Kermanis öffentliche Theologie

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Anmerkungen zur diesjährigen Rede zum Freidenspreis des Deutschen Buchhandels.

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Anmerkungen zur diesjährigen Rede zum Freidenspreis des Deutschen Buchhandels.

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Der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani erhielt Mitte Oktober den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Seine Preisrede wurde zum Ereignis. Denn Kermani betrieb, was kaum einer mehr wagt: öffentliche Theologie. Seine Rede war eine einzige Erinnerung daran, dass man dem Unmenschlichen in den Religionen nicht allein mit den Mitteln der Aufklärung oder mit militärischer Gewalt begegnen kann, sondern man dazu die Macht des Zärtlichen, Schönen, Liebevollen der Religionen braucht.

Kermani beschwor keine Utopien, er erzählte von wirklichen Möglichkeiten: Es gibt die christlichen Ordensmänner und -frauen von Mar Musa, deren Lebenszeugnis als Brückenbauer zwischen Christentum und Islam Kermani in den Mittelpunkt stellte und die heute in der Gewalt des IS sind. Und es gibt die Muslime, die Pater Jacques Mourad aus der Geiselhaft der islamistischen Terroristen befreiten. Seit Jahren hat mich der Satz von Al Kaida beschäftigt: "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod". Kermani gab dieser Parole die einzig richtige Antwort: Ja, genauso ist es! Wir lieben das Leben. Wir treten ein für gefährdetes Leben und stehen gegen die Übermacht von Vernichtung und Tod.

Kermanis Rede hatte eine gewagte Schlussvolte: Er forderte zum gemeinsamen Gebet für die Opfer in Syrien und im Irak auf. Das wurde später von einigen als Übergriff kritisiert. Doch man sollte nicht so viel Angst haben vor einer Religiosität, die für die Opfer Partei nimmt und die Ahnung einer menschlichen Existenz jenseits der gewinnorientierten Verwaltung der Welt oder religiöser Repression entwirft. Korrekterweise hatte Kermani den Rollenwechsel vom Redner zum Beter klar markiert und jedem die säkulare Option offengehalten, anstelle des Gebets einen stillen persönlichen Wunsch zu formulieren. Nachzuhören in der Mediathek des ZDF.

Der Autor ist katholischer Pastoraltheologe an der Universität Graz

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