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Keine Abdankung

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Sprachen leben, und als Lebewesen kämpfen sie am Ihre Existenz. In unserer Zeit, wo sie in engere und häufigere Berührung miteinander kommen als je zuvor, kämpfen sie besonders heftig. Man denke etwa an das Deutsche und Italienische in Südtirol, das Englische und Wälische in Wales, das Französische und das Flämische in Belgien und nicht zuletzt das Hindi und TamiMn Indien. Doch sind diese Kämpfe für uns von geringerem Interesse als der heute auf der ganzen Erde zwischen Englisch und Französisch ausgetragene Machtkampf.

Dieser Sprachkrieg, bei dem es nicht so sehr um die Vorherrschaft als Alltagssprache wie um die Annahme als internationale Verkehrssprache geht, hat das Eigentümliche, daß er von der einen Seite bewußt, von der anderen aber unbewußt geführt wird. Auf allen Kriegsschauplätzen können wir beobachten, wie die Franzosen selbst aktiv daran teil- nehmen, während die Angelsachsen den Dingen unbekümmert ihren Lauf lassen.

Zur Zeit wird der Kampf auf vier Kontinenten ausgetragen, aber die Entscheidungsschlacht findet in Europa statt. Es wird auf sehr verschiedenen Ebenen gekämpft. Zuwei len greift der Kampf ins Alltagsleben über, wo er nur wenig bemerkt wird. Auf der höchsten Ebene indessen kann er politische Auswirkungen haben. Es ist zum Beispiel kein Geheimnis, daß Präsident de Gaulle sich während seiner Amtszeit nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen gegen Englands Beitritt zur EWG gesträubt hat, sondern auch, well er befürchtete, daß dadurch das Gleichgewicht zwischen den beiden Sprachen zugunsten des Englischen gestört würde. Er war sich darüber im klaren, daß nicht nur die Sprache der Macht, sondern auch umgekehrt die Macht der Sprache folgt.

Ist aber das Französische von seinem

Erzfeind, dem Englischen, nicht schon zu sehr angeschlagen, um sich noch einmal zu erholen? Seit beinahe hundert Jahren ist das Französische in nur selten unterbrochenem Rückzug begriffen, erst vor dem Deutschen, dann vor dem Englischen. Der verlorene Krieg von 1871 schädigte das Ansehen Frankreichs und damit seine Sprache, die vor dem Deutschen leicht zurückwich. Nach 1918 rückte das Französische wieder vor, doch als 1945 die englisch-amerikanischen Armeen große Teile des Kontinents besetzten und amerikanische Wirtschaftshilfe Europa wieder auf die Beine half, drehte sich das Heft gegen das Französische. Aber damals begünstigte nicht nur das Prestige des Siegers, das Englische, sondern mehr noch die naive Einfalt der angelsächsischen Eroberer, die nur Englisch sprachen und denen es gar nicht in den Sinn kam, daß jemand ihre Sprache nicht verstehen könnte. So wurde Englisch der Schlüssel zu den besten „Jobs" und mit der technisch-kommerziellen Invasion Amerikas das „Sesam, öffne dich!" zu ungeahnten materiellen Schätzen.

Gegen diesen gewaltigen Ansturm schien das Französische verloren. Doch hatte es vom Jahre 1958 an ein unerwartetes „Comeback“, als die EWG, eine von Franzosen geplante, organisierte, mit französischen Begriffen konstruierte Organisation, ins Leben gerufen wurde. Zwar gelten dort vier offizielle Sprachen — Französisch, Deutsch, Holländisch und Italienisch — doch herrscht de facto das Französische. Die EWG indessen ist nicht die einzige Organisation, welche die Ausbreitung des Französischen betreibt. Denn die Franzosen unterstützen ja den Sprachkrieg in allen internationalen Organisationen. Eine beso- ders wichtige Rolle spielt in dieser Hinsicht auch die CIFLE (Comitė International pour le Franęais Langue Europėenne). Dieses Komitee hat in Deutschland, Portugal, Griechenland und anderen Ländern nationale Unterkomitees, deren Mitglieder sich für die Annahme des Französischen als internationale Verkehrssprache einsetzen. In Holland ist bereits ein Gesetz erlassen worden, das dem Französischen in gewissen Schullehrplänen den ersten Rang vor dem Englischen sichert, und auch an deutschen und portugiesischen Schulen hat CIFLE das Französische mit gutem Erfolg gefördert. Ein neues „rayonnement franęais“ geht durch die Welt

Während so das Französische auf offizieller Ebene dem Englischen Boden abgewinnt, dringt dieses auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik wie auch des Handels immer weiter vor. Lm internationalen Flugverkehr, einschließlich Osteuropas, ist es heute schon Sprache Nummer 1. In anderen Sphären dringt das Englische auf dem Weg der Alltags- Sprache und der Musik vor, und zwar mit einer kaum zu hemmenden Wucht. Ironischerweise ist die Sprache de Gaulles noch reichlicher mit englischen Brocken gespickt als selbst das Deutsche. Es gibt jetzt in Frankreich eine Mischsprache, die man „Franglais" nennt, wo man lustig „fait le parking sous le buil- ding, achėte une robe babydoll, un pullchasuble, des raglans ä Eton trės new look et des fully-fashioned smokings bleutės.“ Das französische „craze“ für englische Vokabeln zeigt sich erst recht in all jenen pseudoenglischen Wörtern, wie „standing“, „footing“, „handling“, „coming-man“ usw., die in England unbekannt sind. Nichts aber führt den Einbruch des Englischen ganz so drastisch vor Augen wie etwa ein Besuch der Kathedrale von Reims, vor deren Hauptportal die Aufschriften „Super- Self-Restaurant“, „Bar de Paris“, „Drugstore Charles VII“ und ähnliche franglaisische Anpreisungen prangen.

Politische und kulturelle Organisationen leisten sicher gute Arbeit für die Förderung des Französischen ln der Welt, aber an dem fast hypnotischen „appeal“ des Englischen können sie im Grunde nichts ändern. Auf den ersten Blick scheint das erstaunlich. Ist das Französische nicht eleganter und aristokratischer, formreicher und schöner, nicht vor allem klarer und präziser als das Englische? Gewiß, doch die moderne Welt pfeift auf Eleganz und Schönheit, und was die Präzision betrifft, so gibt es dafür andere Mittel als die Sprache, zum Beispiel mathematische Formeln.

Das Englische hatte das historische Glück, anfänglich von Hof und Aristokratie verschmäht zu werden und so dem biederen Volke überlassen zu bleiben, das es prompt durch Abschleifung mundgerecht machte, von allem grammatikalischen Ballast befreite, mit den Worten spielte, wie es eben paßte, und sorglos französische Brocken aufnahm und verdaute. Auf diese Weise entstand eine einfache, sachliche Volkssprache, die leicht zu lernen und zu beherrschen ist und eine einzigartige Assimila- tionskraft für fremde Elemente hat. Das Englische ist der modernen Welt wohl oder übel gerade angemessen. Ob aber ein Sieg des Französischen, wie oft behauptet wird, im Interesse der Wahrung der Vielfalt europäischer Kulturen nicht vorzuziehen wäre, ist eine andere Frage. Sicher würde das Englische die Amerikani- sierung unseres Kontinents beschleunigen. Auch stellt es infolge seiner Durchschlagskraft eine größere Gefahr der Korrumpierung nationaler Sprachen dar, so wie wir sie im Franglais sehen, als das weniger durchschlagskräftige Französisch. Solcherlei Betrachtungen können indessen wenig am Gang der Ereignisse ändern — sie können uns lediglich darauf vorbereiten.

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