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KIeines StundenkucJi

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Unter zerbrechlichen Schleiern blüht uns für eine Weile die Wirklichkeit auf, unsere Seele findet die tiefe Wonne aller Dinge, die Gott erschuf/

Kann ein vergängliches Wesen Sterblicheres aushauchen?

Als die ewige Essenz und für einen Augenblick den unausschöpflichen Duft der Rose?

Je mehr ein Ding stirbt, desto mehr gelangt es an sein eigenes Ziel,

Desto mehr haucht es vom Worte aus, das es nicht sprechen kann, und vom Geheimnis, das es lockt.

Gerade der provisorische Charakter der Dinge muß unbedingt gewahrt bleiben, wenn wir dem Leben die Heiterkeit, die Freiheit und den Sinn für ewige Ferien erhalten wollen.

Was mich seit den Kindheitstagen lockt, was mich heute trägt und festigt: Die Leidenschaft zum Universum/

Ich bin gekommen, die Erde zu weiten. *

Der Franzose, der in Frankreich wohnt — er erstickt ja, hier ist alles zu klein/ Er hat Spanien zu Füßen und England über sich und Deutschland zur Seite und die Schweiz und Italien, neben all dem soll sich einer rühren können!

Und andere Länder hinter diesen und wiederum andere und endlich das Unbekannte. Vor fünfzig Jahren noch wußte keiner, was heute ist: eine Mauer.

Gebt diesen kleinen Völkern Europas, die sich stoßen und ineinanderschieben, Platz, sich zu rühren!

Schließt ganz Europa zusammen zu einem einzigen Strom! Und können sich diese Völker, von der Ketzerei geschwächt, nicht in ihren Quellen wiederfinden, so mögen sie sich in ihren Mündungen vereinen!

Der Abgrund, den der Krieg zwischen Franzosen und Deutschen aufgerissen hat, ist tief genug, allen Haß, der zwischen unseren beiden Völkern war, zu begraben. Blicken wir auf zum ewigen Stern, er macht uns eins.

Ich kam, Türen einzurennen und Wegbereiter zu* sein.

Ihr sollt nicht mehr allein sein! Ich bringe euch die Welt, das ganze Wort Gottes, alle eure Brüder, mögen sie euch gefallen oder nicht — wir müssen es wohl oder übel lernen —, alle eure Brüder im einen Erzeuger.

So weit ich die Arme ausspanne, ich umfange die Erde, die mir gehört, und ich schwebe in Gottes Herrlichkeit.

Wohin ich mein Angesicht wende, Schau ich der Schöpfung ungeheure Oktave! Die Welt ist aufgetan, und mein Auge durchmißt sie von Ende zu Ende, so weit ihre Spanne reicht.

Ich habe die Sonne gewogen; so, wiegen Männer einen gewichtigen Hammel, den sie auf der Schulter tragen mit langer Stange.

Ich habe die Armeen der Himmel gezählt, ihre Verzeichnisse schrieb ich auf,

Die großen Figuren, die sich über den greisen Ozean neigen,

Bis hinauf zum fernsten Feuer, das in der tiefsten Tiefe versinkt:

So lauert der Walfischfänger im verlorenen Pazifik auf den weißen Flaum des großen Bläsers.

Es gibt für den Menschen keinen anderen Frieden als im Bündnis mit allen anderen Menschen. Könnte ich ihn endlich erwachen hören, den tief einmütigen Atem!

Ihr habt nicht das Recht zu trennen, was Gott zur Gemeinsamkeit erschuf!

Ihr habt nicht das Recht, da und dort die

Türen zu verrammeln mitten im Tempel! *

Die Worte, die ich spreche,

Sind Worte des Alltags und sind doch nicht dieselben!

Du findest nicht Reim noch Magie in meinen Versen: Sie sind gleich euren Sätzen. Keiner eurer Sätze, die ich nicht wiederholen könnte.

Diese Blumen sind eure Blumen, ihr aber erkennt sie nicht.

Diese Füße sind eure Füße, doch siehe: fch schreite auf dem Meer, ich wandle jubelnd über den Wassern.

Die Dunkelheit des Dichters rührt nicht von einem Mangel her, im Gegenteil, sie fügt etwas hinzu, etwas Wunderbares sogar, nämlich das Unendliche.

Jeder Künstler kommt zur Welt, um ein einziges, ganz kleines Etwas zu sagen, man muß es nur finden und um es herum alles Uebrige ordnen.

Keine falsche Scham soll uns hindern, von dem zu sprechen, was unser Herz erfüllt, vom täglichen Brot, das unsere Seele nährt in Einfalt, gleich, wie es den Leib ernährt! Und wollten wir es verschweigen — unser Antlitz würde sprechen! Es läßt sich so wenig verhüllen wie die Sonne! Wie? Wir wollen doch nicht glauben, wir könnten den lebendigen Gott abseits vom Leben in einem schwarzen Loch versteckt halten, in das wir von Zeit zu Zeit hineinschlüpfen, um Ihn zu besuchen, nachdem wir vorher nach rechts und links geblickt haben, ob uns keiner sieht?

Der Friede eines von Gott unterwiesenen und in Ihm alternden Menschen ist tief und warm wie Gold.

Die Liebe ist in unserem Leben das Element, das wesenhaft außerhalb unserer eigenen Kraft liegt, es ist unentgeltlich und unabhängig und kommt in unsere kleine persönliche Welt, die wir mit unserer mittelmäßigen Vernunft einrichten, meist als ein zutiefst verwirrendes Element.

Der unwiderrufliche Charakter der Liebe entspricht so sehr unseren Instinkten, daß selbst die leichtsinnigsten Menschen von der Liebe als etwas Ewigem sprechen. Diese Schwüre, deren Leichtfertigkeit sprichwörtlich ist — Gott nimmt ie in der Ehe ernst. Er hört diesen Mann und diese Frau, die ihn zum Zeugen anrufen und vor ihm das feierliche Ja aussprechen. Wie fiberall gibt auch hier das Sakrament dem höch-iten Herzenswunsch seine Realität.

Hüte dich, anders als mit dem Geiste des Glaubens, der Demut und der Ehrfurcht jenem Sakramente dich zu nähern, das in einem Leib die Seele ist. Man verbindet den Morgenstern nicht mit dem Schmutz.

Es ist unmöglich, den neuen Menschen sichtbar werden zu lassen, ohne in schmerzlicher und oft heroischer Arbeit jenem Gott zu helfen, der uns geschaffen hat und uns bittet, Ihn bei unserer Neugestaltung zu unterstützen.

Aus dem gleichnamigen Werk, erschienen Im Arche-Verlag, Zürich.

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