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Katholische Literatur in Skandinavien

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Die schwedische Presse zeigt heute dem katholischen Leser ein anderes Gesicht als noch vor einigen Jahrzehnten. Der früher herrschende polemische Ton ist einer Zurückhaltung gewichen. Bis auf regelmäßig wiederkehrende, im Grunde ziemlich harmlose Erscheinungen — die Karikaturspalte muß gefüllt, das Interesse für Sensation wachgehalten werden — und bis auf die Reste von Feindseligkeit, die sich in der Provinzpresse oder in den Sektenblättern der „Pfingstfreunde" finden, gibt es fast nichts mehr, das an die alten, bösen Traditionen erinnert. Es herrscht gegenwärtig Frieden, nicht vielleicht als Ausdruck von Gleichgültigkeit für religiöse Probleme, sondern eher eines gewissen Fonds von Achtung und Anerkennung, der sich während der jüngsten Kriegsjahre gesammelt hat. Zu der günstigen Wendung haben vor allem die Haltung der Kirche, aber auch die beiden Filme .„Sängen om Bernadette" und „Pastor angelicus" beigetragen, die wochenlang in Stockholm bei nicht endendem Andrang des Publikums gespielt wurden.

Das gesteigerte Interesse für katholische Literatur ist allgemein merkbar. Ende 1946 erschien eine religiöse Anthologie „Den kristna tanken" — „Der christliche Gedanke" —, die Aufsehen erregte; sie brachte, fast 700 Seiten stark, „Zeugnisse von den Kirchenvätern bis T. S. Eliot“. Der Herausgeber Knut Hagberg, eine „Kulturpersönlichkeit und nicht konfessionell gebunden, betrachtet die Frage der Zugehörigkeit zur Kirche zwar als zweitrangig, will aber, ergriffen von der Idee des Christentums, einen möglichst umfassenden Begriff von dessen Eigenart geben. Er tat es, indem er mehr als die Hälfte seiner Beiträge dem katholischen Schrifttum entlehnte. Es geschah damit zum erstenmal, daß Schweden in seiner eigenen Sprache und in populärer Form Kunde vom Tagebuch des hl. Ignatius von Loyola, von den Aphorismen des hl. Johannes vom Kreuz, von Chestertons Essay über Thomas von Aquino erhielt. Da sich auch Beiträge, wie Luthers „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ oder Predigten Kaj Munks in der Sammlung finden, könnte man meinen,

daß sich das katholische Übergewicht mehr durch einen Zufall ergab. Doch es war nicht so. Knut Hagberg bespricht in seiner Einleitung die ebenso frappierende wie bedauerliche Unkenntnis, die in nichtkatholischen Ländern über die älteste und am meisten verbreitete Kirche der Christenheit herrscht, und erinnert an eine Anekdote Hilaire Bellocs, der von einem Amerikaner erzählt, der sich einmal gründlich über die kathol- sche Kirche informieren wollte und deshalb seinen Buchhändlern den Auftrag gab, ihm alles Einschlägige, was es darüber gab, zu schicken. Die Bücher, die daraufhin eintrafen, waren aufschlußreich genug. Hilaire Belloc — und mit ihm Knut Hagberg — geben sie namentlich an; es war nur katholikenfeindliche Propagandaliteratur der schlimmsten Art.

Die Anthologie Hagbergs setzt dieser Brunnenvergiftung eine ehrliche, unparteiische Aufklärung entgegen.

Ein anderes Ereignis, das in jüngster-Zeit in der literarischen Welt Aufsehen erregt hat, ist die Konversion des bekannten Schriftstellers Sven Stolpe. Er war durch seinen Döbeln-Roman und -Film, vor allem aber durch seine Essaysammlung „Den kristna falangen“ bekanntgeworden, die zum erstenmal Kunde von der modernen katholischen Literatur Frankreichs brachte. Man kann sich kaum vorstellen wie dieses Buch in Skandinavien gewirkt hat. Ich habe einen Aufsatz der Finnländerin D i s a Lindholm aus der Jubiläums- schrift „Katolska Perspektiv", Helsingfors 1947, vor mir, in dem die Verfasserin sagt: „Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich mich der Zeit erinnere, da ein kleiner Kreis jugendlicher Enthusiasten die Fächer der .Akademischen Buchhandlung durchsuchte, um .irgend etwas Katholisches zu finden. Wir träumten von Ländern, wo nicht nur die Grundlage der Literatur, sondern auch alle Gefühle, die sich im Herzen des Menschen regen, andere waren als bei uns: weniger materialistisch, klarer und brennender als hier. Soviel ich weiß, waren anfangs Sven Stolpes ,Den kristna falangen und .Själar i brand unser einziger Gewinn. Aber durch diese Bücher empfingen wir einen immerhin klaren Überblick über die katholische Wiedergeburt des modernen Frankreich. Unsere Begeisterung war groß, katholische Literatur war für uns noch ungewohnt und unbekannt, aber ihre Konturen traten aus Stolpes hingebungsvollen Essays deutlich hervor..

