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Kinder zwischen den Eltern

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Ein Problem, das immer schon zu ernsten Besorgnissen Anlaß gegeben hat, das aber heute — durch die erschrek-kende Zunahme der Zahl betroffener Jugend — im letzten Jahrzehnt noch weitaus bedenklicher wurde, ist das der Kinder aus getrennten oder zumindest ungeordneten Ehen.

Aus 700 wahllos herausgegriffenen Fällen der schulpsychologischen Beratungsstelle ergab sich folgendes Bild:

Kinder aus vollständigen, harmonischen

Ehen .......... . . . 308

In Streitmilieu lebende Kinder .... 108

Außereheliche Kinder.......56

Kinder nach Scheidung der Eltern bei

einem Elternteil......... 79

Halbwaisen 123

Vollwaisen .. 8 Pflegekinder.......... 18

7ÖÖ

Man mag die Verallgemeinerung der oben angegebenen Verhältnisse aus einer relativ geringen Anzahl von Fällen ablehnen: Tatsache bleibt, daß ein großer Teil aller schwierigen Kinder aus scheiternden oder geschiedenen Ehen stammt.

Nicht nur der leibliche Tod hat reiche Ernte gehalten in den vergangenen Jahren, es gibt auch Väter und Mütfer, die seelisch abgestorben sind, die alle Last der Sorge und Verantwortung von sich geworfen haben, um einmal in ihrem Sinne „genießen“ zu können, um alles nachzuholen, was ihnen das Leben — ihrer Meinung nach — bisher versagt hat. Die Kinder sind die Opfer. Schon dadurch, daß auch die leibliche Obsorge oft versagt; nicht selten ist der Elternteil, dem das Kind zugesprochen wurde, schon wieder von einem neuen Partner in Anspruch genommen oder aber es absorbiert die seelische Not des Verlassenseins alle vorhandenen Kräfte.

Unf olgsamkeit, Rücksichtslosigkeit, Lern-unlust, Gleichgültigkeit selbst gegenüber dem Spiel, Wortkargheit, sogar Fluchtversuche — das ist es, worüber viele Eltern bei ihren Kindern klagen.

Oft werden von den in ihre Ehezwistig-keiten verstrickten Eltern solche Erscheinungen gering geachtet, der erfahrene Pädagoge aber erkennt bereits bedenkliche Vorzeichen für seelische Gleichgewichtsstörungen. Die notwendige Aussprache mit den Eltern erhellt dann wohl mit einemmal das Verhallen des Kindes und macht es aus seiner traurigen Situation heraus verständlich. Zur oben erwähnten Lernunlust gesellen sich häufig auch entweder Renommiersucht, Lügen und Stehlen oder aber völlige Teilnahmslosigkeit.

So konnte an F. K., einem Neunjährigen, dessen Eltern seit einiger Zeit getrennt lebten und der.ein stilles, trauriges Wesen an den Tag legte, doch ein gescheites und fleißiges Kind war, beobachtet werden, daß seine Leistungen allmählicher schwächer wurden, bis er am Unterricht überhaupt keinen Anteil mehr nahm und auch keine Hausübungen mehr brachte.' Die Mutter, bei der das Kind seit der Scheidung lebte, ließ sich auf mehrmalige Vorladungen immer wieder entschuldigen. Das Kind, das Zutrauen zum Lehrer gewann, ging aus sich heraus und erzählte seine kleine Leidensgeschichte, ohne zu ahnen, daß er damit sein auffälliges Verhalten begründete. Zweimal wöchentlich mußte der Knabe den Vater besuchen, der ihn mit Geschenken überschüttete, die bei der Mutter zu Hause fehlten, er lebte mit einer anderen. „Ich hasse diese Frau, die unsere Familie zerstört hatl“ sagte der Neunjährige ... „Aber, bitte, sagen Sie es nicht dem Vater, sonst mag er mich auch nicht mehr.“ Auf die Frage nach der Mutter, bei der er wohnte, stockt der Knabe: „Die fremde Frau hat unsere Familie zerstört... Aber bei uns wohnt jetzt ein Onkel. Die Mutter kocht für ihn, ich glaube, sie hat ihn sehr gern. Mich mag er nicht...“ Muß es nicht furchtbar aussehen in der Seele dieses Kindes? Was kann da der beste Nachhilfeunterricht nützen, den der Vater bezahlt, um Fritz für die Mittelschule vorzubereiten? Das Lernen geht längst über seine Kraft...

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