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Kein Interesse am Schauspieler

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Hat die heutige Jagend überhaupt noch eine innere Beziehung zum Theater? Die Meinungen sind geteilt. Laut Statistik des Deutschen Bühnenvereins ist der Anteil der Jugendlichen und Studenten am Theaterbesuch 8,5 Prozent: Von einer Flucht der jungen Menschen aus dem Theater kann also nicht die Rede sein. Meint man. Nimmt man aber gleiche Prozentzahlen in den sechs Jahrzehnten, etwa vom 16. bis zum 76. Lebensjahr, so müßte da schon die Zahl bei den Jugendlichen mindestens doppelt so hoch sein. Eine ausführliche Befragung der Schuljugend in Berlin, die Schulrat Dr. Joachim Kramarz durchführen ließ, ergab, daß zwei Drittel der jungen Menschen vom Theater nicht berührt werden. Eine alarmierende Feststellung. Das stimmt mit den Klagen so mancher Intendanten überein, die behaupten, in den Zuschauerräumen viel zuwenig junge Gesichter zu sehen. Ist es aber von entscheidender Bedeutung, ob die jungen Menschen Theater besuchen oder nicht? Zweifellos hängt die Zukunft des Theaters davon ab, daß sie früh genug eine innere Beziehung zur Bühne finden. Indes kommt dieser Konnex aber nicht zustande, wäre das nicht nur für das Theater zu bedauern. Junge Leute, denen sich die Bereiche des Lebens noch nicht erschlossen haben, können durch das Theater viel Erfahrung gewinnen. Natürlich kommt es da nicht auf ein Wissen an, sondern auf einen erlebnismäßigen Einblick in die heutige Situation des Menschen, in die gesellschaftliche Lage, in das Wirken erfaßbarer und oft nur erahnbarer Kräfte.

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Hat die heutige Jagend überhaupt noch eine innere Beziehung zum Theater? Die Meinungen sind geteilt. Laut Statistik des Deutschen Bühnenvereins ist der Anteil der Jugendlichen und Studenten am Theaterbesuch 8,5 Prozent: Von einer Flucht der jungen Menschen aus dem Theater kann also nicht die Rede sein. Meint man. Nimmt man aber gleiche Prozentzahlen in den sechs Jahrzehnten, etwa vom 16. bis zum 76. Lebensjahr, so müßte da schon die Zahl bei den Jugendlichen mindestens doppelt so hoch sein. Eine ausführliche Befragung der Schuljugend in Berlin, die Schulrat Dr. Joachim Kramarz durchführen ließ, ergab, daß zwei Drittel der jungen Menschen vom Theater nicht berührt werden. Eine alarmierende Feststellung. Das stimmt mit den Klagen so mancher Intendanten überein, die behaupten, in den Zuschauerräumen viel zuwenig junge Gesichter zu sehen. Ist es aber von entscheidender Bedeutung, ob die jungen Menschen Theater besuchen oder nicht? Zweifellos hängt die Zukunft des Theaters davon ab, daß sie früh genug eine innere Beziehung zur Bühne finden. Indes kommt dieser Konnex aber nicht zustande, wäre das nicht nur für das Theater zu bedauern. Junge Leute, denen sich die Bereiche des Lebens noch nicht erschlossen haben, können durch das Theater viel Erfahrung gewinnen. Natürlich kommt es da nicht auf ein Wissen an, sondern auf einen erlebnismäßigen Einblick in die heutige Situation des Menschen, in die gesellschaftliche Lage, in das Wirken erfaßbarer und oft nur erahnbarer Kräfte.

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Sind nun die Jugendlichen schuld, wenn sie den Zu-weg zum Theater nicht finden? Wenn sie sich diese so sehr nötige Bereicherung ihrer Lebenseinsicht entgehen lassen?

Mehr noch als der Erwachsene hängt der junge Mensch von der Umwelt ab. Die Impulse seines Denkens und Tuns kommen von außen, er reagiert zunächst. Daher kann man nicht immer erwarten, daß Jugendliche von sich aus auf den Einfall kommen, Theateraufführungen zu besuchen. Es bedarf oft eines Ansporns von außen, sie fürs Theater zu gewinnen, vielleicht sogar zu begeistern. Allerdings, ist etwa die Schule schuld, wenn dieser Zuweg nicht gefunden wird? Tatsächlich ist es ihre Aufgabe, nicht nur Wissensgut zu vermitteln, sondern die Jugendlichen in jeder Weise auf die Anforderungen des Lebens vorzubereiten. Das Theater kann da entscheidende Hilfe sein. In früheren Jahrzehnten wurde immer wieder behauptet, die Schule habe den Schülern das Interesse an den Meisterwerken der Dramatik dadurch vergällt, daß sie auch nur wieder als Wissensgut und nicht als Erlebnis vermittelt wurden. Da scheint sich freilich manches geändert zu haben. Alles hängt von der Lehrerpersönlichkeit ab. Prof. Dr. Leopold Demier, Linz, zeigte vor einigen Wochen auf der Tagung der Theatergemeinden in Berlin — Thema: „Junge Generation und Theater“ —, wie durch unkonventionelle Behandlung die Phantasie der Schüler angeregt und damit die Anteilnahme am Theater geweckt werden kann. Er ließ seine Schüler etwa zu Schillers „Kabale und Liebe“, nach entsprechender Analyse des Werks, Inszenierungsideen entwickeln, wobei der Vorschlag kam, dieses Stück in die Rassensituation der USA zu verlagern, so daß die Familie Miller Neger sind, der Präsident und sein Sohn der herrschenden weißen Schicht angehören. Jedenfalls wirken solche Versuche auch dort instruktiv, wo sich offenkundige Widersprüche ergeben.

