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Kellertrift und Weinberg im Schnee

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Wie pures Gold steht die Sonne am Himmel und der Schnee auf der Erde lacht, blitzt, glüht. Da leidet es dich nicht daheim. Durch die vertraute Kellertrift geht es, wo links und rechts die gedrungenen, geweißten, bloß luckendurchbrochenen Preßhäuser stehen, neben-, übereinander. Denn eine Trift im Weinland ist ein enges, schmales Tal. Vor und hinter dir gehen Männer in dunklen Pelzen, braunen odei grauen Teufelshauthosen, hohen, schweren, weit- schäftigen Stiefeln, unter sonngebleichten Hüten. Am gebeugten Arm tragen sie ein altes Herkommen, das Zeichen ihres Standes und Hausvateramtes, das „Keller- . körbel". Ein alte Frau zu Kadolz unten flicht sie aus Binsen. Die einen tragen ihr Körberl, wie sie es gekauft haben. Ist es noch neu, strahlt es sanften, hellbraunen Glanz. Ist es älter, erscheint sein Geflecht fahl, verwettert. Jene aber, die entweder gern ein wenig herrisch tun oder das Schöne, Geschmückte lieben oder — und dies trifft am ehesten zu — jede Sache sorgfältig pflegen, damit alles nur recht lang halte, diese lassen sich ihr Körbel vom Sattler in schönes, starkes, schwarzes Leder fassen — Körb, Haube und Hengel —, in zwei nebeneinander liegende Felder die Anfangs- budistaben ihrer Namen schneiden und rot unterlegen. Jetzt ist das Ganze nicht nur fest und haltbar, jetzt hat es auch ein Gesicht, würdig des Inhalts, den das Körbel zum Imbiß im Keller mittragen soll. Man sagt, in Südamerika, in den Pampas, sei ein Mann nicht zu denken, der kein Pferd besäße. Seht ihr, bei uns ist ähnliches. Finen Mann, der kein Kellerkörbel hätte, gibt es im ganzen Ort nicht. Selbst der Pfarrer und der Oberlehrer haben jeder eins.

Der Himmel leuchtet. Heiter stehen die schwarzen Linden, die graugrünhellen Nußbäume, die dunklen Kästtn im schönen Tag. Ohne Blätter, aber fröhlich bieten sie ihre bloßen Äste, Zweige, ihre windzerrauften Nester den funkelblauen Lüften. Auf den Preßhausdächern flirrt und sprüht der Schnee. Aber wenn es auch stockneblig wäre oder wild und eisig den Schnee triebe, du würdest hier die gleichen Männer treffen. Sie gehen jeden Tag diesen Weg. Nichts kann sie abhalten.

Jetzt lassen zwei Preßhäuser eine Lücke frei und man sieht die Wand der Trift, die Gstetten. Wärst du ein Maler, würdest du diesen Anblick in Farben festhalten. Und wärst du ein tüchtiger, ein tauglicher Maler, würden dich viele bestaunen und dich fragen, wie du aus dem Unscheinbaren solches schaffen konntest. Das besonnte Bild würde einen schmalen Streif besonnten, winterblauen Himmels zeigen. Darunter eine dünne, schimmernde Decke Schnee, durchbrochen von graugrün blinkendem Gras, sodann die nackte Gstettenwand: goldene, prachtvolle Lößerde, gefroren zu strahlender Reinheit. Dieses satte, goldene Leuchten schnitte sich unten messerscharf an einer aufschimmernden, makellosen Schneeschütte. Malerisch Umrissen läge sie, wo die Wand sich flacher senkt, im Gstettengrund. Daraus wüchsen, aus strahlweißem Feld hinüber das goldene Leuchten, empor in das köstliche Blau, schlanke, kühlgraue Akazienstämme, gerillt, sich edel verjüngend, mann bar bewehrt .mit mächtigen dunkelrotbraunen, dolchspitzen Dornen.

Goldene Erde, weißer Schnee, blaugraues, rotdorniges Akazienholz, das ist winterliches Weinland in einem einzigen Blick.

Indessen sind die Preßhäuser zurückgetreten. Neben der Straße liegen die Keller. Rundgewölbt öffnet sich unvermittelt die Erde, von Bäumen, Sträuchern, Hecken umstellt, überwachsen. Steil führen gleich neben dir die Stufen hinunter. Schön ist es, daß der Bauer zu jedem Haus, zu jedem Keller, zu jedem Kreuz Lebendiges, Wachsendes setzt. Uralte Vorstellungen dürften in diesem bewahrten Sinn sich offenbaren, Zweck und Anmut sind darin verbündet.