Stolpe war freilich damals noch nicht Katholik, sondern Repräsentant der Oxford- Bewegung. Am Ende des Krieges hatte er sich von dieser losgetrennt. Augenblicklich ist er der erste schwedische Schriftsteller, der einen katholischen Bekenntnisroman geschrieben hat: „Lätt, snabb och öm.. . „Leicht, schnell und zart...“ (Bonniers, Stockholm 1947); er spielt im Paris der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Handlung läßt sich auf eine das ganze Buch durchziehende Antithese zurückführen: die „Men- schenmesse", Symbol der Selbstanbetung des Menschen, und die heilige Messe, der Stolpe einen den gregorianischen Gesang der Parisef Benediktiner verherrlichenden Hymnus widmet. Zwischen diesen beiden Polen vollziehen sich die Ereignisse mit der stärksten Dramatik bei dem Helden des Romans selber, einem intellektuellen Schweden, der um die christliche Wahrheit ringt und schließlich die gewonnene Klarheit mit dem Preis seines Lebens bezahlen muß. Der Autor verlegt in diese Gestalt die stärksten autobiographischen Momente und verleiht so dem Buch den Charakter eines Bekenntnisses.

Trotzdem haben wir es zugleich mit Unterhaltungslektüre im guten Sinn zu tun. Die besondere Kunst des Verfassers, eines Schriftstellers von Rang, besteht darin, vom Anfang bis zum Ende spannend zu sein. Stolpe arbeitet mit einer Reihe von Szenen, Bildern, Dialogen, Monologen, die filmartig wechseln. Die Verflechtung der Motive wird mit kundiger Hand durchgeführt: erst spät, am Ende des Buches,'Werden alle Fäden zusammengefaßt und der Knoten gezogen. Über die Antithese, die dieses Buch gewählt hat, wird kaum ein christlicher Roman von heute hinwegkommen: über den Gegensatz von Welt und Christus, profanem Leben und Kirche, Menschenmesse und heiliger Messe. Für die Lösung der literarischen Aufgabe erscheint mir Sven Stolpes Experiment wertvoll. Seine unmittelbare Lebendigkeit begegnet einer Hauptgefahr des christlichen Romans, der zuweilen durch geschraubtes Pathos steril, unnatürlich und dadurch für viele unlesbar wird. Freilich geht Stolpe in seiner Antipathie gegen Pathos und Sentimentalität zu writ, wenn er zum Beispiel ganze Strecken Reportage einschiebt: Beschreibungen der „Menschenmesse“ im Palais des Sports und an der Pariser Flüchtlingsstelle. Aber alles wirkt echt, was auch die in solchen Dingen empfindliche schwedische Kritik feststellt: kaum hätte man vermuten können, daß dieses Bekenntnisbuch in Schweden einen so einstimmigen Beifall finden würde.

Die Unmittelbarkeit, mit der dieser Dichter sein Problem anpackt, bringt es mit sich, daß keine Figur konstruiert oder um der Idee des Buches willen gefärbt erscheint. Er läßt das Leben selbst sprechen: Der Glaubenslose ist kein Dämon, der Gläubige kein pathetischer Verkünder. Ja, gerade der skeptische Spötter, der Arzt Lebrun, wird dem Leser sympathisch durch die liebevolle Porträtkunst des Verfassers, die freilich nicht minder der Don-Bosco- Gestalt des Abbé Mauclair gilt: einem Priester, der verwahrloste Jungen um sich versammelt und dabei ein „Narr in Christo“ wird. Alle Figuren sind Variationen der großen Antithese. Aber das Hauptmotiv bleibt die Kirche: das ewige Montmartre, das über dem Paris des Menschengetriebes steht.