Ingmar Bergman erklärte, er habe sich viele Jahre danach heiser geschrien, daß ein Kinder- und Jugendtheater von höchstem Niveau nötig sei, um die Grundlage für ein lebendiges Erwachsenentheater, zu schaffen. Das Interesse müsse früh genug geweckt werden. Nun, in Wien geschieht da sehr viel. Das „Theater der Jugend“ hatte in der Spielzeit 1968/69 die stattliche Zahl

von 760.349 Theaterbesuchen zu überaus mäßigen Preisen vermittelt. Es geschah mit Hilfe der Schulen. Damit zeigt sich ihre besondere Bedeutung für das Gewinnen der Jugendlichen.

Dennoch bleibt die Berliner Feststellung bestehen, wonach zwei Drittel der jungen Menschen den Theatern fernbleiben. Das gilt nach dem Urteil maßgeblicher Theaterleute auch für Wien. Aber bietet das von den Bühnen Vorgeführte für die jungen Leute genügend Anreiz? Nun sucht ein Großteil des Publikums zweifellos im Theater Zerstreuung und nicht Sammlung, die Leute wollen unterhalten werden und nicht Probleme vorgesetzt erhalten Damit freilich wird man den geistig lebendigen Teil der Jugend nicht fürs Theater gewinnen. Eine neue Generation sieht die Welt heute, in der Zeit rasanter Entwicklungen und Umstürze gänzlich anders als ältere Leute, die zu bequem sind, aus diesen Wandlungen Konsequenzen zu ziehen. Der Gegensatz der Generationen ist dadurch ungleich größer, als er es je war. Bieten die Theater aber wirklich einen Spiegel der neuen, so sehr veränderten Situation? Im besten Fall gelegentlich, andeutend. Alf Leegaard, Chefdramaturg der Städtischen Bühnen Nürnberg, erklärte auf der Berliner Tagung der Theatergemeinden mit Recht, daß der Begriff „jung“ keine altersmäßige Kategorie sei, Fünfzigjährige können jünger sein als Dreißigjährige. Sie können es sein, sind es aber leider nur in der Minderzahl. Werner Düggelin, Direktor der Basler Theater, meinte, das Theater sei so jung wie seine Besucher. Fehlen jugendliche Begeisterung. Kritik und Protest, verpuffen gutgemeinte Absichten. Vor allem wünscht er Kritik von dieser Seite. Was aber vermissen die Jugendlichen im Theater? Nun lassen sie sich, gesetzt, man begrenzt sie etwa mit einem Alter von 16 bis 25 Jahren, nicht, wie es fast stets geschieht, als geistig einheitlich orientiert auffassen. Es gibt nicht nur die Rebellierenden, Respektlosen mit dem mangelnden Verantwortungsgefühl, die gegen die Wohlstandsgesellschaft opponieren, es gibt die Unauffälligen, die ruhig an der Zukunft arbeiten Sie freilich werden, wenn sie über-

haupt am Theater Gefallen finden, meist das Herkömmliche auf der Bühne bevorzugen. Erstickt aber das Theater an der Konvention, muß es Absacken. Was sich nicht entwickelt, stirbt |

Wenn auch die heutige Jugend in ihren Ansichten und Bestrebungen vielleicht noch viel mehr als die Jugend von gestern aufgesplittert ist, so läßt sich doch für jenen Teil, der, als geistig besonders lebendig, noch keine Ansätze zur geistigen Saturiertheit aufweist, einiges Grundsätzliches erkennen:

