei den Kleinbühnen die Regien lange nicht so hoch wie bei den großen Theatern, die ohne starke finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates nicht auskommen. Daher haben die Kellertheater ein wesentlich geringeres Risiko bei der Auswahl ihrer Stücke. Eine mißglückte Inszenierung bringt hier keine Millionenverluste. Daher haben die Kleinbühnen die Möglichkeit zu experimentieren. Die Kellertheater sind gewissermaßen der Sauerteig im Theaterleben unserer Stadt.“

Immer wieder aber werden Stimmen laut, die die Berechtigung des Wiener Kellers in Frage stellen. Verständlicherweise reagieren die Direktoren der Kellertheater auf solche Angriffe mit Entrüstung.

„Der junge Schauspieler braucht die Schulung durch den Keller!“ stellt Veit Relin, der Leiter des mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln um seinen Fortbestand kämpfenden „Ateliertheaters am Naschmarkt“, fest. „Wenn die jungen Leute von den Schauspielschulen kommen, können sie nicht sprechen und nicht gehen. Bei mir werden sie ,geschlagen', getreten, richtiggehend geschunden! In meinem Theater gibt es die ,Prügelstrafe' jedenfalls noch!“ Nach jeder Inszenierung werden Veit Relin die Schauspieler wegengagiert. In letzter Zeit haben vor allem Elka Claudius (Volkstheater) und Christine Merthan (Josefstadt) aus dem Keller gefunden.

Auch Stella Kadmon, die Leiterin des „Theaters der Courage“, wehrt sich entschieden gegen alle Anfeindungen: „Die Großbühnen wissen genau, was sie uns zu verdanken haben. Denn die meisten Schauspieler, die heute groß und bekannt sind, haben sich auf Kellerbühnen entwickelt. — Die Kellerbühnen haben die Aufgabe, zu entdecken: Autoren, Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner. Ich kann mit Stolz sagen, daß ich sehr viele Schauspieler .großgezogen' habe: Hans Joachim Schmiedel, Ulli Phillip, Eva ZiVher, Peter Machac. Und wenn ich mir die Besetzungsliste des Volkstheaters ansehe, so ist zumindest jeder zweite der angeführten Namen schon einmal auf meinem Programmzettel gestanden.“

Professor Otto Ander, der Leiter des Theaters „Die Tribüne“ im Cafe Landtmann, hat ebenfalls eine Liste prominenter Namen parat, mit der er gegen die Feinde des Kellertheaters zu Felde zieht: „Zahlreiche Schauspieler haben von meinem Theater aus ihre Karriere begonnen. Karl Walter Dieß ist derzeit am Münchner Schauspielhaus engagiert, Michael Tellering, Karl Mittner und Wolfgang Gasser spielen im Burgtheater, Albert Rueprecht in der Josef Stadt, Kurt Sowinetz wurde von der „Tribüne“ weg ins Volkstheater geholt, Alfred Böhm und Emil Feldmar. spielen in der Josefstadt. Von den Regisseuren verdanken Hermann Kutscher- und Gandolf Buschbeck ihre Karriere der ,Tribüne'. — Im Kellertheater bedeutet einen Schauspieler entdeckt zu haben, ihn zu verlieren. So bleibt uns nichts anderes übrig, als immer wieder neu anzufangen, um dem Bedarf der großen Bühnen an guten jungen Schauspielern gerecht zu werden.“

Die Wiener Kellerbühnen waren seit jeher Gründungen junger engagementloser Schauspieler. Obwohl sich die Konjunktur unseres Wohlstandszeitalters auch auf die Situation der Künstler ausgewirkt hat, trifft man unter den jungen Schauspielern im Keller auf große Niedergeschlagenheit.

„Sie wäre anderswo bereits entdeckt worden!“ schrieb der Wiener Kritiker Paul Blaha 1962 über Gertraud Kaminsky, die in ihrer bisherigen Bühnenlaufbahn bereits auf fast allen Wiener Kellerbühnen mit durchwegs gutem Kritikerfolg gespielt hat und zuletzt im Studentenheater in der „Kartothek“ von Rozewicz durch ihre Wandlungsfähigkeit auf sich aufmerksam machen konnte. „Gute Kritiken nützen einem jungen Kellerschauspieler überhaupt nichts!“ erzählt die junge Schauspielerin resigniert. „Und Vorsprechen in den großen Theatern ist sinnlos! Ich war im Volkstheater. Man war von mir begeistert! Engagement bekam ich allerdings keines. Im .Theater in der Josefstadt' führt man eine große Kartei, in der auch mein Name aufscheint. Dreimal wäre ich bereits für eine Rolle in Frage gekommen, aber nie war ich der gesuchte Typ. Das Kellertheater ist für den jungen Schauspieler die beste Schauspielschule, aber weiter bringt es ihn nicht auf seiner Laufbahn!“

