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Kettensägen wüten in Rußlands letzten Paradiesen

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Mit Unterstützung ausländischer Firmen werden derzeit die letzten Urwälder Rußlands geschlägert - rücksichtslos und in Sekundenschnelle.

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Mit Unterstützung ausländischer Firmen werden derzeit die letzten Urwälder Rußlands geschlägert - rücksichtslos und in Sekundenschnelle.

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Wir haben erst von dem Schlägerungsprojekt erfahren, als im Hafen das erste Schiff mit Forstmaschinen angekommen ist“, erzählt Iwan Kusmen ko, Bürgermeister des Fischerdorfes Svetlaya im Fernen Osten Rußlands. Seit 1990 schlägert der koreanische Hyundai-Konzern — in einem Gemeinschaftsunternehmen (joint venture) mit einem russischen Staatsbetrieb die Urwälder rund um das Dorf. Die Folgen sind schon heute fatal - für Bevölkerung und Natur.

Eine Greenpeace-Delegation besuchte kürzlich das Schlägerungsgebiet, verstärkt durch staatliche Umwelt- und Forstinspektoren. Vorangegangen waren der Inspektionsreise massive Behinderungen durch die Behörden. Unter anderem wurde das Schiff MV Greenpeace mehrere Tage lang im Hafen von Wladiwostok am Auslaufen gehindert. Das nimmt nicht wunder, sind doch die Beziehungen zwischen Holzfirmen und der lokalen Regierung ausgezeichnet: So ist der frühere Chef des joint venture heute Vizegouverneur der Provinz.

Was die Delegation schließlich doch erfahren und mit eigenen Augen gesehen hat, ist erschreckend: Die frisch importierten Holz-Erntemaschinen produzieren Kahlschläge, soweit das Auge reicht. Für einen Baum brauchen sie gerade 30 Sekunden.

Trotz vertraglicher Verpflichtung wird kein einziger Baum neu gepflanzt, und auch die natürliche Regeneration kann auf den ausgedörrten Kahlschlägen nicht funktionieren. In den zwei Gewächshäusern werden in erster Linie Gurken und Kohl für die Ernährung der Holzarbeiter gezüchtet. Bäume mit einem minimalen Durchmesser von sechs oder sieben Zentimetern werden abgeholzt, obwohl das illegal ist. Und Zehntausende Kubikmeter Holz bleiben liegen und verrotten, denn die Firma schlägert mehr, als sie ab- transportieren kann.

Geschlägert wird - trotz gesetzlichen Verbots - direkt an den Ufern von Flüssen und Bächen. Bulldozer fahren rücksichtslos durch die Flüsse, in die sich Schlamm von den Kahlschlägen ergießt. Die Gewässer sind ruiniert, nicht nur durch Erosion, sondern auch durch massive Ölverschmutzung. Leere, nicht ausgewaschene Ölfässer werden einfach in Teichen versenkt. Aus lecken Containern austretendes Öl vergiftet Gewässer und Boden.

An mehreren Stellen erlebten die Greenpeace-Experten hektische Aufräumarbeiten, bei denen Arbeiter versuchten, noch schnell ölverschmutzte Erde abzugraben. Dieses Jahr wurden so schon mehrere Hektar Boden verseucht. Dieses Öko- Desaster hat schon dazu geführt, daß die Fischbestände in den Gewässern um Svetlaya um 90 Prozent zurückgegangen sind. „Wir stehen vor dem Bankrott“, sagt der Direktor der örtlichen Fischfabrik. Wer früher noch traditionell als Fischer tätig war, muß heute auf den Holzfäller-Beruf umsatteln - doch auch der hat eine ungewisse Zukunft.

Sonst hat das Dorf nichts von den Aktivitäten der Holzfirma: Die Errichtung eines Kindergartens, einer Schule waren ihnen versprochen worden, ebenso wie lukrative Arbeitsplätze in einem Sägewerk. Geschehen ist bisher nichts: „Sie haben uns das Paradies versprochen, aber nichts davon ist eingetreten. Nur der Wald verschwindet“, klagt Bürgermeister Kusmenko.

