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Kein Königreich für ein Pferd

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DER LÄNGST IN DEN BÜCHERN der Literaturgeschichte eingesargte Friedrich von Bodenstedt ist lange durch die Worte aus dem „Mirza Schaffy“ bekannt geblieben: „Das'Paradies dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde." Ob die irdischen Zustände sich so sehr von der Kennzeichnung „paradiesisch" entfernt haben, weil das Glück für viele Menschen mehr in dem Druck auf den Gashebel liegt als auf dem Rücken des Pferdes - das mag ein Philosoph untersuchen. Jedenfalls, und hier ist die Statistik zuverlässig, betrug die Zahl der Pferde auf dem Boden Oesterreichs im Jahre 193 8 ins gesamt 246.555, man hatte daneben noch 180.154 Zugochsen und 1782 Traktoren. Vor dreißig Jahren bin ich tagelang durch das landwirtschaftlich ergiebigste Gebiet der Tschechoslowakischen Republik gereist und entsinne mich noch eines Vormittags, wo in einem großen Dorf Nordböh- mens kluge Landwirte von einer Zeit sprachen, da einmal die Motorenkraft nicht nur landwirtschaftliche Betriebsgenossenschaften in hitzige Debatten versetzen könnte. Fünf Jahre später hat im gleichen Ort der erste Traktor seinen Einzug gehalten und beträchtliches Kopfschütteln erregt. „Großgrundbesitzer muß man dazu sein“, meinte ein Bauer. Vor zwanzig Jahren konnte man in Oesterreich gleichfalls lange wandern und mußte ebensolange nach einem Traktor Ausschau halten. 1948 war zwar die Zahl der Pferde nominell auf 283.883 gestiegen. An maßgeblicher Stelle sagte man mir aber dazu, daß nach.,dem Ktįegp sagen jeder Rąmsch mitgezählt wurde. Es waren unter aeniie- ren, die man nach den verheerenden Folgen, des Krieges als Zugtiere brauchte, alle möglichen Alter und Rassen. Die Pferde haben damals ungeachtet dessen viel gegolten, und so mancher Erfolg im Aufbau der Landwirtschaft und bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist den treuen Haustieren zu danken gewesen, von denen man 1958 nur noch 180.339 zählte. Die Zugochsen haben sich von 18O.J54 im Jahre 1938 auf 140.406 im Jahre 1948 und auf 57.328 im Jahre 1958 vermindert. Demgegenüber hat das Arsenal der Traktoren von den 1782 Stück des Jahres 1938 trotz der Schwierigkeiten der Motorisierung kurz nach dem Kriege sich bereits 1948 auf 8500 verfünffacht. Voriges Jahr zählte man in Oesterreich 99.000 Traktoren, und gegenwärtig ist die Hunderttausendergrenze bereits weit überschritten.

DER BAUER, bei dem ich vorige Woche stand, sagte mit einem kaum merklichen Ton von Wehmut und Resignation: „Bei der Hochzeit meiner ersten Tochter sind wir alle, die von unserem Hof und die vom Haus des Bräutigams, mit Kutschpferden zur Kirche gefahren. Wann das war? Das war vor fünf Jahren. Ja, das war schön, die geschmückten Wagen und die Pferde — wir haben immer den Stolz gehabt, bei jedem Zuchtpreis den .Ersten' zu machen — die Pferde haben damals mit den Blumen im Kamm so lustig genickt. Heute kommt’s mir vor, als wär’ das kein lustiges Nicken gewesen. Die haben vielleicht traurig auf ihre Art ,jaja‘ gesagt. Mein Schwiegersohn selber hat freilich seine Pferde gehabt, aber schon weniger als 1951, da ich ihn kennengelernt hab’, aber dafür schon einen neuen Traktor, den er sich auf der vorhergegangenen Wiener Messe bestellt gehabt hat. Ja, so geht’s dahin …“

