Keine schöne Festung

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Der israelische Journalist Ron Leshem versetzt mit seinem Roman in den Südlibanon und erzählt vom Wahnsinn des Krieges.

Literatur lädt ein, fremde Denkweisen und Welten kennenzulernen. Und sie erfindet dafür die unterschiedlichsten Mittel und Wege. Ron Leshem sperrt in seinem Roman "Wenn es ein Paradies gibt" mit Hilfe von Raum und Erzählperspektive die Lesenden in das Alltagsleben von jungen israelischen Soldaten.

Der beklemmend enge Raum des Romans ist die Festung Beaufort im Südlibanon, schön wäre die Aussicht auf die Umgebung, aber die Soldaten haben kaum Aussicht, sie leben im Dunkeln ohne Tageslicht, auf 170 mal 40 Meter. Ins Freie kommen sie nur nachts, um sich neben der Zufahrtspiste in den Hinterhalt zu legen, in ständiger (zunächst sogar noch freudiger) Erwartung der Angriffe der Hisbollah.

Die Perspektive ist die eines Ich-Erzählers: ein Offizier, der unbedingt kämpfen und nicht passiv auf die Angriffe des Feindes warten will, der aber selbst wie ein liebesbedürftiges Kind ist, nicht anders als die "Kinder", die er befehligt. Liras, was soviel heißt wie "ich habe ein Geheimnis", muss als erstes den Namen wechseln, der passt nicht hierher. So wird Liras zu Eres, der Zeder.

Enge Welt

Der 1976 nahe Tel Aviv geborene Journalist Ron Leshem schreibt vom Wahnsinn des Krieges, indem er sich ganz auf diesen kleinen Ort beschränkt, an dem zunächst fast nichts passiert, dann aber mehr als genug. Diese Fokussierung macht die Fragwürdigkeit des militärischen Unternehmens nur noch deutlicher. Eres kommandiert eine Truppe von 13 Soldaten. Der Vorgesetzte, der um die Angriffslust von Eres weiß, warnt ihn: "Ich will, dass du mit dreizehn Soldaten wieder abziehst, ohne auch nur eine Schramme."

Der wichtigste Auftrag in Beaufort findet sich auf einem Metallschild niedergeschrieben: "Die nördliche Grenze Israels verteidigen, vom Berg Dov im Osten bis Rosch Hanikra im Westen."

Verteidigen heißt: sich in der Festung verkriechen und zu lebensgefährlichen Erkundungen ausgeschickt werden. Man braut sich bitteren Kaffee und lebt nachts von zusammengequetschtem Proviant, man schläft in Stiefeln, um ständig bereit zu sein, während es draußen Mörsergranaten regnet. "Purple rain" heißt das in der Festungssprache. "Acht Oleander" sind "acht Abgänge", das Wort "aufgegessen" ersetzt "Angst".

Neugierige Kinder

Diese ganz eigene Welt bringt Menschen zusammen, die "draußen" nichts gemeinsam hätten. Hier hausen sie auf engstem Raum und sind aufeinander angewiesen. Es sind fast noch Kinder, übermütig und verspielt, voller Phantasien und Träume, voller Anspannung und Neugier, endlich etwas zu tun - "Wann beginnt das echte Ding?" - und entsetzt und gebrochen, als es soweit ist und sich etwas tut. Einer wird vor den Augen seiner Kameraden vom Sprengstoff zerrissen, Eres' bester Freund verliert seine Hand und zum Körper von Jonathan, der immer Shakespeare rezitiert hat, finden die Freunde nach einem Angriff den Kopf nicht mehr, trotz stundenlangem Suchen.

Beaufort verändert sich. Es verfällt und mit den äußeren Verfallserscheinungen (die Sanitäranlagen sind nicht mehr zu betreten, mit dem Nachschub hapert es, die ersten Gebrauchsgegenstände werden abgeholt), nehmen nicht nur die Gebete zu, sondern auch die Zweifel. Lässt der Staat seine Soldaten im Stich? War die Anwesenheit hier in den letzten Jahren überhaupt - sinnvoll? Wurden die getöteten Kameraden womöglich - umsonst "vergeudet"? Lauter Fragen, die Vorgesetzte nicht dulden dürfen, an denen sie aber längst selber nagen.

1982 hatten israelische Soldaten den Berg eingenommen und 2000 wieder verlassen. Ron Leshem erzählt von der letzten Phase der Präsenz israelischer Soldaten auf Beaufort. Er hat ausführliche Interviews geführt und privates Filmmaterial verwendet. Das erklärt vielleicht auch, warum ihm die Figuren, die er erfindet, in ihrer Charakterisierung so gut gelungen sind.

Nicht mehr

Der Roman lebt nicht nur von der Innensicht des Ich-Erzählers, sondern auch von seiner Sicht auf die gleichaltrigen "Kinder": Soldaten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, denen Beaufort und die anderen aber so sehr zu ihrer Welt werden, dass sie teils nur zögernd den Heimaturlaub antreten können. Zu Hause kann man nicht erzählen, was man erlebt hat.

"Er wird nicht mehr", heißt das Spiel, das alle spielen, "wenn ihnen ein Kamerad getötet wird. Man wirft seinen Namen in die Runde, und jeder, der dabei ist, muss den Satz vollenden, muss sagen, was er nicht mehr wird."

In Israel wurde dieser Roman zu einem Bestseller. Ein Soldat kann sich mit seinen Erfahrungen darin wohl ebenso finden wie die Mutter, die ihren toten Sohn zu beklagen hat. "Denn im Unterschied zu uns ist sie nicht daran gewöhnt, für sie ist es das erste Mal."

Kein Sinn

Mit Leshem meldet sich nun eine Generation zu Wort, die offensichtlich genug hat vom Krieg. Und genug von Mythen vom Heldentum, das immer in den Tod geführt hat. "Ich habe nie zu fragen gewagt, warum wir im Libanon waren … Jetzt diskutierten plötzlich alle, erhoben Einspruch, und jedesmal, wenn sie nach draußen gingen, fragten sie:, Wollt ihr uns in den Tod schicken?'"

Heldentaten wie die Eroberung von Beaufort stellen sich als Irrtum heraus. Beaufort wird aber kein Masada: die Truppen ziehen ab und sprengen die Festung. Inzwischen ist ein neuer Krieg ausgebrochen, alles ist "bestialischer" geworden, "aber auch gleichgültiger". "Gaza 2001. Es ist nicht vorbei. Kann das sein? Schon wieder. Es ergibt keinen Sinn." In Israel erschien der Roman 2005. Ein Jahr später gingen die Kämpfe im Libanon los.

Unter dem Titel "Beaufort" wurde der Roman von Joseph Cedar verfilmt, auf der Berlinale 2007 erhielt er den Silbernen Bären und heuer war er neben Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher" nominiert für den Auslands-Oscar. Hierzulande war er nicht zu sehen. Beaufort: das ist die schöne Kreuzfahrerfestung, das ist Paradies und Hölle, das ist Geschichte und Gegenwart, das ist: Israel.

Wenn es ein Paradies gibt

Roman von Ron Leshem

Aus dem Hebr. von Markus Lemke

Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2008

348 Seiten, geb, € 20,50

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