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Kindheitserinnerungen an den Rosenkavalier

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Meine persönlichen Erinnerungen an den „Rosenkavalier“ beginnen mit dem Sommer 1909. Ich war damals erst zwölf Jahre alt. Mein Vater komponierte immer nur in den Sommermonaten; er trug seine kleinen Skizzenbücher in der Tasche, und bei schönem Wetter fand man ihn immer im Garten, entweder spazierengehend oder auf einer der zahlreichen Bänke sitzend und sich Notizen machend. Für meine Mutter und mich war er aber stets zu sprechen, und während er sich mit uns unterhielt, schrieb er Noten in sein Skizzenbuch; ich kann mich nur erinnern, daß der Text von Hofmannsthal ihm immer zu langsam kam und daß große Freude herrschte, als der erste „Rosen-kavalier“-Akt endlich vollständig vorlag. Die kurzen Skizzenbuchnotierungen wurden meistens vor dem Mittag- oder Abendessen für das Klavier spielbar auf ein größeres Notenblatt geschrieben, und dann kam für mich das Schönste: Um 20.30 Uhr oder 21 Uhr mußte ich zu Bett, und gerade da fing Papa an, das am Tage Komponierte am Klavier auszuprobieren und zu spielen. Ich hörte bei der abendlichen Stille in meinem Schlafzimmer jeden Ton, immer wieder wurden dieselben Stellen ausprobiert, geändert, bis die Fassung seinen Wünschen entsprach. Meine Mutter saß gewöhnlich im Nebenzimmer. Eine Episode möchte ich festhalten: Bei der Komposition des Terzetts im dritten Akt hatte Papa eine gewisse Scheu, diese herrliche Melodie bis zum letzten auszunützen; er hörte plötzlich mitten in der großen Steigerung auf; da kam meine Mutter zu ihm ans Klavier — sie mischte sich sonst nie in seine Arbeit ein — und rief: „Weiter, weiter!“ Papa gehorchte, und so kam dieses unsterbliche Terzett in seiner ganzen Schönheit zur vollsten Auswirkung — ein Verdienst meiner Mutter, die als hochmusikalische Sängerin instinktiv die Möglichkeiten erkannte, die hier vorlagen. Dies erfuhr ich am nächsten Tag, als Papa uns das fertige Terzett am Flügel vorspielte. Zur Zeit der Uraufführung in Dresden (am 26. Jänner 1911) war ich wegen meiner angegriffenen Gesundheit in St. Moritz. Der Arzt verbot, mich nach Dresden mitzunehmen, und so erfuhr ich nur aus den Zeitungen und aus Erzählungen von dem großen Ereignis. *

Im Frühjahr 1911 war die Erstaufführung des „Rosenkavaliers“ in Mailand an der Scala vorgesehen. Da die Zeit in St. Moritz abgelaufen war, durfte ich mit den Eltern fahren. Die Fahrt, die damals noch im Schlitten über den tiefverschneiten Malojapaß führte, war für mich ein großer Eindruck, ebenso Mailand mit der riesigen Scala. Die Ereignisse bei der Premiere am 1. März 1911 — es war der Aschermittwoch — sind bekannt. Der erste Akt ging gut vorüber, beim Schluß des zweiten Aktes kam es zu tumultuösen Szenen: die damaligen Futuristen empfanden es als eine Profanierung, daß der Komponist der „Salome“ und „Elektra“ nun auf einmal Wiener Walzer komponierte. Es mögen dabei auch Ressentiments aus der österreichischen Zeit Oberitaliens eine Rolle gespielt haben. Von der vierten Galerie ergossen sich Protestzettel ins Parkett, Rufe wie „Porta Genova!“ (der Mailänder Prater) wurden laut, der Maestro Serafin drehte sich um und schimpfte mit echt südländischem Temperament auf das Publikum: „Asinil“. „Amanti dei balle-rini!“ und so weiter. Meine Eltern saßen ruhig in der Loge und warteten ab, was weiter geschehen würde. Die zweite Pause ging vorüber, und beim Beginn des dritten Aktes ging das Höllenkonzert weiter auf das Schlagwort ..Che bella musica“ (die schöne Musi). Nun geschah aber etwas, was wiederum nur in Italien möglich ist: Nach dem Abgang des Ochs von Ler-chenau herrschte tiefe Stille; das Terzett klang auf, nach demselben gab es minutenlangen tobenden Beifall — der Abend war gerettet! Das Publikum hatte sich bei der Premiere ausgetobt und im gleichen Monat folgten — acht ausverkaufte Vorstellungen mit einem Riesenerfolg. Ein Telegrammwechsel 1928 mit Gabriele d'Annunzio, also 17 Jahre später, mag hier noch angeführt werden, der die damalige Situation sehr schön beleuchtet:

