Kein Feilschen um Freiheit

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Vor 200 Jahren wurde Amantine-Aurore-Lucile Dupin geboren, als George Sand ging sie in die Literaturgeschichte ein. Ihre Briefe erzählen nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Gedanken zu Liebe und Freundschaft, Kunst und Religion, Poetik und vor allem Politik.

Das Klischee von ihr ist heute bekannter als ihre Literatur. Die Frau, die mit Männerkleidung durch Paris schlenderte, Zigaretten rauchte und durch ihr freizügiges Liebesleben auffiel, wie es damals für Männer, aber nicht für Frauen üblich war, erschreckte mit ihrem emanzipierten Auftreten Männer und Frauen. Als "Blaustrumpf" und "femme fatale" wurde sie beschimpft, George Sand, die Bestsellerautorin, deren Werke in ganz Europa und sogar in den Vereinigten Staaten bekannt waren.

Als Amantine-Aurore-Lucile Dupin wird George Sand vor 200 Jahren, am 1.7.1804 in Paris geboren. 1822 heiratet sie Baron Dudevant, von dem sie sich 1831 trennt. Ihre Beziehungen sorgen für Getuschel, Gerüchte und vermutlich auch Neid. Jules Sandeau, Alfred de Musset, Alexandre Manceau gehören zu ihren Männern, ein Jahrzehnt lang ist George Sand mit Frédéric Chopin liiert.

Schreiben Tag und Nacht

Mit dem Studenten und späteren Romanautor Jules Sandeau schreibt sie ihren ersten Roman "Rose et Blanche", der 1831 erscheint - als Name des Autors geben sie das Pseudonym "Jules Sand" an. Für die folgenden eigenen Romane entscheidet sie sich, daran anknüpfend, für das Pseudonym, mit dem sie in die Literaturgeschichte eingehen wird: George Sand. Unter diesem Namen veröffentlicht sie zu Lebzeiten etwa180 Bände.

Der Erfolg fliegt ihr nicht in den Schoß, sie arbeitet hart dafür, Tag und Nacht, und das nicht im übertragenen, sondern durchaus im wörtlichen Sinn. Nach der gerichtlichen Trennung von ihrem Mann geht es vor allem darum, Geld zu verdienen. Als Lehrling verdingt sie sich in einer Zeitungsredaktion, um von etwas leben zu können, "und deshalb mache ich das Letzte, nämlich Artikel für den Figaro' liefern. Puh!" Der Chef schaut ihr über die Schulter, so schreibt George Sand in einem Brief, "und schneidet und stutzt unsere Artikel nach seinem Gutdünken und nach Lust und Laune zurecht. Wir müssen so schreiben wie er es wünscht. Denn es geht schließlich um sein Geschäft, und wir sind nur seine Handlanger."

Biografie in Briefen

Das Romanschreiben als Einnahmequelle entdeckend geht George Sand einen Vertrag mit dem Verleger François Buloz ein, der sie verpflichtet, alle sechs Wochen 122 Druckseiten für die "Revue des Deux Mondes" zu liefern. Sie setzt sich damit einem immensen Zeitdruck aus. Manchmal schreibt sie in wenigen Wochen mehrere Romane und daneben noch Artikel für Feuilletons. Nächtens widmet sie sich den Briefen - insgesamt werden es über 40.000! - an Freunde und Kollegen im In- und Ausland, in Paris und auf dem Land, an ihre Mutter, an ihren vielgeliebten Sohn ... Anhand dieser Schriften lässt sich ihr Leben nachlesen wie ein Roman. Ausgehend von den Briefen wurden daher auch die meisten Biografien verfasst, auch jene von Armin Strohmayr, die nun rechtzeitig zum 200. Geburtstages dieser Grand Dame der französischen Literatur vorliegt.

