6540117-1946_36_05.jpg
Digital In Arbeit

Katholisches Schrifttum in Ungarn

Werbung
Werbung
Werbung

Die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gilt in Ungarn als die Zeit des Aufbruchs des nationalen Gedankens. Der Sturm kam von Westen her und setzte sich in allen Belangen des öffentlichen Lebens durch. Das Politikum trat in den vordersten Raum der ungarischen Nation. Die liberalen Freiheitsideen fesselten vor und nach 48 die Gemüter derart, daß sie auf soziale oder gar weltanschauliche Geistesströmungen überhaupt kaum reagierten. Baron Josef Eötvös war in jener Zeit der ungarischen Sturm- und Drangperiode der einzige, in dessen Werken traditioneller christlicher Geist mitschwang; ansonsten war in der Literatur jener Zeit von christlichem Gedankengut kaum etwas zu vermerken. Nach dem siebenundsechziger Ausgleich wurden die vielfach aufgeregten Gemüter beschwichtigt. Liberalismus und Indifferentismus schienen nun dank der starken Antriebe, die aus Literatur und Presse kamen, zum allgemeinen Geistesgut der ungarischen Nation zu werden. Der phantasiereiche und wunderbar fabulierende, aber sonst seichte und weltanschaulich gleichgültige Mauritius Jökai bestimmte wie ein Alleinherrscher jahrzehntelang die geistige Entwicklung im öffentlichen Leben Ungarns.

Ansätze zu einer Scheidung der Geister auch in der ungarischen Literatur waren der Zeit der kirchenpolitischen Kämpfe der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts vorbehalten. Nun erst, als die Schläge des Kulturkampfes gegen die Grundmauern des ungarischen Katholizismus donnerten und die Kirche gezwungen war, Verteidigungsstellungen zu beziehen, wurde man der Tatsache gewahr, daß man viel versäumt hatte. Die Gegenwirkung setzte in der Literatur zunächst auf dem Gebiete des geschichtlichen Romans ein. Georg Tarcz i zauberte in seinen formvollendeten Novellen und kleineren Romanen über das Leben der oberungarischen Städte aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert farbenreiche und plastische Zeitbilder dem Leser vor Augen, in denen er ohne jede Tendenz und aus ihrer inneren Dynamik heraus die große christliche Vergangenheit des Landes zu ihrem Recht kommen ließ. Den Wert seiner belletristischen Werke erhöht das vorbildliche Einfühlungsvermögen in den Geist der Zünfte und der ungarisch-italienischen Renaissance, als deren unübertroffener Fachmann er in kunstgeschichtlichen Kreisen heute noch anerkannt wird. Gleichzeitig mit ihm veröffentlichte Kreszenz D e d e k auf Grund der Memoiren eines Konvertiten unter dem Titel: „Tu me sequere“ einen geschichtlichen Roman aus der Zeit der ungarischen Reformation und Gegenreformation. Darin wird der seelische Werdegang eines protestantischen Pastors in einem Rahmen geschildert, aus dem die große Gestalt des wortgewaltigen Kardinals Peter Pazmany heraustritt.

Beide Schriftsteller, die ansonsten bahnbrechend wirkten, werden von G e z a G ä r d o n y i weit übertroffen, der mit seinem geschichtlichen Roman „Az Isten rab-jai“ (Die Gefangenen Gottes) über Nacht in die Weltliteratur eingezogen ist. Die edle Gestalt der seligen Margarete, der Tochter König Belas aus dem Hause der ArpÄden, ist im Mittelpunkt des Romans die Personifikation der Urkraft des ungarischen Volkes. Das in urwüchsiger Sprache geschriebene Werk ist zum Geistesgut des ungarischen Volkes geworden.

Obwohl es ein Verdienst dieser drei Schriftsteller ist, dem katholischen Gedanken in der ungarischen Literatur wieder Bürgerrecht verschafft zu haben, bleibt die eigentliche ungarische katholische Belletristik vornehmlich mit dem Namen Josef A n d o r s verbunden, der sich unter den gesinnungsgenössischen Schriftstellern als erster mit sozialen und psychologischen Problemen befaßte. Außer der Problemstellung seiner Romane waren es aber, auch seine moderne Stilentwicklung, seine plastische Gestaltungskraft und sein fem ausgeprägter

Aus der „Furche“

Da Herr Dr. F. F u n d e r einen mehrwöchigen Urlaub angetreten hat, bitten wir, alle Zuschriften an die Redaktion zu adressieren.

Kunstsinn, die ihn in der ungarischen schöngeistigen Literatur zu einer Führerrolle bestimmten. Als Schriftleiter der Zeitschrift „£let“ (Leben) erachtete er es als seinen Beruf, eine junge, auf gesichertem Geistesgrunde stehende Schriftstellergarde heranzuziehen.