Bei Serge Wolf, der nun bereits seit sieben Jahren im Keller spielt, fragen sich auch schon die Kritiker, wie es kommt, „daß weder ,richtige' Bühnen noch Film und Fernsehen bislang Interesse für dieses interessante Gesicht gezeigt haben“ („Die Presse“, 5. September 1963). Der junge Schauspieler hat eine zweijährige Ausbildung im Reinhardt-Seminar hinter sich und muß neben seiner künstlerischen Tätigkeit als Handelsarbeiter in einer Importfirma für seinen Lebensunterhalt sorgen.

Auch dem jungen Kellerregisseur Peter Schweiger hat das Lob der Wiener Kritiker bisher nichts genützt. „Ich sehe für mich in Wien wenig Chancen!“ stellt der junge Mann fest, der in letzter Zeit im „Experiment“ „N6-Spiele“ und im „Theater im Schwarzspanierhof“ eine Montage von Andersch, „Der Tod des James Dean“, in Szene gesetzt hat. „Für einen Regisseur ist der Keller natürlich eine sehr gute Schulung. Der Nachteil besteht für mich darin, daß die technischen Mittel, die zur Verfügung stehen, so beschränkt sind. Ich stelle mir manche Stücke sehr dynamisch vor, nicht nur in der Sprache oder im Handlungsablauf, sondern auch vom Optischen her. Im Keller ist man gezwungen, Effekte zu improvisieren. Und das ist auf die Dauer natürlich eine sehr undankbare Aufgabe!“

Die Berechtigung des Wiener Kellers manifestiert sich aber nicht nur in der Pflege des Bühnennachwuchses, sondern auch in seinem Schauspielplan, der eine notwendige Ergänzung zum allgemeinen Theaterbetrieb darstellt. Das neue Spieljahr ist allerdings wenig experimentfreudig angelaufen. Lediglich im „Theater im Schwarzspanierhof“ gab es eine Neuentdeckung für Österreich: Edward Estlin Cummings, dessen Schaffen bej..jtByte;,,.unbekannt geblieben ist Angesichts des jpden Abend,,gähnend leeren, rf Zuschauerraumes kann man sicher ahnen, aus welchen Gründen sich Fritz Papst entschloß, als nächste Inszenierung „Antigone“ von Jean Anouilh herauszubringen. Es ist äußerst schwer, das zurückhaltende Wiener Publikum mit Neuem zu konfrontieren. Experimente sind, sofern ihnen nicht der Ruf einer literarischen Sensation voraneilt, in Wien zumeist defizitäre Angelegenheiten, die sich der Wiener Keller auf die Dauer nicht leisten kann. Letztlich ist es also verständlich, wenn auch bedauerlich, daß der Spielplan unserer vom Kulturamt mit gutgemeinten Almosen bedachten Kleinbühnen für die nächste Zeit zum Großteil guteingeführen Literaturkonsum verspricht.

Haben unsere Kellertheater zwar ein gemeinsames Ziel, nämlich Neues und Altes wieder zu entdecken, unterscheiden sie sich ganz wesentlich in ihrer Programmatik voneinander, was zu einer für den Kunstgenießer sehr erfreulichen Differenzierung im Spielbetrieb der Kleinbühnen führt.

Stella Kadmon möchte mit den Stücken, die sie in ihrem Theater spielt, „couragiert“ der Menschlichkeit dienen: „In mein Theater kommen sehr viele junge Leute, denen ich mit jeder Inszenierung etwas mitgeben möchte, was sie im Leben verwerten können. Ich finde, daß das Theater dazu beitragen muß, die junge Generation zur Menschlichkeit zu erziehen!“

Das Theater „Die Tribüne“, das im Herbst 1963 das zehnjährige Jubiläum seines Bestandes feiern konnte, hat sich die Pflege österreichischer Autoren zur Aufgabe gestellt. „Von den 43 Inszenierungen, die wir herausgebracht haben, wurden 33 Stücke von österreichischen Schriftstellern geschrieben!“ vermerkt Professor Otto Ander. „Seit dem Bestehen der ,Tribüne' sind alle Klagen sich vernachlässigt fühlender Autoren verstummt, durch die Existenz meiner Bühne darf der Grundsatz ,Hic Rhodus, hic salta' geltend gemacht werden.“

