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Katholisch - einmal anders?

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„Da ist der Kardinal“ — diese Bemerkung der ehrwürdigen Sacre-Cceur-Schwester in der hochmodernen Mädchenschule in der Nähe von Princeton läßt mich zusammenzucken. Jedoch es stellt sich heraus, daß dieser Kardinal ein feuerrotes Vöglein ist, das sich soeben auf einem Baum niedergelassen hat.

Farben spielen jedenfalls eine wichtige Rolle in den USA: Im Saal der Blessed-Sacrament-Pfarre in Chikago probiert eine Kapelle von farbigen Jugendlichen hingebungsvoll für den bevorstehenden Tanzabend. Kaplan Giese, dessen Gast ich bin, erzählt mir von seiner Arbeit in dem Quartier, das hauptsächlich von Negern bewohnt wird. Der Priesterkragen bedeutet in diesem Viertel bei nächtlichen Spaziergängen einen wirksamen Schutz, wird mir gesagt. Ich finde solche Andeutungen etwas melodramatisch, bis ich in der Zeitung lese, daß gelegentlich eines Tanzabends in einer anderen Pfarrei ein Mädchen beim Verlassen des Lokals bei einer Schießerei getötet wurde, die von Burschen veranstaltet worden war, denen man den Zutritt verweigert hatte. Immerhin sympathisieren die Neger mit den klerikalen Rangabzeichen, weil sich nicht wenige Priester aktiv für sie einsetzen.

Rund hundertfünfzig Jugendliche von schwarzer bis brauner Hautfarbe sind zum Tanz gekommen, und es wurde lediglich ein Fenster eingeschlagen, weil ein paar Zuspät-gekommene rasch in den Saal wollten. Kaum einer von diesen Halbwüchsigen ist ohne geschlechtliche Erfahrungen, die im übrigen sehr bunt zu sein scheinen. Es wird schon als Gewinn vermerkt, wenn man sie zu einem offenen Gespräch bringt. Der Seelsorger, lediglich mit seiner im Seminar erworbenen Moraltheologie ausgerüstet, steht vor gewaltigen Problemen.

Von meinem Zimmer in der Universität von San Franzisko, die von den Jesuiten geleitet wird, kann ich die Wolkenkratzer des Geschäftsviertels dieser zauberhaften Stadt sehen, in der sich gerade der Frühling ankündigt. Pater Schauert, seines Zeichens Soziologe, der hier mein Gastgeber ist, behandelt in seiner Vorlesung das Phänomen der „drop-outs“, jener Priester also, die ohne Erlaubnis eine Ehe geschlossen haben. Er diskutiert etwa fünfzig solcher „Fälle“, die er selbst untersucht hat und die sich dadurch auszeichnen, daß die Betroffenen keinesfalls darauf verzichten wollen, der Kirche zu dienen.

Bemerkenswert ist, daß hier nicht einfach die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen werden; Schal-lert bemüht sich, die sozio-psycholo-gischen Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die das Verständnis dieser Erscheinung erleichtern können. Sein Kollege Ralph Lane ist gerade daran, die Ergebnisse einer Umfrage unter katholischen Ehepaaren zu sichten, die das Problem der Geburtenkontrolle zum Gegenstand hat.

Was hierzulande unzulänglich veranstaltet wird, um zu einer seriösen Analyse der kirchlichen Situation zu kommen, ist drüben als Umfragetechnik weitaus besser entwickelt. Trotzdem werden Klagen über die mangelnde Bereitschaft der Bischöfe laut, für solche Untersuchungen Geld auszuschütten. Joseph Fichter SJ., prominenter Religionssoziologe und derzeit an der Harvard-Universität tätig, unterzog sich der Arbeit einer Meinungsumfrage unter rund 3000 Priestern in den Vereinigten Staaten, wobei er lediglich 8000 Dollar zur Verfügung hatte. Die Umfrage kam durch eine Anregung einer Gruppe katholischer Priester zustande, die sich an den „National Catholic Reporter“ wandten, eine nationale Wochenzeitung sehr freimütigen Zuschnitts. Das Blatt gab ein Viertel der kalkulierten Mindestsumme, der Rest der Gelder wurde durch Komitees in einigen der größeren Städte, wie Chikago, San Franzisko, St. Louis und Washington, aufgetrieben.

In der katholischen Notre-Dame-Vniversität in Indiana, einer der bedeutendsten Anstalten des Landes, wird mir eine dort studierende junge Dame in elegantem dunklem Kostüm vorgestellt; sie gehört den „Sisters of Humility“ an, die im vergangenen Jahr ein Generalkapitel abgehalten haben, wobei unter anderem auch die Kleidungsfrage einer eher ungewöhnlichen Lösung zugeführt wurde; derzeit experimentiert man noch, strebt jedoch eine Form an, die jeder einzelnen Schwester gestattet, unter mehreren Möglichkeiten die ihr angemessen scheinende Tracht zu wählen. Als besondere Pikanterie wird von einer 82jährigen Schwester berichtet, die sich entschlossen habe, ihr „sanft gewelltes“ graues Haar unterm Schleier hervorlugen zu lassen. Ernsthaftere Beschlüsse der reformfreudigen Damen zielen auf eine Erweiterung der Tätigkeit von Schul- und Spitalwesen in Richtung Sozialarbeit ab, die man vorerst in Zusammenarbeit mit privaten und öffentlichen Wohlfahrtsorganisationen in Angriff nehmen will.