Sven Stolpe hat gleichzeitig eine Essaysammlung über Franęois Mauriac, Gabriel Marcel, Georges Bernanos, Gertrud von Le Fort und die heilige Therese veröffentlicht (Bonniers, Stockholm 1947), wo er die prinzipiellen Fragen des modernen christlichen Romans behandelt, die er in seinem Roman zu gestalten versucht.

Eine andere Überraschung der letzten Zeit ist ein Buch über den Vatikan. Der Verfasser Gören Stenius, Lega- tionsattaché Finnlands in Rom, hat seinen Gegenstand gründlich studiert, ein ausgezeichneter Cicerone für den heutigen Leser des Nordens („Vatikanen“, Fahlcrantz & Gumaelius, Stockholm 1947). Sein Buch hat freilich einen ganz anderen Charakter als etwa Joseph Bernharts „Der Vatikan“. In ihm findet man nichts von dem gewaltigen Epos der Papstgeschichte, wohl aber eine Fülle von Anekdoten und Blitzbeleuchtungen historischer, kulturhistorischer und kunsthistorischer Natur, die uns die Päpste der letzten hundert Jahre und ihre Umgebung zeigen. Wir sehen sie als Privatleute: jeden auf seine Weise unter der klösterlichen Gefangenschaft dieser Räume und Gärten leidend und bestrebt, die menschlichen Schwierigkeiten durch Neubauten, Sammlungen,, Anlegen von Instituten zu erleichtern. Es ist ein einzigartiges, impressionistisches Gemälde, das Gören Stenius entwirft. Über allem wirkt die Weltweite der Metropole der Christenheit. Der Autor gibt ein Bild von der Struktur dieses Staates, der „tausend Einwohner, aber 400 Millionen Bürger“ hat. Kein Zweifel, daß dieses Buch dazu beitragen wird, Mißtrauen und Mißverständnis aufzuhellen.

Schließlich sei die Schrift der finnländischen Katholiken erwähnt, die von Akademikern zur Feier ihrer zehnjährigen Tätigkeit herausgegeben wurde: „Katolska perspektiv. Jubileumsskrift utgiven av Acade- micum Catholicum“ (Söderströms, Helsingfors, 1947).

Man erstaunt beim Lesen dieser Aufsätze, Zeugnisse der Arbeit einer verschwindenden Minorität in der nordöstlichen Ecke Europas. Der Schriftsteller Jarl Gallón, der sie herausgibt, bezeichnet in seinem einleitenden Essay vier Hauptpunkte als die wesentlichsten Arbeitsziele der finnländischen Katholiken: Teilnahme an der gemeinsamen christlichen Arbeit für den gemeinsamen Glauben, Aufhellung der Vorurteile, Vermittlerrolle im Kulturleben, gemeinsame soziale Arbeit. Vor allem wichtig erscheint ihm die ökumenische Vermittlerrolle der ältesten christlichen Kirche: „Sie kann dazu beitragen, die Kulturentwicklung in christlichen Bahnen zu halten oder sie dahin zu lenken und damit auch die protestantischen Christen zu unterstützen.“

Die bekannte finnländische Kunsthistorikerin Dr. Alice Olga Nygren, die eine überaus fesselnde Darstellung der Heiligen Finnlands geschrieben und damit eine längst verschollene Hagiographie zu neuem Leben erweckt hat („Helgonen i Finlands medeltidskonst“, Finska Forn- minnesföreningens Tidskraft XLVI, Helsingfors 1945), behandelt hier wieder das Mittelalter, aber summarisch und vom Gesichtspunkt unserer Zeit aus. Dieses Essay gehört zum Besten, was überhaupt zu dem Thema geschrieben wurde, und sollte durch Übersetzung der übrigen Welt zugänglich gemacht werden. Man findet hier die seltene Vereinigung von Reichtum an Kenntnissen, wohltuender Objektivität und persönlicher Liebe zu ihrem Thema, und fühlt sich in die Atmosphäre des Mittelalters versetzt, wie sonst nur beim echten, die Vergangenheit intuitiv wiederherstellenden Kunstwerk.

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