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Japan zwischen Tradition und Moderne.

Die Japaner sind kein exotisches Volk, über das man wenig weiß. Im Gegenteil hat das über ein ganzes Jahrhundert hinweg von japanischen und westlichen Wissenschaftlern zusammengetragene Wissen Japan zu einer der bestuntersuchten Kulturen gemacht", schreibt der angesehene deutsche Japan-Experte Florian Coulmas in seinem Buch "Die Kultur Japans. Tradition und Moderne". Coulmas, Jahrgang 1949, hat 17 Jahre in Japan gelebt. Er macht dem westlichen Leser zunächst Mut, sich auf dieses Land und seine Bewohner einzulassen.

Am Anfang das Wort

"Alles, was in einer Sprache ausgedrückt werden kann, kann auch in jeder anderen Sprache Ausdruck finden": Also ist auch Japanisch erlernbar. Es seien japanische Sprachwissenschaftler gewesen, die behauptet hatten, das Japanische sei eine "geschlossene Sprache" und könne daher nicht von Fremden verstanden werden. Dass Japaner westliche Sprachen zunehmend gut sprechen, ist im Geschäftsleben und auf akademischer Ebene zunehmend zu beobachten. Wenn wir noch immer darüber lächeln, dass sie L und R nicht unterscheiden können, kommt das einfach daher, dass in ihrer Sprache diese uns selbstverständliche Unterscheidung bedeutungslos ist. Ob sie das deutsche Lehnwort "Arbeit" als "arubaitu" oder "alubaitu" hören, es gilt als dasselbe.

Coulmas' Einstieg in ein spannungsgeladenes Thema ist also die Sprache. Er verheimlicht nicht, dass der Soziativ, die Sprache der Höflichkeit, ein völlig anderes Denken voraussetzt. So wie wir ohne Tempus-System nicht sprechen können, kann man Japanisch ohne Soziativ nicht sprechen. Ein Beispiel: Für viele Tätigkeiten gibt es drei Verben: ein neutrales, ein respektvolles, ein bescheidenes.

Der hervorragende Kenner Japans bemüht sich, sachlich herauszuarbeiten, was an der japanischen Kultur japanisch ist: Im Verhalten und in den sozialen Beziehungen; in den Werten und Überzeugungen; in den Institutionen, vor allem der Schule und der Firma; und schließlich in der materiellen Kultur, also der Kleidung, Behausung, Architektur und den Künsten.

Konventionell

Das Land, das Europa technisch in vielem voraus ist, gilt als traditionell und konventionell. Für die japanische Kultur ist die hohe Wertschätzung von Konventionen charakteristisch, während viele westliche Gesellschaften der Konventionalität ablehnend gegenüberstehen, weil ihr der Ruch des Unoriginellen, des Abgedroschenen, des Klischees anhaftet.

In Japan ist das nicht so. Konvention und Brauch ist für Japaner nicht fad, sondern bedeutet für sie Anstand und Takt: "Die Japaner messen der Entwicklung zu sozialen Wesen höchste Bedeutung bei." Benimm-Bücher verkaufen sich in riesigen Auflagen, denn wer die Etikette beherrscht, gewinnt Selbstsicherheit und Gelassenheit.

Synkretistisch

Den Japanern wird häufig vorgehalten, sie seien hervorragend im Kopieren der Fertigkeiten anderer Völker: Die Schrift haben sie von den Chinesen übernommen, den Buddhismus - auf dem Umweg über die Chinesen - aus Indien, modernes Denken aus Europa. Coulmas belegt, dass es eine "synkretistische Authentizität" gibt. Deutlich wird das etwa bei Hochzeit und Tod: Geheiratet wird in Japan vielfach nach shintoistischen Bräuchen (Naturreligion), während 90% der Japaner buddhistische Bestattungsriten wählen.

Wenn in Japan Organspenden vielfach abgelehnt werden, hat das nichts mit Stur- oder Dummheit gegenüber medizinischem Fortschritt zu tun, sondern mit der japanischen Kultur des Schenkens. Nirgendwo wird mehr geschenkt als in Japan.

Schenken bedeutet das Herstellen und Pflegen von sozialen Beziehungen. Doch bei einem Organspender ist keine Reziprozität möglich...

Belächelt wird im Westen nicht selten die Treue japanischer Arbeitnehmer gegenüber ihren Firmen. Wenn man aber weiß, dass die Firmenstruktur ein Abbild der Familie ist, wird einem auch klar, dass gescheiterte japanische Manager nicht öffentlich Krokodilstränen vergießen, sondern wirklich weinen, wenn die Firma in Konkurs schlittert.

Harmonie mit der Natur

Ein Charakteristikum der westlichen Zivilisation ist die Unterwerfung der Natur.

Japaner beugen sich ihrer Macht und streben nach Harmonie mit ihr. Die Scheußlichkeit japanischer Großballungsräume wird im Detail überall aufgehoben: Hier ein vollendeter kleiner Garten, dort ein liebevoll gepflegter Shinto-Schrein...

Coulmas sieht in drei "Alltagskünsten" die materielle japanische Kultur besonders ausgeprägt: in der Töpferei, der Kalligrafie und im Gartenbau. Im Steingarten des Ryonaji in Kyoto gibt es 15 Steine. Von keinem Punkt aus kann man sie alle gleichzeitig sehen: Zeichen dafür, dass sich uns die Welt niemals in ihrer Ganzheit erschließt. Mit Japan ergeht es uns Westlern ähnlich.

Die Lektüre dieses Buches sollte verpflichtend sein für alle, die mit Japan beruflich zu tun haben. Lesenswert ist es für jeden, der seine Nase über den Tellerrand der eigenen Kultur erheben möchte.

Die Kultur Japans

Tradition und Moderne

Von Florian Coulmas

C. H. Beck Verlag, München 2003

332 Seiten, geb., e 25,60

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