BARBARISCHE METHODEN

Schauplatzwechsel: Wenige hundert Kilometer südlich von Svetlaya schlägert das russische Unternehmen „Melnitschnoje“ die artenreichen Mischwaldbestände. „Selektiver Holzeinschlag“ nennt Direktor Igor Karavaliev die Methode. „Selektiv oder nicht — barbarisch sind die Methoden auf jeden Fall“, sagt Sergey Tsyplenkov, Waldexperte von Greenpeace Moskau, nach einem Lokalaugenschein. Selektiv heiße ohnehin, daß bis zur Hälfte der Bäume geschlägert werden. Optisch sind diese Flächen tatsächlich von einem Kahlschlag nicht zu unterscheiden, sieht man von den paar verdorrten Bäumen zwischendurch ab.

Schlägerungen in Wasserschutzzonen sind auch hier gang und gäbe, die gegen das Unternehmen ausgesprochenen Geldstrafen sind Legion. Bestraft wurde „Melnitschnoje“ auch für die illegale Schlägerung von 21.000 Kubikmetern der bedrohten russischen Zeder. „8.000 waren es nur, und das ganz legal“, beteuert Karavaliev zwar, doch die Gesetzesbrüche sind dokumentiert. Die Strafen lassen sich ohne weiteres verschmerzen: Der Wert des Holzes auf dem japanischen Markt übertrifft sie um ein Vielfaches. Auch Verstöße gegen andere Gesetze sind an der Tagesordnung: so werden Forststraßen direkt an Flüssen und Bächen gebaut, was zu Erdrutschen und zur Verschmutzung der Gewässer mit Staub führt. Weiters wird auch an Abhängen geschlägert, die weit steiler sind als zugelassen.

Das Schlimmste sind aber die Maschinen. Ob Bulldozer oder Verlade- kräne, alles fährt auf Metallketten statt auf Rädern. Die in ganz Rußland verwendeten Geräte sehen wie Panzer aus, und ihre Auswirkungen sind ähnlich: Wo die Metallketten einmal darübergerollt sind, wächst garantiert für sehr lange Zeit nichts mehr. Ganz besonders gilt das für die empfindlichen Böden der meisten Gebiete Rußlands.

Die so geschädigten Restwälder sind nun leichte Opfer für Waldbrände. Auch davon konnte sich die Greenpeace-Expedition überzeugen: Sie durchquerte auf Dutzenden Kilometern eine Mondlandschaft aus verkohlten Baumstümpfen, in einem Gebiet, das Teil der „Melnitschnoje“-Konzession ist. Zu allem Überfluß schlägert die Holzfirma in einem Gebiet, das früher Teil eines Naturreservates war: des Schutzgebiets Sichote-Alin, das zur Erhaltung der biologisch besonders vielfältigen Mischwälder des russischen Fernen Ostens eingerichtet wurde. Das Re servat wurde in den dreißiger Jahren gegründet und hatte damals eine Fläche von etwa zwei Millionen Hektar. Aber in den fünfziger Jahren wurde das Reservat fast um das Zehnfache verkleinert. Jetzt wird der Urwald in den Gebieten, die früher geschützt waren, rücksichtslos geschlägert.

VOLLENDETE TATSACHEN

Die Leitung des Reservats führt nun eine Kampagne durch, um wenigstens einen 60.000 Hektar großen Teil des Gebietes wieder zurückzubekommen. Die Holzfirmen aber versuchen nun, einen Strich durch diese Rechnung zu machen. Sie haben ausgerechnet in dieses Gebiet zahlreiche Forststraßen gebaut und versuchen, durch intensive Schlägerungen vollendete Tatsachen zu schaffen.

Das Resultat der Inspektionsreise ist wenig ermutigend: ob ausländische oder russische Holzunternehmen, geschlägert wird ohne Rücksicht auf Verluste und Gesetze. Wichtigster Absatzmarkt für russisches Holz ist Japan, gefolgt von Finnland, Schweden und - Österreich.

Der Autor

ist Regenwaldexperte bei Greenpeace.

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