„Grüß Gott, Herr Studienrat", sagst du da und „Servus Franz" und „Servus Schani“!

Es sind Feiertage und mancher kehrt gern heim, der einmal gern fortgegangen ist.

Das ist die schöne Brüderschaft der Weinbauern und ihrer Söhne, eine Brüderschaft, die nicht leicht erlischt. Mit welchem Herrenamt einer auch betraut sein mag in der vermeintlich größeren Welt, er sitzt so gern in der Seitenluken wie ehedem. Etwa noch lieber, denn jetzt weiß er’s zu schätzen, ist’s ihm „seltsam". Und da sollt auch ihr einmal gesessen sein. Denkt euch: rundum gelbe Erde, gelb Wurzeln, heller Sand, gebändert und geschichtet von der Arbeit urzeitiiehen Wassers, und Tisch, Bänke, Fässer ehrwürdig schwarz. So sind sie geworden in langer Kellernacht.

Leise knistert, tropft die Kerze. Mit ihrem weißen Shaft n eisenschwarzer Spirale und der goldgetönten Flamme wahrhaftes Licht im irdenen Schauen. Die

Gläser, über die groben Stacheln des schwarzen hölzernen „Igels“ gestülpt, widerstrahlen zarte, helle Reflexe. Der Hausherr, mit gefülltem Tupfer soeben vom Faß kommend, nimmt sie herunter, eins nach dem andern. Ein scharfer dünner Strahl trifft ihren Boden und es schäumt, perlt der flüssige, sommersatte Duft. Und spricht man den Antrunk — die Gäste: „Dei’ G’sundheit!“, der Gastgeber: „Söllts leben!" —, dann ist’s, als gründe sich eine heimliche Gemeinschaft. Unmerklich schläft der Tag in die Nacht, die Stdnde spricht, die Menschen reden sich nahe. Der Wein nimmt ihr Herz, die Erde schließt sie ein. Im Wein liegt Wahrheit. Was innen ist, ob gut, ob böse, wird frei im Wort und alles Außen schweigt, sinnenhaft und bildlich. Der Laut der Straße reicht nicht in d: Seitenluken. Kaiser und Könige, Zeitgän/e und Schlachten werden gering. Was die flackernde Kerze bescheint, ist die Welt. Da werden Schullehrer, Pfarrer, Professoren, Doktoren und ihre Väter, Brüder, Schwäger wieder gleich. — Selten sind einem Fremden ein paar wahrhaft schöne Kellerstunden zugekommen, ohne daß er nicht gedacht hätte: Ja, so einen Keller und ein, zwei Weinberge — das möcht ich haben! Manchem, der jung war, erfüllte sich dieser Wunsch unversehens. Eine Saubere, Kluge brachte ihm das Begehrte noch nebenher zu.

Die Kellertrift ist hinter dir versunken, du bist auf freier, erhöhter Straße und rundum zieht, fließt, schwellt, hügelt, gipfelt das „Gebirg“. Goldweiß ist hier braunrotweiß. O du schönes, zartgetöntes, machtvolles Weingartenland! Wenn man nur allen sagen könnte, wie du beschenkst! Sie kennen das Meer und die Alpen, die Heiden und Moore, die Seen und Ströme — dich kennen sie kaum. Wohin du schaust, bis hin zum Himmel: weiße Tücher, Flecken, Latze, Streifen, Kappen, Buckel, Berge. Darin überall hineingezirkelt, hineingetüpfelt Weinstock neben Weinstock. Hangan, Jiangab geht es, bäumt steil empor,. schwingt gesänftigt aus, wölbt sich breit, schwingt leise wieder. an, zieht endlos hin. Mulden umschließt es, Senken und Tä!er und Gräben. Eine riesige Sammlung großer blüWeißer Kissen und Beete, von Rainen und Gstetten graugrün gesäumt, darin tausend, aber tausend rotbraune Reben.’ Manchmal, weit draußen, steht ein Streif Aiazi'engehölz, pastellblau, kulissenhaft.

Im Osten, im Tal unten steht ein Schlot. Und wenn du es auch zehnmal nicht willst, es ist wirklich einer. Aber was vermag dieser einzelne Fremde, Verlorene, Brüderlose gegen die Erde selbst, gegen ein ganzes Land?