AUF EINER PRESSEFAHRT hat mir ein Landlehrer zwei Zeichenblätter gezeigt — es war vor drei Jahren im Erdölgebiet in Niederösterreich —, und der Mann zeigte auf die Farbkreidestriche. „Die beiden Kinder wohnen beinahe nebeneinander, hundert Meter liegen die Höfe voneinander entfernt. Das eine Kind — genau so alt wie das andere — hat die Aufgabe, ein Pferd zu zeichnen, gut gelöst. Daheim haben sie nämlich ein Pferd. Das andere Kind hat mir statt des Pferdes ein Auto gezeichnet. Daheim haben sie kein Pferd, nur Zugochsen. Beide Zeichnungen waren aber nicht die besten, nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Ich habe zwei oder drei Blätter bekommen, auf denen man mit einigem Erschrecken ausgezeichnet dargestellte Traktoren erkennen konnte. Ich sage: mit einigem Erschrecken, denn wissen Sie, diese Kraftfahrzeuge waren größenmäßig bedeutend übersteigert. Sie sahen wie eine Kreuzung von Bagger und Traktor plus Kran aus. Wie das Riesentier einer neuen Zeit, habe ich gesagt. Mein Inspektor hat dazu nur den Kopf geschüttelt — nämlich zu dem, was ich da sage —, die Zeichnungen haben ihm sehr gut gefallen. Am besten die Maschinen.“

ES WÄRE DURCHAUS SACHE der berufenen Fachleute — und das ist auch in ernster Weise schon geschehen —, die vielfältigen Auswirkungen einer Einstellung von hunderttausend Traktoren da'rzulegen. Die Auswirkungen sind beispielsweise in der veränderten Bodennutzung abzulesen. Statt der Futterflächen werden Kulturpflanzen für den menschlichen Konsum gebaut. Die Arbeitswirtschaft, die Besitzstruktur, die Vermögenswerte hinsichtlich der Verteilung und die agrartechnischen Maßnahmen sind von der Technisierung beeinflußt. Wer will, kann während seines Sommerurlaubs Studien machen und zählen, wieviel Huf- und Wagenschmiede er in seinem Aufenthaltsort findet — oder nicht mehr findet, wenn er an frühere Aufenthaltsjahre am gleichen Platz zurückdenkt. Von den gewerblichen Veränderungen strahlt die Wirkung vom Dorf in den Markt und in die Stadt aus. Es ist durchaus nicht so, daß es nur eine Beeinflussungsrichtung von der Stadt zum Dorf gibt. Mit dem Stand von Ende 1958 liegt Niederösterreich mit 39.320 Traktoren vor Oberösterreich (28.592) und Steiermark (10.127) an der Spitze.

ES IST MEHRFACH BEHAUPTET WORDEN, daß der Landwirt in Deutschland für Zug maschinen weniger zu zahlen habe als der österreichische Bauer. Die Salzburger Landwirtschaftskammer ist solchen in der Presse aufgetauchten Nachrichten nachgegangen und hat zwei einander ähnliche Erzeugnisse (Klöckner-Humboldt- Deutz und Steyr) verglichen. Ein deutscher Schlepper mit 18 PS Leistung kostet 45.000, ein solcher mit 60 PS 114.480 S. Demgegenüber kostete das österreichische Erzeugnis 36.000 bzw. 102.603 S. Wenn man nun die Preise für Agrarprodukte in der Westdeutschen Bundesrepublik und in Oesterreich in Rechnung zieht, muß man in der Landwirtschaft unseres westlichen Nachbarn für einen 18-PS-Traktor 17.400 Kilogramm Weizen (Oesterreich: 14.400) oder 24.400 Liter Milch (Oesterreich: 20.600) verki ufen. Dieses Verhältnis hat sich seither nicht nennenswert geändert, obschon der Traktor bei

Steyr mit seinen 18 PS heute 37.100 S kostet und der mit 60 PS, bedenkt man die Erhöhung der Leistung auf 68 PS, sogar billiger geworden ist (Preis: 105.700 S).