Zu seinem engeren Mitarbeiterkreis gehörte vor allem der stille, stets meditierende Stefan Domokos, der in seinen vergeistigten Novellen vornehmlich Land und Leute der Raaber Gegend schildert. Johann H o r v ä t h führte das Fischerleben am Plattensee in die Literatur ein. Von den dem Kreise A n d o r s angehörenden Schriftstellerinnen verdient die allzufrüh verstorbene Margarete Pokorny und Maria Blasko erwähnt zu werden, die vor der Öffentlichkeit wie ein Meteor erschienen ist. Sie verriet eine rrlit richtigem Erfassen der seelischen Probleme gepaarte Gedankentiefe, wurde aber vi,el zu früh flügellahm, und widmete sich ausschließlich der erbaulichen Literatur.

Inzwischen fanden die französischen katholischen Schriftsteller in Ungarn einen verhältnismäßig großen Leserkreis. Unter ihnen insbesondere Paul Bourget, dessen Einfluß auf die neuesten Schriftsteller unverkennbar ist. So zum Beispiel haben Boris B a 11 a, Ladislaus Possonyi und Z s o 11 A r a d i den Hang zum Metaphysischen und zur Analyse der Seelenprobleme mit Bourget gemein, im übrigen starke Persönlichkeiten, die ihre eigenen Wege gehen. Als Herausgeber der literarischen Quartalschrift „Vigilia“ erarbeiteten und erkämpften sie in moderner und modernster Gestaltung die literarische Gleichberech'.igung des unverfälschten katholischen Gedankengutes.

Ju'lius Zaymus erinnert in seinen geistreichen und oft filmartig gezeichneten Großstadtbildern an Pierre l'Eremit, während Nikolaus Nagy das Leben der Menschen jenseits der Theiß in seinen geschichtlichen und sozialen Novellen behandelt. An Coloma, Bourget, Paul Keller geschult, verfaßte er mehrere Bände Novellen, die. obwohl dem ungarischen Humus entsprossen und echt ungarischen Geist atmend, sich mit Leichtigkeit in fremde Sprachen übersetzen lassen. Schließlich sei noch Anton Ijjas erwähnt, der mit Ubersetzungen Getrudes von le Fort begann, mit einem Gesellschaftsroman fortsetzte und die Leserwelt dieses Jahr mit einem geradezu frappierenden sozialen Roman überraschte. Er gilt als die große Zukunft der ungarischen katholischen Romanliteratur.

An katholischen Dichtern hat es gewiß auch in der Vergangenheit nicht gemangelt. Es seien hier nur die Namen von Tärkanyi, Mindszenti, Sujänsz-ky, Rosty, Rudnyinszky ' und K a 1 o c s a i erwähnt. Von einer eigentlichen katholischen Dichtkunst in der neuen Zeit kann aber erst seit 1900 gesprochen werden. Bezeichnend dabe ist, daß es ursprünglich kein Dichter, sondern Bischof Prohaszka war, der mit seinem modernen Stil, dem Höhenflug seiner Gedanken und dem orchestralen Reichtum seiner Sprache diese Lyrik zum Durchbruch führte. Das lyrische Dreigestirn am Himmel der ungarischen katholischen Dichtung: Alexander Sik, Ladislaus Szalay und Ludwig Harsänyi läßt sich ohne Prohaszka kaum denken. Drei wesentlich verschiedene Charaktere und Talente, eins und einig aber im christlichen Fühlen und Denken und in der völligen Hingabe an den von Bischof Prohaszka zum Sieg geführten Spiritualismus.

Sik ist nicht nur Dichter, sondern auch Gelehrter, der seine Phantasie zu zähmen und zu meistern versteht. Dank dieser Disziplin findet er trotz des an Claudel erinnernden ungebundenen Versmaßes und der modernen Ausdrucksweise stets die Harmonie zwischen Inhalt und Form. Als Denker sucht er ständig nach Problemen, vermeidet die Breite und versenkt sich in die Tiefe, gleichviel ob es sich um seelische oder weltanschauliche Probleme handelt. Obwohl geistesverwandt mit den Großen der französischen Lyrik, bleibt er immer ungarisch, lebensbejahend und katholisch. Diesen Geist offenbar er, wenn er „Die Geburt der Vag“ schildert, aus der Seele des Großstadtmenschen Schätze hebt oder aber den jungen Fähnrich besingt, der, tödlich getroffen, über eine Baumwurzel stolpert und sterbend zusammensinkt.