Voll hohem Glanz ist der Himmel. Nur da und dort schwimmt im wunderbaren, kristallenen Goldblau ein kleiner schmaler Wolkenstreif, hellachender, spaßiger Irrwisch.

Im Hohlweg glitzert, glüht Schnee wie kühles, unirdisches Licht. Graugrün und braun durchbrechen ihn zarte erstarrte Gräser, Kräuter und zeichnen auf das endlose weiße Blatt mannigfaltigste, zierlichste Muster. Wo cm Scherr aufgeworfen hat oder ein Weinstock hoch angehäufelt ist, triffst du wieder auf das goldklare Auge der schlafenden Erde, umschlossen von blühendem Schnee, reingewaschen bis auf das letzte Stäubchen, wundertätig durchfroren bis in die kleinst Krume. Moltrig wird sie im Frühjahr über die Haue kollern, rauschend und klingend vor gespeicherter Kraft.

Langsam gehst du zurück. Freude schenkt Ruhe. Um so bedächtiger kannst du schauen. Im Osten haben si.h Nebelsäume gebildet. Aber auch sie sind schön wie alles an diesem gesegneten Tag. Darunter grüßen zarter schwebender Hauch die Pollauer, die Falkensteiner Berge. Aber es ist schwer zu sagen, was Berg ist und was Gewölk, so ähnlich sind sie einander in der glücklichen Stunde. Im Süden steht, seltsam hoch, fast gewaltig, der Buchbergzug, mildblau und schweigend, eine im bpsten Emporschwingen cingeschlafene, vierfache Woge. Nun aber erlebst du erst recht unser Land mit seinen unzähligen Flächen, Strichen, Punkten und Pünktchen, denn du gehst jetzt talab und die ganze Weite hin liegen nun die Weingärten unter dir. Gut, tief siehst du in die Raine und Greften noch sorgfältiger als zuvor- erscheinen sie dir gezogen, gezeilt.

Schräge Sonne glüht in das Vieltausendfache der Stöcke. Blührotbraun bündeln, schimmern überm blanken Schnee die Reben um ihre verwetterten Schäfte. Rotleuchtende reisige Scharen auf weißem Feld, unzählige, endlose Landsknechthaufen mit steilgezückten silbergrauen Spießen, so ist das Weingebirg im Winter. Das ist ein Ordnen und Achten, ein Schwenken und Schwärmen, ein unaufhörliches Hügelhinauf, Hügelhinab. Von allen Seiten her marschieren, kommen sie, als hätte sie ein geheimnisvolles Aufgebot zur Sammlung gerufen. Die einen ziehen über den Kamm, neue stehen bereit. Bald ist’s, als zögen sie alle hinauf zu den Wolken, bald scheint’s, als marschierten sie weit hinaus zum Wald, bald sieht es her, als wollten sic hinein ins Tal, ihren Herren zu, den Bauern. Und nun hat dieser große seltsame Rhythmus auch deinen Schritt erfaßt, auch du fühlst dich mitdrängen, mitziehen, als wärst du selbst davon ein richtiger Teil.

Die tiefe Sonne ist rot wie Ofenglut. Bald wird sie hinter den letzten Weingärten hinunterbrennen, aufzündend wie verschüttetes Feuer.

Die Kellertrift liegt nun kühl und blau. Ernst schattet der Schnee. Du gehst darum auf dem oberen Weg, hinter den Preß- häusern. Und da siehst du unten am Pulkaubach den Markt liegen mit dem rotbehelmten Kirchturm, diesem untäuschbaren Wahrstück, das du aus hundert anderen herauskennst, und wollten sie dich zur Probe aus dem tiefsten Schlaf wecken.

Jetzt merkst du aber auch wieder einmal, was die Ansiedler von ehemals für kluge, kunstfertige Leute waren. Sie stellten die Häuser mit den bewehrten Stirnen zur Straße, mit den verwundbaren Flanken "zueinander. Fein säuberlich siehst du die weißverschneiten Scheitel der Dächer geschachtelt, eines schön neben das andere. Unter jedem First sitzt der Rauchfang wie ein schwarzer schlanker Reiter. Die Menschen, die darunter wohnen, sind weder reich, noch berühmt, noch im Weltsinne bedeutsam, doch gern möchtest du jetzt allen die Hand geben und tief innen freut es dich, daß dir das Schicksal eine so große Liebe schenkte zu dieser kleinen, verschollenen Heimat.

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