Die Briefe geben Zeugnis über die vielen Freunde, mit denen Sand in Beziehung stand. Sie hatte Kontakt zu Musikern, Dichtern, Malern, Philosophen, Theologen und Sozialreformern. Die Namen der Persönlichkeiten, an die oder über die sie schreibt, lesen sich wie ein Who is Who der Kultur der damaligen Zeit: Victor Hugo, Eugène Delacroix (der sie auch malt), Prosper Mérimée, Honoré de Balzac (der sich für seine Romane aus ihrem Leben bedient), Marie d'Agoult, Franz Liszt, Georg Herwegh, Bettina von Arnim, Karl Gutzkow, Heinrich Heine, der ihr ein guter Freund wird und über den sie schreibt: "Heines Herz ist ebenso gut, wie seine Zunge schlimm ist."

Monarchiekritisch

George Sands literarisches Lebenswerk ist vielschichtig, durchzogen von ihrem emanzipatorischen, politischen Engagement. Ihre frühen romantisch-sentimentalen Liebesromane etwa sind insofern auch fortschrittlich, weil sie die eigene freie Gefühlsentscheidung der Frau fordern - keinesfalls selbstverständlich in dieser Zeit. Die Romane der vierziger Jahre verdeutlichen ihre Unzufriedenheit mit der Monarchie und spiegeln die politischen und sozialen Verhältnisse, die letztlich zur Februarrevolution 1848 führen. George Sand gibt ihren politischen Ideen als Romanfiguren Gestalt und erreicht in ihren Werken eine Bewusstseinsbildung für die Massen, von der manche Sozialreformer nur träumen können. Selbst ihre späten Bauern- und Landromane sind nicht nur Porträts einer Landschaft sondern auch Spiegel der Zeit.

Auch wenn sie sich selbst als nicht politisch und Politik als Männersache bezeichnet, mischt sie dennoch rege in politischen Belangen mit, mehr als ihr schließlich selbst recht sein kann. Beeinflusst von Männern wie dem 1834 mit Kirchenbann belegten Abbé Hugues Félicité de Lamennais, dem Sozialutopisten Pierre Leroux und Pierre-Joseph Proudhon entwickeln sich ihre sozialistischen, ja kommunistischen Gedanken.

Idee der Gleichheit

Die Idee der Gleichheit, so schreibt sie in einem ihrer späten Briefe, sei ihre eigentliche Leidenschaft. So versucht sie auch in ihrer Rolle als Gutsbesitzerin und Unternehmerin für gerechte Verhältnisse zu sorgen. Auch für die Freiheit der Gedanken kämpft sie, und in der Napoleon-Ära schreibt sie zahlreiche Gnadengesuche für ihre Freunde. Gnadenlos ist sie, wenn es um die Einschränkung ihrer eigenen Freiheit geht. Augenscheinlich wird dies 1841 - George Sand thematisiert in ihrem Roman "Horace" die Revolution 1830. Ihr Verleger Bulez will die eindeutige Symapthie Sands für die Revolutionäre entschärft haben. Wie bestechend klar Sands Briefe sind, wird hier deutlich: "Ich werde mich niemals mit Ihnen in ein Streitgespräch über Prinzipien einlassen, zumal Sie und Ihresgleichen von Berufs wegen gar keine haben." Sand besteht auf Einhaltung ihres Vertrages: "Sie haben mir immer gesagt, geschworen und wiederholt versichert, dass die Revue' immer unabhängig war und es auch bleiben wird {...} Wenn ich gezwungen werde, mich in Acht zu nehmen, damit ich der Regierung nicht missfalle, dann muss ich Ihnen sagen dass hiervon bei der Unterzeichnung unseres Kontrakts nicht die Rede war. Entweder ist unser Vertrag nichtig oder ich verlange, dass er genauestens erfüllt wird {...}" Sand verlangt, dass der Roman ohne jede Änderung gedruckt wird. Weil es aber offenkundig ist, dass der Verleger und die Autorin nicht mehr zusammenarbeiten können, schlägt sie die Trennung vor. "{...} ich kann schließlich nicht um meine Freiheit mit mir feilschen lassen; ich will sie ohne Einschränkung oder ich gehe. {...} Lassen Sie mich in mein Unglück rennen und belästigen Sie mich nicht mit dem Ihrigen." So schreibt Sand und gründet eine eigene Zeitschrift, in der sie ihre Romane veröffentlicht.