PFERD UND BAUER waren untrennbar verbundene Arbeitskameraden. Der Bauer trachtete nach Verbesserung und Veredelung der Rassen. Die Pferdemärkte waren, das kann man ohne Uebertreibung sagen, Höhepunkte im bäuerlichen Alltag. Gebietsweise sind aber heute noch beträchtliche Unterschiede zu merken. Abgesehen davon, daß die Kammern der einzelnen Länder und das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft genau die Wirtschaftlichkeit der Anschaffung von Traktoren verfolgen, ist man vom Bildungsmäßigen her bestrebt, bei den Jungbauern das Interesse an Pferden wachzuhalten. Sei es durch Zuchtprüfungen und Preise, sei es durch Belohnung reiterischer Leistungen, durch die Pflege des Brauchtums, in dem die Pferde eine Rolle spielen Interessant ist es jedenfalls, daß der Verband oberösterreichischer Pferdezüchter feststellen konnte: das Mühlviertel hat heute etwa dreimal soviel Pferde wie 1938. In seinem hügeligen Gelände war früher der Zugochse der billigste Helfer gewesen; die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage führte dazu, den Zugochsen durch das Pferd abzulösen — und nicht durch den Traktor, der im Gebirgsgelände und bei gebietsmäßig kleinen Gütern schwerer einsetzbar ist. Aber aufhalten wird niemand die Gesamtentwicklung Die berühmte Warmblutzucht im Innviertel — ein Pferdemarkt in Obernberg etwa oder in Ried ist noch heute eine Sehenswürdigkeit —, diese Zucht geht unaufhaltsam zurück. Das zeigen uns die Mitgliederlisten der Pferdezuchtverbände von Jahr zu Jahr, und das stetige Abnehmen der Roßknechte, deren langjährige Erfahrung eine Pferdehaltung erst sinnvoll und wirtschaftlich macht. Der Roßknecht von heute macht in der Bezirksstadt seine Autoprüfung. Und dann kann man draußen auf Nebenwegen die neue Zejt rollen sehen. Sonntags sitzen sie mit Kind und Kegel auf den Benzin- ąuch wenn sie von schnellen Straßenkreuzern überholt und seitwärts gehupt werden, dennoch als zugehörig dem Betonband, dem Asphalt, jenem trügerischen Boden, auf dem der Pferdehuf so schlecht faßt. In Wien sieht man noch auf den ansteigenden Straßen die seltsamen Pflastersteine mit der Greifrinne — es wird nicht lange dauern und selbst diese steinerne Erinnerung an das Pferd in der Stadt wird verschwinden.

NUR VOR DEM STEPHANS- DOM, vor der Staatsoper stehen „Zeugerl“, Ein- und Zweispänner. Die Pferde schnobbern im Hafersack, der Lenker sitzt auf dem Bock oder auf dem Trittbrett. .Manchmal kommt ein Fremder und läßt sich der Originalität halber fahren, die Firmungszeit bringt einen kurzen Aufschwung im Kutschwesen — aber die Zahl jener, die den Fiaker und sein „Zeugl“ bloß als Photostaffage gegen Entgelt brauchen, ist größer. „Die schönste Eroberung, die der Mensch jemals gemacht hat, ist die Zähmung — des Pferdes“, sagte Buffon. „Dorso di cavallo, posto d’onore“, sagt der Italiener. „A horse! a horse! my kingdom for a horse!“, läßt Shakesneare seinen Richard III. rufen. Heute werden keine Königreiche für ein Pferd geboten. Die Eroberungen plant man mit Hilfe nuklearer Waffen. Und der Rücken des Pferdes ist kein Ehrenplatz für die Messebesucher und Durchstöberet von Altwagenplätzen. Die Großstädter aber verzehren mehr Pferdefleisch. Der Schlachtpferdeauftrieb für den Wiener Markt stieg von 14.552 (1954) auf 19.423 (1958) und wird heuer 20.000 überschreiten. Wenn man euch so anschaut, ihr langmähnigen, schnobbernden, immer gerne Zucker mahlenden Pferde, wenn m?n sich euren warmen Atem ums Gesicht wehen läßt — irgendwo, irgendwann —, dann is'-’s, „’s bereite man sich in der Stille auf einen großen Abschied vor. Ein Weggenosse des Menschen, ein treuer Arbeiter in hellen und dunklen Stunden trabt fort.

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