Das „Ateliertheater am Naschmarkt“ macht in literarischen Sensationen, die, wie man weiß, nicht immer auch qualitativ als solche zu bezeichnen sind. Das Publikum setzt sich hier daher zum Großteil aus jenen Kultursnobs zusammen, die man sonst nie im Kellertheater sehen würde. Daß darüber hinaus aber auch der künstlerisch Interessierte seine Befriedigung findet, ist das Verdienst Veit Relins-„Mich reizt es, Unfertiges, nicht zu Ende Komponiertes fortzusetzen, weiter zu schöpfen, dem ganzen einen eigenen Stempel aufzudrücken!“

Die Linie des „Experiments“ drückt sich in seinem Namen aus. War das „Experiment“ bis jetzt tatsächlich fast ausschließlich Experimentiertheater — hier wurden immerhin Ionesco, Audiberti, Günter Grass und Ghelderode dem Wiener Publikum bekannt gemacht — scheint der Leiter Ing, Pikl, der im vergangenen Jahr in der Wiener Annagasse ein „großes Haus“, das „Theater im Palais Erzherzog Karl“ mit großem Erfolg eröffnet hat, fürs nächste des Entdeckens müde. Ionesco und Audiberti, zwei nun auch bei den Großbühnen schon eingeführte Autoren, stehen als nächste auf dem Programm.

Der junge Wiener Schriftsteller Conny Hannes Mayer hat sich mit seinen „Komödianten“ große Ziele gesteckt: „Solange wir ein Kleintheater sind, müssen wir etwas Besonderes bringen, nicht nur Experimente auf dem literarischen Gebiete, sondern auch im formalen Sinn. Wir haben eine eigene Spielweise entwickelt, in der sich Elemente aus dem epischen Theater Brechts, aus dem asiatischen Theater, der alten Wanderkomödianten und andere Stilelemente befinden, wie sie uns eben geeignet erscheinen, eine bestimmte Situation auf der Bühne darzustellen. Zunächst erproben wir diese Spielweise an Gedichten. Wir werden erst dann Stücke spielen, wenn wir mit gutem Gewissen sagen können, daß wir sie besser spielen als alle anderen.“

Das „Theater im Schwarzspanierhof“ will „Stücke mit Niveau für Publikum mit Niveau“ bieten.

Im neuen, schmuck eingerichteten „Theater am Belvedere“ gibt man sich keinen Illusionen hin. „Wir glauben nicht, daß man auf uns gewartet hat!“ meint der Leiter des Ensembles, Dr. Irimbert Ganser. „Ich bin der Meinung, daß im Zeitalter des Startheaters ein echtes Ensembletheater notwendig ist. Unser Spielplan wird sowohl Werke der Weltliteratur als auch zeitgenössische Uraufführungen umfassen.“

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Das Wiener Studententheater ist statutenmäßig nicht dem Kellertheater zuzuzählen, dem echten Studententheater aber eben nur nach den Statuten. „In Wien ist es fast unmöglich, Studenten als Schauspieler zu gewinnen, daher spielen bei uns fast ausschließlich fertige Schauspieler“, erzählt Professor Heinz Kindermann, der mit dem Direktor des Theaters, Ernst Marboe, für die Programmauswahl verantwortlich zeichnet. „Unsere Aufgabe ist es, einerseits alte Stücke, literarische Kostbarkeiten auszugraben und anderseis, alles Moderne, das einigermaßen Niveau hat, dem österreichischen Publikum vorzustellen.“ Das Wiener Studententheater hat in letzter Zeit zwei großartige Aufführungen zustande gebracht, die seme Berechtigung ganz außer Frage stellen: Zunächst die ungemein poesievolle Inszenierung des „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupery, bei der nur schauspielerische Mängel in den Nebenrollen störten. Und zuletzt die schwungvolle und geistreiche Inszenierung der „Kartothek“ von Rozewicz.

Das Kellertheater hat viele Gegner, die ihm das Unfertige, das Ungehobelte, das seinen Reiz ausmacht, vorwerfen. Und mögen manche Einwände auch zu Recht bestehen, werden sie doch durch so manche beachtenswerte Leistung abgeschwächt, die wir in den letzten Jahren im Wiener Keller vermerken konnten. Die Katharsis findet auch im Keller statt, abseits des etwas fragwürdigen Kunstgenusses, der an festliche Atmosphäre und große Abendtoiletten gebunden ist. Dem Keller die Existenzberechtigung absprechen wollen, hieße: das Theater an sich in Frage zu stellen.

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