Kompromisslos ist die Katholikin auch, was die Katholische Kirche betrifft. Ihren "Kommunismus" versteht sie vor christlichem Hintergrund, ja von ihm begründet, die Amtskirche aber nimmt sie hart ins Gericht, etwa in Bezug auf ihren Umgang mit Frauen: "Diese schöne Vorstellung vom Christentum beispielsweise, die uns in der Person der Maria einen so wichtigen Platz zuweist {...} - wie verträgt sie sich mit der harten Vorschrift des heiligen Paulus, wie sie in die Trauungsliturgie eingegangen ist: Die Frauen seien untertan ihren Männern als dem Herrn."

Resignation hinsichtlich möglicher Veränderungen findet sich 1842 in einem Brief: "Die Heirat der Priester wäre nur eine von tausend Reformen, die der Klerus auf sich zu nehmen hätte, wenn er einen ersprießlichen und dauerhaften Einfluß auf die Menschen zurück erlangen will. Die Kirche aber bewegt sich in entgegengesetzter Richtung; sie wird in zunehmendem Maße das Sammelbecken für Intriganten, falsche Philosophen und Schöngeister, die mit trügerischer Beredsamkeit ihre Hirngespinste zum besten geben."

1863 wird George Sand exkommuniziert, was damit zusammenhängt, dass sie die nationale italienische Einigung öffentlich befürwortet und den Kirchenstaat kritisiert. Ihr Werk wird auf den Index der verbotenen Bücher gestellt. Auch der französische Senat verbannt ihre Werke aus den öffentlichen Büchereien - gelesen werden sie aber weiterhin, auch in Übersetzungen.

Weitsichtig

Nach der Februarrevolution, in der Zweiten Republik, wird George Sand tatsächlich politisch tätig. In ihrer Eigenschaft als Redakteurin der Bulletins der provisorischen Regierung löst sie, vielleicht die politischen Kräfte verkennend, sogar einen Putschversuch aus. Enttäuscht darüber, wie sich die Republik entwickelt, auf die sie so große Hoffnungen gesetzt hat, zieht sie sich aufs Land zurück, wo sie sich auch noch dem Gespött der Leute aussetzen muss, denen sie doch helfen wollte.

Dabei ist sie keineswegs naiv, im Gegenteil in vieler Hinsicht sogar besonders weitsichtig, vor allem was etwa Napoleon betrifft: "Unter einer Republik aber hat M. Louis Bonaparte nicht das Recht, sich als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen aufstellen zu lassen, da er prinzipiell ein überzeugter Feind der republikanischen Staatsform ist." Das schreibt George Sand im Jahr 1848.

Unheimlich prophetisch

Und geradezu prophetisch wirken die düsteren Sätze, die sie 1871 an Gustave Flaubert richtet, den engen Vertrauten ihrer letzten Jahre (George Sand stirbt 1876): "{...} die deutsche Nation ist wegen ihrer Siege genauso zu beklagen wie wir wegen unserer Niederlagen, denn für sie ist das der erste Schritt zu ihrer moralischen Zersetzung. {...} Warten wir ab, bis die germanische Rasse ans Werk geht, deren natürliche Anlage zur Disziplin wir so bewundern, {...} und wir werden sehen, was geschieht, wenn deren Leidenschaften erst entfesselt sind!"

Briefe

Von George Sand

Aus dem Französischen übersetzt

und herausgegeben von

Annedore Haberl.

Deutscher Taschenbuch Verlag,

München 2003

554 Seiten m. Abb., kart., e 12,90

George Sand -

"Glauben Sie nicht zu sehr an

mein satanisches Wesen"

Biografie von Armin Strohmeyr

Reclam Verlag, Leipzig 2004

240 Seiten m. 16 Abb., geb., e 20,50

George Sand - Leben und Werk in Texten u. Bildern

Hg. v. Schlientz, Gisela.

Insel Verlag, Frankfurt 2004

269 Seiten, m. Abb.. kart., e 11,90

George Sand

Genie der Weiblichkeit

Von Corinne Pulver

Droste Verlag, Düsseldorf 2003

415 Seiten, kart., e 15,40

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