„Gewiß entsinnen Sie sich einer in der Erinnerung weit zurückliegenden Nacht in Mailand, da ich als einziger den helläugigen Barforen begrüßte und bei Tisch die ungestüme Fülle Ihrer Kunst feierte. Wenn ich heute noch allein stünde, würde ich Sie mit derselben Glut und demselben Stolz begrüßen. Aber jetzt sind Ihre Bewunderer unzählige und ich ziehe vor, abseits zu bleiben. Eigenwilliger Bruder in Krieg und Frieden, ich umarme Sie im Namen des Claudio Monteverdi und des Wolfgang Mozart.

Gabriele d'Annunzio.'*

Und der deutsche Komponist antwortete:

„Auch ich erinnere mich mit Vergnügen jenes Mailänder Abends. Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Gruß, den ich mit der herzlichsten Bewunderung für den großen Dichter erwidere.

Richard Strauss.“

Die nächste bedeutende Erstaufführung des ..Rosenkavaliers“ fand am 9. April 1911 an der Wiener Hofoper statt. Mein Vater reiste schon zu den Proben nach Wien und schickte begeisterte Berichte nach Hause. Er fand dort den unvergleichlichen, einzigartigen Richard Mayr als Ochs. Ich zitiere aus den Briefen: „prachtvoller B?ß, ganz, im Wiener Dialekt, urkomisch, derb, dabei immer liebenswürdig, zweiter und dritter Akt kamen noch nie zu solcher Wirkung. Man kommt aus dem Lachen nicht heraus. Schoder eminent. Höhe klingt sogar ganz gut, und eine Darstellerin allerersten Ranges, jeder Zoll ein Bub und Kavalier. Eine große Künstlerin, sie spielt die Rolle von allen am besten. Sie war meine größte Ueberraschung. Orchester unter Schalk klingt herrlich.“

Frau Gutbeil-Schoder berichtet in ihren Erinnerungen noch eine nette Episode von der Generalprobe, in der ein Hofrat der Hofzensur nachher zu ihr kam und ihr Kostüm im ersten Akt, nur aus Hemd und Höschen bestehend, beanstandete und verlangte, sie solle noch eine Weste überziehen. Papa riet Frau Schoder, nachzugeben, aber sie weigerte sich, und es gelang ihr, den gestrengen Hofrat zu überzeugen, daß gerade diese Weste unästhetisch wirke, und so ließ er von seiner Forderung ab: „Er kapitulierte und ich blieb in meinem grünen Höschen mit dem weißen Hemd, in dem ich dann glücklich meine 133 .Rosenkavalier'-Vorstellungen absolviert habe.“

Mit der Aufnahme des Werkes beim Wiener Premierenpublikum und der Presse war mein Vater weniger zufrieden. Er schrieb nach Hause, er werde nie eine Uraufführung in eine große Stadt geben. Nach fünf Jahren fand jedoch die Neufassung der „Ariadne“ mit der unvergleichlichen Lotte Lehmann als Komponist und neun Jahre später die Uraufführung der „Frau ohne Schatten“ mit Maria Jeritza unter den besten Auspizien doch in Wien statt.

Die letzten Lebensjahre meines Vaters waren sehr verdüstert durch die unseligen Folgen dieses Krieges. Die Zerstörung der großen Theater schnitt ihm wirklich den Lebensfaden ab. Als die Nachricht von der Zerstörung der Wiener Oper kam, erlitt er einen schweren körperlichen Zusammenbruch. Er sagte immer wieder zu uns: Für die nächsten fünfzig Jahre ist es mit dem Kulturleben in Europa zu Ende. In dieser düsteren Prophezeiung sich getäuscht zu haben und den befruchteten europäischen Kulturboden zu neuer Blüte sich entfalten zu sehen, wäre ihm schönste Befriedigung gewesen. Die in altem Glänze wiedererstandene Wiener Staatsoper ist die Krönung dieser neuen Entwicklung.

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