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Kein Friede ohne Moskau

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UNMEM heißt die jüngste politische Sternschnuppe am vorder- orientalischen Himmel, und die friedlose Welt zwischen Kairo und Jerusalem, Damaskus und Aden bekam — ein halbes Jahr nach dem Sechstagekrieg und gerade rechtzeitig zu Weihnachten — einen neuen Friedenapostel. UNEM ist die United Nations Middle East Mission, ihr Chef der schwedische Diplomat Gunnar Jarring. Der UN-Vermittler beendete soeben seine erste Gesprächsrunde im Libanon, Israel, Jordanien und Ägypten. Von seinem zypriotischen Hauptquartier aus berichtet er darüber jetzt UN-General- sekretär V Tha nt. Die Fühlungnahmen verliefen in den von ihm besuchten Hauptstädten wie erklärt wurde, wenig erfolgversprechend. Keine der beteiligten Regierungen ist ohne Vorbehalte gegen die Missionsziele, aber auch gegten die Person des Missionars.

Charmeur und harter Arbeiter

Jarring ist der Urtyp (fast schon die Karikatur) des Berufsdipiomaten. Er ist ein jugendlich wirkender Sechziger, von eleganter Erscheinung, hochgewachsen, schlank, gut aussehend, und sein Gesicht ziert ständig ein gewinnendes Lächeln. Er ist Star jeder Cocktailparty. Sein ungewöhnliches Hobby ist die Lektüre amerikanischer „comic stnips“. Der Charmeur gilt auch als unermüdlicher Arbeiter. 1940 engagierte das Stockholmer Außenministerium den damals Dreiundreißigjährigen. Die diplomatischen Sporen verdiente er sich in Ankara, Teheran, Addis Abeba, Neu-Delhi, Rawalpindi und Bagdad; 1956 wurde er Botschafter bei den UN, 1958 in den USA, 1964 in der Sowjetunion. In Washington wäre er beinahe noch Vorgesetzter eines anderen schwedischen Charmeurs geworden: Luftwaffenattache und, seit 1948, Sowjetspion Stig Wennerström. 1957 wurde Jarring, turnusmäßig, Vorsitzender des Weltsicherheitsrates und sammelte dabei erste Erfahrungen als UN-Veimitt- ler. Er versuchte erfolglos, im Kaschmirkonflikt zwischen Indien und Pakistan zu schlichten.

„Die Kunst des Verhandeln® besteht im Schweigen und Lächeln.“

Obgleich er sich schon damals strikt an dieses von ihm selbst formulierte Berufscredo hielt, kollidierte der , UN-Mann bald mit einem anderen — selbsternannten — Vermittler: Jawaharlal Nehru, eine äußerst zwiespältige Persönlichkeit. Auf internationaler Ebene Politmoralist, doch zu Hause Machtpolitiker im Stil de® 19. Jahrhunderts. Indien warf Jarring folglich nur Steine in den Weg. Indien ist aber auch einer der engragiertesten neutralistischen Verbündeten Ägyptens. Es unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, und lieh Nehrus Freund Abdel Nasser nach dem Sechstagekrieg moralische und sogar finanzielle Unterstützung. Die ostasiatischen Erlebnisse empfehlen Jarring daher nicht gerade bei den Arabern.

Auch in Israel gibt es gegen ihn starkes Mißtrauen. Dort machte man mit schwedischen UN-Abgesandten keine ermutigenden Erfahrungen. Jüdische Nationalisten erschossen, 1948, Folke Bernadotte. Der Graf, in der Endphase des zweiten Weltkrieges bezeichnenderweise bekanntgeworden durch Geheimverhandlungen ausgerechnet mit SS-Chef Heinrich Himmler, bezeigte mehr Mitleid mit den arabischen Flüchtlingen, die noch freiwillig davongelaufen waren, als mit den jüdischen DP’s. Auch Dag Hammar- skjöld hatte nie besondere Sympathien für den Judenstaat. Und Carl Horn, langjähriger Befehlshaber der UN-Truppe, war ein ausgesprochener Antisemit. In seinen erst kürzlich veröffentlichten Memoiren, Bestseller in allen arabischen Ländern, erhebt er kaum beweisbare Anschuldigungen gegen Israel. Jarring wird es nicht leicht haben gegen diese Vorbehalte. Für seine Vorgänger war die nahöstliche Vermittlertätigkeit meistens ein Himmelfahrtskommando. Für ihn spricht, daß er sie trotzdem wagte.

Hüben und drüben

Mit „Lächeln und Schweigen" allein ist allerdings eine endgültige und freundliche Regelung des Nahostkonfliktes kaum erreicht Die Araber versuchen weiterhin, sich um die Konsequenzen ihrer selbst provozierten und selbst verschuldeten Niederlage herumzudrücken. Israel will — infolge böser Erfahrungen nach der Suezkampagne — Zugeständnisse nur machen, sofern es zu direkten Verhandlungen kommt. „Die Araber schickten ihre Truppen ja auch direkt an unsere Grenzen“, argumentiert man dort, „jetzt können sie sich auch direkt mit uns an einen Tisch setzen!“

Ägypten beharrt auf dem bedingungslosen Israelischen Truppenabzug, bevor es über irgend etwas zu verhandeln bereit ist. Syrien will bisher noch nicht einmal mit dem UN-Vermittler sprechen. Die Damaszener Linksextremisten fürchten die nur 60 Kilometer vor ihrer Hauptstadt stehenden israelischen Truppen offenbar weniger als direkte oder indirekte Verhandlungen mit dem „Erzfeind“. Nur Jordanien wäre, falls es damit die besetzten Gebiete zurückgewinnen könnte, bereit zu Konzessionen.

Irgendwo zwischen Amman und Jerusalem liegt, meinen Kenner derVerhältnisse, die Chance Gunnar Jarrings. Ein israelischer Politiker soll dessen Besprechungen mit Ministerpräsident Eschkol so kommentiert haben: „Hat er Glück, könnte ein Frieden binnen zwei Jahren erreicht werden!“ Wie ein Echo darauf klingt es, was ein durchaus ver- atändigungswiiliger jordanischer Würdenträger äußerte: „Erreicht er nichts, dann gibt es vielleicht noch innerhalb der nächsten zwei Jahre einen neuen Krieg!“

Was beide nicht aussprachen, was aber jeder von ihnen weiß, ist der Umstand, daß über einen regionalen Friedensschluß nicht in Jerusalem oder Amman, nicht einmal in Damaskus oder Kairo entschieden wird, sondern in Moskau. Jarrings Berufung deutet darauf hin, daß UN- Generalsekretär U Thant wohl weiß,

wer der gefährlichste nah östliche Kriegstreiber ist: Sein neuer Vermittler war bisher schwedischer Botschafter beim Kreml. Dort verbrachte er auch, verlautete aus seinem zypriotischen Hauptquartier, seinen Weihnachtsurlaub. Um im Nahen Osten Glück zu haben, urteilen nah- östliche Politiker, wäre er vielleicht am besten gleich dort geblieben — an der Quelle des Übels!

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