Keine falsche Bescheidenheit

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Hans Weigels eben erschienene Autobiografie bis 1945 bringt nichts Neues, macht ihn aber besser verstehbar.

Mit dem Schreiben hat sich der Multifunktions-Sprachdompteur Hans Weigel nie schwer getan - mit dem Memoirenschreiben sehr. Schon vor dem Satz "Ich bin am 29. Mai 1908 in Wien geboren" hat er sich gefürchtet. Aber dann hat er 1990 doch seiner einstigen treuen Sachwalterin beim Styria-Verlag, Elke Vujica, ein Manuskript übergeben: "Sehr wichtig für mich … irgend einmal, lange nach meinem Tod …" Nach einem halben Jahr starb er. Jetzt ist die 1972/73 verfasste Autobiografie da. Ändert sie unser Weigel-Bild? Eher nicht. Aber sie konturiert es, und wer sie mit dem Auge des Herzens liest, wird manchen scheuen Versuch später Erklärung, vielleicht sogar Rechtfertigung darin entdecken.

Kalter Krieger

Seine Schilderung des autoritären Ständestaates ist holzschnittartig. Für ihn gab es damals nur "Rote" und "Braune" in Österreich, und mehrfach bekennt er: "Ich war zweierlei nie im Leben: Soldat und Parteimitglied" (S. 172). Aber "ich konnte mit den Revolutionären, Sozialisten und Kommunisten am ehesten eine Richtung sehen, die das Richtige sah - und verschloss die Augen vor den Berichten aus Moskau" (S. 237). Hat er später mit seiner mit Friedrich Torberg geteilten Kampagne gegen Brecht-Aufführungen in Österreich auch seine einstigen Sympathien für die extreme Linke kompensiert?

Auch einem zweiten politischen Grundirrtum früherer Jahre musste er ja abschwören: dem konsequenten Pazifismus. Hitler war mit Idealismus allein nicht zu stoppen, Stalin auch nicht. Nicht nur Weigel wurde auch ein wackerer Kalter Krieger, was Spätgeborene kaum begreifen können. All das schildert er mit jener Nüchternheit, die Wendelin Schmidt-Dengler eingangs mit Recht das "Gegenteil von falscher Bescheidenheit" nennt.

Sein Judentum war ihm lange nicht als Problem bewusst gewesen. Die böhmischen Verwandten waren fromm, dem Großvater zuliebe trat er aus der Religionsgemeinschaft erst nach dessen Tod aus. Seine Eltern ließen ihn Freigeist sein. Er verachtete Ritus und Kultus, natürlich auch den Antisemitismus, aber ebenso den Zionismus, und fand später, dass ihm viel entgangen war, weil er ohne Glauben aufwachsen musste. "Von dort weg - das war keine Kunst" (S. 78), aber wohin? Sozis und Kommunisten zimmerten sich ihre Parteikirchen. Der Freiheitsfanatiker Hans Weigel blieb zwischen allen Stühlen sitzen.

Ohne Selbstbemitleidung schildert er die Härten (und Dennoch-Freuden) des damaligen Kunstbetriebs. Erst nach langer, lange erfolgloser Berufssuche gelang ihm der Aufstieg in die Theater- und Kabarettwelt, die er zuvor aus dem Untergrund angegriffen hatte: "Ich führte ein Doppelleben" (S. 225), eine "schizophrene Existenz, bald mit den Prominenten der Vergnügungsbranche, bald mit den Illegalen, die bei mir Unterschlupf fanden" (S. 249). Und dabei hatte er Jura Soyfer versprochen, sich "nie der anderen Seite zu verkaufen" (S. 206): Auch dies eine schmerzhafte Erinnerung des mit sich kritisch umgehenden Autors?

Leiden an Österreich

Dass er schon im Mai 1945 aus dem Schweizer Asyl nach Österreich zurückkehrte, begründete er so: "Bleibe ich, sobald ich heimkehren kann, im Ausland, sanktioniere ich die Nürnberger Gesetze" (S. 255 f.). Diese Argumentation war zwar stärker als Weigels relativ infantile Gedanken zu Schule, Uni, Germanistik. Aber auch sie trug dem Heimkehrer nicht bei allen Bewunderung ein. Elfriede Ott darf man glauben, dass Hans Weigel "an unserem Land gelitten hat. Bis zu Tränen." Darum ist es gut, dass diese persönliche Zeitbeschreibung nun zu seinem 100. Geburtstag erschienen ist.

Nicht verzeihlich ist die abschreckende optische Aufmachung von 245 Textseiten, denen einige private Fotos folgen: ohne Titel, Untertitel und Zwischentitel, ohne Inhaltsangaben; ein Register mit 527 Namen schafft keinen vollen Ausgleich. Möglicher Trost: Etwa so (S. 256) sahen auch die Programme der von Weigel mitbegründeten Kleinkunstbühne "Literatur am Naschmarkt" aus.

IN DIE WEITE WELT HINEIN

Erinnerungen eines kritischen Patrioten

Herausgegeben von Elke Vujica

Literaturedition Niederösterreich, Wien 2008

320 Seiten, geb., € 20,-

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