So kann man generell feststellen, daß diese Jugend am Schauspielertheater, am Interpretenkult kein Interesse besitzt. Vollends ist die Zeit der Backfische, die im Butterbrot einen Zettel mit dem Namen ihres Lieblingsschauspielers verzehrten, längst vorbei. Es geht diesen jungen Leuten auch gar nicht sehr um Perfektion, sondern vor allem um das Stück, um seine Problematik. Daher ist es zu verstehen, daß sie das „kulinarische“ Theater, dag „Krawattentheater“, ablehnen. Auch die Klassiker finden nur sehr bedingt ihre Zuneigung, da deren Größe zwar weiterreicht, aber doch einer vergangenen Zeit verhaftet ist. Das Ergebnis der bereits erwähnten schriftlichen Befragung, die in drei, den Bewohnern nach verschieden gearteten Berliner Bezirken an drei Hauptschulen, fünf Gymnasien, drei Realschulen durchgeführt wurden, sah, oberflächlich beurteilt, reichlich ungünstig aus. Danach finden bei dem Drittel der Jugend, das vom Theater berührt wird, Operette und Musical mit 27,2 Prozent der Befragten den höchsten Anwert. Addiert man aber die Stimmen, die sich für das klassische Schauspiel, die Tragödie, das klassische Lustspiel, das politische Zeitstück und absurdes Theater aussprachen, so ergibt das immerhin 54,1 Prozent. Das gehaltvolle Stück, das nicht Zerstreuung bietet, sondern Sammlung verlangt, vereint also die Mehrzahl der Stimmen. Dabei ist die Oper mit 9,1 Prozent gar nicht einbezogen. Die Untersuchung hatte auch sonst beachtliche Ergebnisse. Danach steigt der Theaterbesuch mit dem Niveau der Schule, die Mädchen fühlen sich vom Theater mehr angezogen als die Burschen, der Schauspieler übt an sich,

das wurde auch da festgestellt, keine besondere Anziehungskraft aus, und das Fernsehen stelle keine Gefahr für das Theater dar. Dem Ergebnis dieser Befragung, bei der die Fragebogen nicht den Namen der Befragten enthielten, also Schönfärberei der Angaben aus Eitelkeit kaum anzunehmen ist, stehen andere Tatsachen entgegen, über die Prof. Franz Stoß, der Direktor des Theaters in der Josefstadt, berichtet Danach gibt die Berliner Stadtverwaltung an Studenten Gutscheine zu drei Mark aus, die an jeder Bühne gegen jeweils freie Sitzplätze eingelöst werden können. Die Differenz zwischen diesem Betrag und dem Preis des Platzes erhält das Theater von der Stadt ersetzt. Dabei zeigt es sich, daß 80 Prozent der Gutscheine im Theater des Westens, dem Operettentheater, eingelöst werden.

Nun gibt es in diametralem Gegensatz zu diesen schon in der Jugend lediglich Unterhaltungssüchtigen die Rebellierenden, die sich in Protestpose gefallen, mögen sie auch meist über die eigenen Ziele völlig im unklaren sein. Alf Leegaard versuchte es bei den Nürnberger Bühnen, junge Menschen zu aktiver Arbeit am Theater zu gewinnen. Als eine Gruppe von Schülern und Studenten kurzerhand erklärte, was an diesen Bühnen gespielt werde sei Quatsch, forderte er sie auf, ein Stück zu schreiben, es im Theater einzustudieren, da auch an den Dekorationen zu arbeiten und es schließlich aufzuführen. Es entstand tatsächlich ein Stück, nun aber wollten sie nachts probieren und die Bedingungen der Feuerwehr nicht anerkennen. Später forderten sie, man solle ihnen ein Klavier zur Verfügung stellen, um es während der Vorstellungen zu zerhacken, aber keine Attrappe, sondern ein echtes „kapitalistisches; Klavier, und schließlich erklärten sie, es müsse in

der Pause ein „echter“ Polizist beredtstehen, den sie verprügeln wollen. Leegaard schlug ihnen nun vor, diesen Wunsch dem Polizeipräsidenten vorzutragen. Alles zerschlug sich, als die jungen Leute ein Honorar haben wollten, noch ehe etwas geleistet war; für sie offenbar eindeutiger Beweis versuchter Ausbeutung durch das „Establishment“. Die Gruppe hatte sich selbst ad absurdum geführt.

Dennoch, die Ablehnung des Konventions-, um nicht zu sagen Konfektionstheaters, durch die geistig agile Jugend ist berechtigt. t Man kann dem Schauspieler Ernst Schröder nur recht geben, der erklärte, Aufregung über das Theater tue not, sie allein verleihe der Bühne jene Dimension, die sie über die bloße Befriedigung traditioneller Repräsentationsbedürfnisse hinaushebe. Nun erweist es sich, daß Kleinbühnen, die Stücke unkonventioneller Art aufführen, fast ausschließlich von jungen Menschen besucht werden und über mangelnden Zuspruch nicht zu klagen haben. Setzt eine Großbühne ein derartiges Stück an — etwa das Wiener Volks-! theater „Change“ von Wolfgang Bauer —, so befinden sich unter den Zuschauern 80 Prozent Jugendliche. Es zeigt sich also, daß die Jugend sehr wohl für das Theater aufgeschlossen ist, werden Stücke geboten, die nicht dem Vergangenen verhaftet sind. Es geht darum, die völlig gewandelte und sich dauernd wandelnde Lage des Menschseins sichtbar zu machen. In dieser Situation wächst die Jugend heran. Es ist aber nicht nur ihre eigene, die sich an den Großbühnen kaum gespiegelt sieht, es ist die Situation der Zukunft, die bereits für uns alle in der Gegenwart steckt. Die Anteilnahme der Jugend am Theater ist daher ein Zeiger dafür, ob die Bühne hinfort überhaupt Anziehungskraft ausüben kann.

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