Besonderen Wert legt das Generalkapitel auf gruppendynamische Kurse für die Schwestern; für die Oberinnen werden außerdem Vorlesungen in Soziologie, Theologie und Psychologie zum Pflichtfach erklärt. Die neugewählte Generai-oberin ist 49 Jahre alt, die Altersstruktur des ihr beigeordneten Con-siliums bewegt sich zwischen 35 und 46 Jahren.

Möglicherweise war dies alles deshalb leichter möglich, weil die betreffende Kongregation nur rund 400 Mitglieder zählt. Schwester Reidy, mit der ich in der eher trostlosen Cafeteria von Notre-Dame den Lunch eingenommen habe, ist jedenfalls von bestrickendem Enthusiasmus. In meiner Verwirrung habe ich ihr sogar eine Zigarette angeboten.

Schwerpunkte der katholischen Fernsehaktivitäten, die mich besonders interessieren, sind New York und Los Angeles. Die Struktur des amerikanischen Fernsehens ist für den Außenstehenden ziemlich verwirrend; jedenfalls handelt es sich durchwegs um private Gesellschaften, was unter anderem auch die bekannten Werbespots zur Folge hat, die mit schöner Regelmäßigkeit das Programm unterbrechen: Angepriesen werden so gut wie ausschließlich Kosmetika, Automobile, Nahrungsmittel und Zigaretten („ ... and they are mild“). Pater Holtsnider, ein Franziskaner, ist deshalb in seinem alle Stüekerln spielenden TV-Studio in Los Angeles gerade dabei, religiöse Dreiminutenspots herzustellen, die er dann den verschiedenen Stationen anbietet; diese sind nämlich verpflichtet, für öffentliche Belange (wozu in den USA auch die Religion zählt) ein gewisses Ausmaß an Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Aber auch längere Filme werden produziert und verkauft, nicht nur von diesem rührigen Sohn des heiligen Franziskus, sondern auch anderswo in Los Angeles, wo man die Möglichkeit hat, berühmte Schauspieler zur Mitarbeit zu gewinnen, um die christliche Botschaft ansprechend auf den Bildschirm zu bringen. Wenn auch dort nicht alles Gold ist, was glänzt, denke ich doch mit einiger Beschämung an unseren heimischen Pfarrer aus dem Fernsehkasten, wie er allsonntäglich im Spätabendprogramm zu sehen ist.

Übrigens gibt es auch in den Staaten eine Sendezeit, in der kraft stiller Ubereinkunft von vielen Gesellschaften religiöse Sendungen gebracht werden: der Sonntagvormit-tag, in Fachkreisen das religiöse Ghetto genannt. Die verschiedensten Religionsgemeinschaften zahlen mitunter ziemlich hohe Beträge, um Sendezeiten zu erhalten. Viele dieser Produktionen sind freilich von beträchtlicher Öde: Man filmt einen Gottesdienst, und die mitunter etwas längliche Predigt wird gratis dazu-geliefert. Es gilt deshalb als beachtlicher Erfolg, eine Produktion außerhalb des religiösen Ghettos unterzubringen.

Die ganze Struktur des dortigen Fernsehens zwingt jedenfalls die Hersteller katholischer Sendungen, sich ordentlich anzustrengen; die Konkurrenz anderer christlicher Denominationen und das ganze Klima der TV-Industrie sind als scharf zu bezeichnen.

Die kirchliche Sammeltätigkeit in den Staaten ist keineswegs ungeschickt. Es verging kein Sonntag, da mir nicht kleine Briefumschläge während des Gottesdienstes in die Hand gedrückt wurden, die man am darauffolgenden Sonntag zusammen mit etlichen Dollars zurückerwartet. Private Stifter werden vom Welt-und Ordensklerus offenbar mit großer Souveränität gehandhabt: Ehe sie sich versehen; sind sie um viele Tausender erleichtert, wofür sie dann in Bronze oder Stein verewigt werden. Das System ist bekanntlich international, scheint aber drüben zur Perfektion gediehen zu sein.

Im Harpur-College (Binghamton, New York) klagte mir ein junger katholischer Philosophieprofessor sein Leid: Es gäbe zuwenig Priester, mit denen er selbst und auch die studierende Jugend, überhaupt die akademischen Kreise, jene Probleme diskutieren können, die sie stark bewegen. Wie weit das für das ganze Land stimmt, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls traf ich neben einem Klerus, der die wichtigen modernen europäischen Theologen gelesen hat, auch einen Priestertyp an, der mir die zitierte Beschwerde erklärlich macht. Dieser Gegensatz, der nicht nur ein Generationenproblem ist, erscheint in den Staaten manifester zu sein als hierzulande, wo er sozusagen im Keller spukt.

Vieles ist jedenfalls drüben „in Bewegung geraten“, wie man heute zu sagen pflegt, und kräftiger als bei un.

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