Kein Ritter aus fernen Zeiten

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Felicitas Hoppes wunderbare Nach- und Neuerzählung von Hartmann von Aues "Iwein".

Die Geschichte der Literatur ist eine Geschichte der Adaptionen - im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur war es über lange Jahre hinweg üblich, Stoffe der Weltliteratur für junge Leser zu bearbeiten, zu kürzen und von etwaigen "unmoralischen" Einflüssen zu befreien.

Der modernen Kinder- und Jugendliteratur ist es gelungen, sich davon zu emanzipieren, doch es liegt vielleicht an diesem Erbe, dass es ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint, alte Stoffe wie etwa mittelalterliche Literatur für junge Leserinnen und Leser zu bearbeiten. Am Buchmarkt erhältlich sind fast nur etwas in die Jahre gekommene Sagenbearbeitungen im Stil einer Auguste Lechner, allenfalls verbrämt mit Fantasy-Elementen. Das ist insofern bemerkenswert, als diese Geschichten eine jahrhundertelange Tradition von Weitererzählungen, Übersetzungen und Bearbeitungen hinter sich haben. Als etwa Hartmann von Aue rund um 1200 seinen mittelhochdeutschen Artusroman "Iwein" verfasste, griff er dabei auf die noch ältere Vorlage von Chrètien de Troyes zurück.

Gestern erst passiert

Die vielfach ausgezeichnete Autorin Felicitas Hoppe hat sich der Herausforderung gestellt, die Geschichte von Iwein nach dem Roman von Hartmann von Aue nach- bzw. neu zu erzählen. Das Alter der Vorlage wird dabei gleichermaßen thematisiert wie relativiert: "Die Geschichte ist übrigens ziemlich alt, mindestens tausend Jahre. Kann aber auch sein, sie ist erst gestern passiert, als ihr gerade unterwegs ins Bett wart, auf dem Weg in die Träume", heißt es auf der ersten Seite.

Im Umgang mit der Vorlage beweist die Autorin großes Geschick: Die Anzahl der Kämpfe und Figuren wird radikal gekürzt, dafür werden märchenhaft anmutende Elemente hinzugefügt, was bei einer Autorin, die Grimms Märchen als ihr Lieblingsbuch bezeichnet hat, nicht weiter verwundert.

Die stärkste Veränderung zur Vorlage ist die Erzählhaltung: Ist es in der mittelhochdeutschen Vorlage Hartmann, der "rîter, der gelêret was/unde ez an den buochen las", der die Geschichte erzählt, gibt es hier einen Ich-Erzähler. Er spricht die Leserinnen und Leser immer wieder direkt an und kommentiert die Ereignisse, fast so, als würde die Geschichte mündlich in einer kleinen Runde erzählt werden. Nach und nach wird angedeutet, dass er selbst unmittelbar an den Geschehnissen beteiligt war. Das Rätsel, welche Rolle er dabei genau gespielt hat, wird erst auf der allerletzten Seite gelüftet.

Mutige, kluge Frauen

Deutlich stärker akzentuiert als im mittelalterlichen Text ist die Rolle der Frauen. Sie zeichnen sich nicht nur durch ihre Schönheit, sondern auch durch ihren Mut und ihre Klugheit aus. So muss die Dienerin Lunete, von der es heißt, ihr Verstand sei "scharf wie ein Immerschwert", gegen sich selbst Schach spielen, weil alle anderen gegen sie verlieren.

Iwein muss sich als Ritter bewähren: Im Zuge seiner Abenteuer lernt er, das in ihn gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen, sich an Versprechen zu halten und für die ihm Anvertrauten Verantwortung zu übernehmen. Sprachlich orientierte sich Hoppe an der Iwein-Übersetzung von Max Wehrli, ihr Erzählton ist gleichzeitig poetisch und klar, an manchen Stellen lässt er etwas vom mittelhochdeutschen Originaltext erahnen.

Stilsicher und elegant

So stilsicher und elegant wie Hoppes Sprache ist auch die Aufmachung des Buches, das als eines der ersten in einer neuen Reihe des Fischer-Verlages, "Die Bücher mit dem blauen Band", erschienen ist: Das Buch ist mit Leineneinband, Kartonschuber und einem blauen Lesebändchen ausgestattet. Auf durchgängige Illustrationen wurde verzichtet, der bekannte Illustrator Michael Sowa stellt auf vier schlichten Farbtafeln, die mit ihren gedeckten Farben der märchenhaften Atmosphäre entsprechen, Schlüsselszenen der Handlung dar.

Geschichten von heute

Im Sachbuchbereich sind Ritter ein ungebrochen beliebtes Thema, aus der belletristischen Literatur für Kinder und Jugendliche sind sie nahezu verschwunden.

Der Autorin geht es mit ihrem Buch nicht darum, die Leserinnen und Leser mit Wissen über das Mittelalter zu versorgen oder mit platten Abenteuern abzuspeisen, wichtig ist ihr vielmehr das Universale der menschlichen Erfahrungen, die ihr Held macht, wie sie in einem Interview mit dem Deutschlandradio betont: "Ich finde, Iwein Löwenritter' sollte man kennenlernen, weil er kein Ritter aus fernen Zeiten ist, sondern ein junger Mann, der Abenteuer sucht, und dabei allen möglichen Dingen begegnet, denen man in unserem heutigen Leben auch begegnet. Er erlebt Liebe, er erlebt Unglück, er ist auf die Hilfe anderer angewiesen, er versucht Gutes zu tun - manchmal klappt es, manchmal nicht. Das sind ja keine alten Themen, sondern eigentlich sind das Geschichten von heute."

Es braucht literarisches Gespür und sprachliche Kunstfertigkeit, diese Bedeutung des alten Stoffes für das Heute deutlich zu machen - dass Felicitas Hoppe diese Eigenschaften in reichem Maße besitzt, hat sie mit "Iwein Löwenritter" einmal mehr bewiesen.

IWEIN LÖWENRITTER

Von Felicitas Hoppe

Erzählt nach dem Roman von Hartmann von Aue. Mit vier Farbtafeln von Michael Sowa. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2008. 250 S., geb., € 17,40

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