Ladislaus Szalay ist realer und herber als Sik. Aus seinem mächtigen symbolischen Zyklus „Hunnia nagyhete“ (Die Karwoche Ungarns) strömt die Selbstanklage und der Hilferuf um Erlösung einer Nation wie das Brausen des Meeres hervor. „Im phantastischen Glänze der Visionen schlagen das bittere Weinen der Lamentationen, das flehende Klagen der Psalmen und die Vorwürfe erwachter Reue mit den Flammen des hervorbrechenden Hasses zusammen“, schreibt der Kunstkritiker Alszeghy. Daß Szalay der Verfasser der klassisch - schönen ungarischen Kongregationshymne ist, sei nebenbei bemerkt.

Ludwig Harsanyi ist ein Sänger des Landlebens der Raaber Gegend und des Neusiedlersees und besingt in einfachen, an Geliert erinnernden Tönen die Genügsamkeit des kleinen Mannes. Sein eigentliches Gebiet aber ist der Symbolismus, in dem orgelhafter Ton, Reichtum der Farben und visionäre Gesichte zu einer wunderbaren Einheit zusammenklingen. Im Epos „Hagia Sophia“ läßt er, wie ein moderner Dante, die Ewigkeitswerte der sieben Sakramente aufblitzen. Atembeklommen schwebt man mit dem Dichter in dieser erhabensten Schöpfung der ungarischen katholischen Poesie über abgründige Tiefen und nie erklommene Höhen, um, ermüdet und erschöpft, sich an der Brust des Herrn auszuruhen.

Ihnen schließt sich als ebenbürtiger Lyriker und schöpferischer Geist Ladislaus Mecs, an, der sie als Formkünstler und als sozialer Dichter vielfach noch übertrifft. Wie ein Jongleur spielt er mit der Sprache, formt neue Ausdrücke, kleidet die modernen Gedanken in noch moderneres Versmaß. Dutzende seiner Gedichte sind zum allgemeinen Volksgut geworden urid stehen in Stadt und Land auf dem Programm der verschiedensten sozialen und kulturellen Veranstaltungen.

Wortgewaltig und philosophisch tief ist der von den Pfeilkreuzlerr, ermordete Stephan Lendvay, in dessen Dichtung sich ungarisches Schicksal und Christentum zu einer organischen Einheit verschmelzen. Sozialen Geist atmen die Gedichte von Alexander Puszta. Ladislaus Kocsis zeichnet in weichen Strichen Heimatbilder det transdanubischen Landschaft. Aus der Harfe von Stephan Värossy und Ladislaus Szekely klingen die Töne erdabgewandter Mystiker. Michael Mentes singt im unkomplizierten Ton des Volkes und gilt als Liebling der Komponisten; zahlreiche seiner Gedichte werden als Volks- und - Kirchenlieder weit und breit gesungen. Niko'aus Nagy erschließt in seiner Dichtung die soziale, katholische und patriotische Harmonie der ungarischen Volksseele.

Die katholische Dramatik steht hinter dem Reichtum und der Mannigfaltigkeit der Lyrik erheblich zurück. Das katholische Publikum begnügt s:ch damit, wenn vor Weihnachten oder in der Karwoche ein Weihnachtsmysterium oder aber die Passion über die Bühne des Nationaltheaters geht. Die Konvertitin R e n e e E r d ö s hat ein gewaltiges bib'isches Drama „Jänos tanitväny“ (Der Jünger Johannes) verfaßt, dem bald das Legendenstück „Franz von Assisi' folgte. Obwohl beide Stücke als literarische Schöpfung und auch als Drama weit über dem Durchschnitt stehen, gelangten sie doch nicht zur Aufführung. Ein ähnliches Schicksal blieb dem an lyrischen Schönheiten reichen Stück Alexander S'iks „Alexius“ beschieden. Bloß Nikolaus Kdllay hatte mit seinem mittelalterlichen Mysterium „Go-diva“ Erfolg, das einige dutzendmal über die Bühne des Nationalthcacers ging. Vielleicht dürfte die von der Katholischen Aktion dieses Jahr ins Leben gerufene Vörömarty-Bühne die Entwicklung des ungarischen katholischen Dramas beschleunigen.

Vor fünfzig Jahren konnte in Ungarn von einer katholischen Literatur nur mit größtem Vorbehalt gesprochen werden. Heute ist sie Tatsache geworden und nimmt in der allgemeinen ungarischen Literatur und Geistesentwicklung einen ansehnlichen Platz ein. Wohl ist der große katholische Romanschriftsteller und Dramatiker noch nicht geboren. Ein bezeichnendes Merkmal der Belletristik ist ihre organische Verbundenheit mit dem Volk, das aus ihr herausströmende tiefe christliche Leben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung